Vorkämpfer der Selbstachtung

Zum Tod von Neville Alexander, Antiapartheidaktivist und medico-Weggefährte

05.09.2012   Lesezeit: 4 min

Zuletzt habe ich Neville Alexander bei einem Vortrag im Frankfurter Club Voltaire 2011 gesehen, bei dem er in seiner unnachahmlich freundlichen, bestechend klaren Redeweise - in fließendem Deutsch - die Tragik ausführte, warum die südafrikanische „Revolution“, für die er sich zeitlebens eingesetzt hatte, nur einen Elitenwechsel zur Folge hatte. Neville Alexander wurde am 22.10.1936 in Cradock, in der östlichen Kap-Provinz geboren. Der Vater war Zimmermann, die Mutter Lehrerin. Er studierte in Kapstadt Germanistik und Geschichte, kam in den 1950er Jahren durch ein Stipendium ins Nachkriegswestdeutschland und promovierte an der Universität Tübingen über Gerhard Hauptmann. Hier lernte er auch hervorragend Deutsch. Als er nach Südafrika zurückging, schloss er sich dem politischen und bewaffneten Kampf gegen die Apartheid an.

Wie Nelson Mandela wurde er Anfang der 1960er Jahre verhaftet und zu zehn Jahren Haft auf der Gefängnisinsel Robben Island verurteilt. Als seine ehemaligen Studienkollegen in Tübingen davon erfuhren, gründeten sie ein Solidaritätskomitee, das zur ersten Anti-Apartheidbewegung in Deutschland wurde. In Robben Island wurde Neville Alexander zum Pädagogen für die anderen Gefangenen, die Insel entwickelte sich zur politischen Schule des Widerstands. Nach seiner Entlassung 1974 schloss er sich der Black Consciousness Bewegung an, die von den Gedanken Steve Bikos inspiriert war: „Die Biko-Generation prägte jungen wie älteren Leuten Selbstrespekt, Selbstachtung und Selbstbewusstsein ein. Sie hatten verstanden, dass die Sklavenmentalität die Ursache für das Gefühl von Machtlosigkeit, Verzweiflung und politischer Apathie ist“.

Ich habe Neville Alexander 1985 an der Universität Frankfurt kennengelernt, wo er als Gastprofessor über den Kampf gegen die Apartheid und die Befreiungspädagogik sprach. Als Anhänger des Unity Movements, das den Kulturboykott des ANC nicht für sinnvoll hielt, schlug er uns Studierenden vor, ein paar Monate nach Südafrika zu kommen und in den Bildungsprojekten des Widerstands als Freiwillige mitzuarbeiten. In jenen fünf Monaten Mitte der 1980er in Südafrika wurde ich als Zeugin mitten hineingeworfen in ein menschenverachtendes System, das sich nur noch mit roher Gewalt aufrechterhalten konnte. Durch Nevilles Kontakte konnte ich aber auch erleben, wie inmitten dieser Brutalität Menschen auf höchst kreative, intelligente und mutige Weise Widerstand organisierten und zugleich alternative Orte der Solidarität jenseits aller rassistischen, sozialen und politischen Grenzen schufen.

In dieser Zeit war Neville permanent auf der Flucht vor den Sicherheitskräften. Seine Strategie war es, immerfort die Orte zu wechseln und keine Routine im Tagesablauf erkennen zu lassen. Um ihn zu treffen, musste man ihn bei seinen Bewegungen begleiten, und so konnte ich ein paar Tage lang erleben, wie er arbeitet: Von 5-8 Uhr morgens schrieb er Texte und Reden, dann ging es von einem Treffen zum anderen – von politischen Versammlungen zum Besuch von Familienangehörigen der Gefangenen, zu Bildungsprojekten und geheimen Druckereien sowie zwischendurch zu Mahlzeiten bei „unpolitischen“ Verwandten und Freunden. Diese Erfahrungen haben mein Leben geprägt - und als ich später bei medico als Südafrika-Projektkoordinatorin arbeitete, traf ich Neville wieder. Langjährige medico-Projektpartner wie das Children’s Resource Centre versuchten seine befreiungspädagogischen Prinzipien auch nach der Apartheidzeit weiterzuentwickeln. Manche dieser Projekte scheiterten, weil sie ihrer Zeit weit voraus waren, andere endeten im Sektierertum.

Seine Waffe war das Wort und wer ihn einmal reden gehört hat, wird ihn nicht vergessen. Als Sprachwissenschaftler hat er sich zeitlebens mit Sprachpolitik und Macht auseinandergesetzt. Dass Südafrika elf offizielle Sprachen hat, ist wesentlich seinem Einfluss in der Sprachkommission zu verdanken. Seine kritischen Analysen der Post-Apartheidrealität, seine kompromisslose Weigerung, sich mit einem bequemen Posten an der Macht zu beteiligen (der ihm mehrfach angeboten wurde), seine Integrität und intellektuelle Brillanz brachten ihm auch bei seinen politischen Widersachern Hochachtung ein. Auf tragische Weise gibt die Realität nach dem Marikana-Massaker im Juli 2012 seinen radikalen Analysen recht: Die Abschaffung der Apartheid hat weder der ökonomischen Ausbeutung noch der rassistischen Ungleichheit oder politisch autoritären Strukturen ein Ende bereitet. Am Ende seines Lebens sprach er davon, wieder zu den Anfängen zurückzukehren und nach der Idee der psychologischen Befreiung im Sinne Steve Bikos zu suchen: „Die herrschende Weltsicht, dass ich im Namen der viel gerühmten ‚intellektuellen Eigentumsrechte‘ Anspruch auf Vergütung habe an allem, was sich meiner Initiative verdankt, läuft darauf hinaus, dass ein gutes Leben darin besteht, der Sieger zu sein im Kampf gegen die Mitmenschen, und im Extremfall muss ich ihnen ihre Menschlichkeit aberkennen, damit ich nicht durch mitmenschliche Gefühle davon abgehalten werde, sie zu töten.” Neville Alexander starb nach längerer Krankheit am 27.08.2012 in Kapstadt.

Usche Merk

Lesetipp: Neville Alexander, „Lasst uns zu den Anfängen zurückkehren - Auf der Suche nach dem Humanismus des 21. Jahrhunderts“, in: R. Wilke-Launer (Hg.), Südafrika - Katerstimmung am Kap, Brandes & Apsel 2010


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