Darüber, in welcher Situation sich aus der EU abgeschobene Menschen nach ihrer erzwungenen Rückkehr in ihren Herkunftsländern befinden, ist häufig wenig bekannt. Das Network of Ex-Asylum Seekers Sierra Leone (NEAS-SL) ist eine Selbsthilfegruppe von aus Deutschland abgeschobenen Sierra Leonern. Die Betroffenen befinden sich in einer ausgesprochen schwierigen Situation: Nach der brutalen Erfahrung der Abschiebung nach häufig mehr als einem Jahrzehnt in Deutschland, treffen sie in Sierra Leone auf Ablehnung und müssen mit sozialer Isolation umgehen.
Isolation überwinden
Diese Isolation zu überwinden ist das Ziel der NEAS. Für die Betroffenen stellt die Selbsthilfegruppe die Möglichkeit dar, mit anderen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, in Kontakt zu treten und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Abgeschobenen organisieren Workshops, bei denen sie ihre Geschichten erzählen können. Um sowohl die belastenden emotionalen Erfahrungen aufzufangen als auch die rechtliche Situation besser verstehen zu können, werden die Workshops von einer psychosozialen Fachperson sowie einem Menschenrechtsanwalt begleitet.
Mit einem Symposium trat die NEAS 2012 erstmals an eine größere Öffentlichkeit in Sierra Leone. Die Abgeschobenen berichteten Medienvertreterinnen und Menschenrechtsaktivistinnen von ihren erschütternden Erfahrungen. Die Anwesenden reagierten schockiert auf die Berichte darüber, wie unmenschlich und demütigend in Europa mit Asylsuchenden umgegangen wird. Mitglieder der NEAS wurden daraufhin eingeladen, in interaktiven Radioprogrammen über ihre Situation zu berichten und mit Anruferinnen zu diskutieren. Mit weiteren solchen Veranstaltungen will sich die NEAS sowohl für menschenwürdige Aufenthaltsbedingungen von Asylbewerberinnen in Europa einsetzen, als auch ein besseres Umfeld für Rückkehrer_innen in Sierra Leone schaffen.
Dokumentation
Berichte der Abgeschobenen
"Wir Mitglieder des Network of Ex-asylum Seekers Sierra Leone (NEAS-SL) wurden aus Deutschland abgeschoben. Unsere Abschiebungsgeschichten beginnen damit, dass wir aus Angst um unsere persönliche Sicherheit und unser Wohlbefinden aus Sierra Leone flohen. Der Grund für diese Angst und die folgende Flucht war für die meisten von uns der Bürgerkrieg, der unser Land von 1991 bis 2002 beherrschte.
Wir kamen zu unterschiedlichen Zeiten nach Deutschland und wurden gemäß dem deutschen Verteilungssystem für Asylsuchende in Asylbewerberwohnheime in verschiedenen Orten, wie zum Beispiel Berlin, Hamburg, Hannover oder Bayern, gebracht. Die Asylbewerberwohnheime befanden sich meistens in abgelegenen Teilen des Landes, in denen es schwierig war mit Freundinnen in Kontakt zu treten und Anschluss an soziale Netzwerke zu finden. In den meisten Fällen waren wir aufgrund der Residenzpflicht für Asylbewerberinnen gezwungen in unseren abgeschiedenen Wohnorten zu bleiben, unsere Bewegungsfreiheit war stark eingeschränkt. Einige unsere Mitglieder, die sich nicht an dieses unmenschliche Gesetz hielten, mussten Strafen zahlen oder kamen ins Gefängnis. Die Vorstrafen, die sie erhielten, verringerten ihre ohnehin geringe Chance, Asyl in Deutschland zu bekommen.
Alle unsere Anträge auf Asyl wurden abgelehnt, aber die meisten von uns wurden nicht sofort abgeschoben, ihr Aufenthalt in Deutschland wurde ‚geduldet’. Wie lange wir in Deutschland bleiben konnten war völlig ungewiss, wir konnten jederzeit abgeschoben werden. Diese Zeit verbrachten wir voller Angst. Wir lebten in ständiger Furcht und Unsicherheit, weil wir nie wussten, was am nächsten Tag passiert. Der Kampf darum, in Deutschland bleiben zu können, war sehr schwierig für uns. Einige unserer Mitglieder wollten ihre Freundinnen in Deutschland heiraten und hätten damit in Deutschland bleiben dürfen. Doch diese Möglichkeit wurde ihnen verwehrt.
Eines unserer Mitglieder heiratete als er im Gefängnis war und wurde trotzdem abgeschoben, obwohl das gegen deutsches Recht verstößt. Für die meisten von uns verschlimmerte sich die Situation, als eine Delegation der Regierung von Sierra Leone im Jahr 2000 Deutschland besuchte und erklärte, dass alle Sierra Leoner_innen, die als Asylsuchende in das Land gekommen waren, jetzt nach Sierra Leone zurückkehren könnten, da es dort nun friedlich wäre. Diese Behauptung machte die Lage für die meisten von uns, deren Asylanträge schon vorher abgelehnt wurden waren und die jetzt regelmäßig zur Ausländerbehörde gehen mussten um ihr Visum zu verlängern, viel schwieriger.
Wir würden auch gerne besser verstehen, wie die deutschen Behörden Reisedokumente für unsere Abschiebung bekamen und welche Rolle unsere eigenen Behörden bei der Ausstellung der Dokumente spielten (wenn sie überhaupt eine Rolle spielten). Das ist sehr wichtig, da wir in einigen Fällen herausfanden, dass die Dokumente nicht echt waren.
Wenn solche Reisedokumente vorlagen wurden unsere Mitglieder verhaftet, meistens dann wenn sie in die Ausländerbehörde kamen, um ihre Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern. Unvorbereitet und völlig überraschend von der Polizei in der Ausländerbehörde festgenommen zu werden, war wirklich traumatisch und grausam. Manche von uns hatten nichts weiter bei sich, als sie verhaftet und zu einem Abschiebegefängnis gebracht wurden.
Während wir im Gefängnis unsere Abschiebung erwarteten, setzte sich unser Leid fort. Diejenigen unserer Mitglieder, die sich ihrer erzwungenen Rückkehr widersetzten, mussten Folter und brutale Schläge durch die deutschen Polizistinnen ertragen. Eines unserer Mitglieder berichtete, dass er so erbarmungslos von der Polizei geschlagen wurde, dass er dachte, Sterben zu müssen. Ein anderer erzählte, wie sein Zimmergenosse starb, nach dem er von Polizistinnen gefoltert worden war.
Ein Problem waren auch rassistische Beschimpfungen durch Polizist_innen. Eines unserer Mitglieder erzählte, wie ein Polizist ihn als schwarzer Affe beschimpfte, der kein Recht hätte in Deutschland zu bleiben, als er dem Polizist sagte, dass er nirgendwohin gehen werde.
Bei einigen von uns wurde im Abschiebegefängnis der Kontakt zu unseren Anwälten oder sogar zu Familienmitgliedern eingeschränkt. Es gab sogar Fälle, in denen Familie und Freund_innen nichts über die plötzliche Verhaftung und den folgenden Arrest im Abschiebegefängnis wussten. Eines unserer Mitglieder wurde verhaftet und zum Abschiebegefängnis gebracht, als seine Freundin schwanger war. Er konnte sein Kind nie sehen. Er wurde schnell abgeschoben, bevor das Baby geboren wurde.
Seine schöne Tochter ist jetzt 8 Jahre alt und der abgeschobene Vater kann nur per Telefon mit ihr sprechen. Die Gespräche enden manchmal in Tränen, wenn die Tochter fragt: „Papa, wann können wir uns endlich treffen?“ Aber in einem gewissen Sinne hat er es noch gut getroffen! Einige von uns haben nicht einmal mehr Kontakt zu unseren Kindern in Deutschland. Da wir gezwungen wurden nach Sierra Leone zurückzukehren, können wir nicht länger mit unseren Kindern zusammen sein, die jetzt bei ihren Müttern in Deutschland leben. Das ist unglaublich schmerzhaft und ein brutales Ergebnis davon, entwurzelt zu werden. Wie grausam!
Unsere gemeinsamen Erfahrungen zeigen auch, dass es die Abschiebebehörden nicht interessiert, ob du in Deutschland gearbeitet hast oder nicht, oder ob du Geld gespart hast oder nicht. Wenn du abgeschoben wirst, wirst du meistens ohne jeden Besitz abgeschoben. Eines unserer Mitglieder erzählt, dass er, während er in Deutschland geduldet wurde, 5 Jahre lang arbeitete. Als er verhaftet und zum Abschiebegefängnis gebracht wurde, konnte er nicht mehr an seine Ersparnisse kommen. Als er am Flughafen einen Geldautomaten sah, bat er die Polizist_innen, die ihn begleiteten, ihn zu erlauben, etwas Geld von seinem Konto abzuheben. Aber sie ließen ihn kein Geld abheben, obwohl er ihnen seine Bankkarte zeigte.
Der Transport vom Abschiebegefängnis zum Flughafen war ebenfalls entsetzlich. Um öffentliches Aufsehen zu verhindern, passierte dies meist zu merkwürdigen Zeiten – mitten in der Nacht oder am frühen Morgen. Einige unserer Mitglieder wehrten sich und wurden von ihren Begleitpolizistinnen gefoltert. Da es keine Zeugen gab, konnten die Polizistinnen tun, was immer sie wollten. Einer von ihnen wurde so schlimm geschlagen, dass er am Ende eine gebrochene Hand hatte. Einige von uns waren vom bloßen Anblick der Polizist_innen so eingeschüchtert, dass sie vor Angst zitterten. Die Ereignisse während des Fluges waren ebenso quälend. Einige unserer Mitglieder wurden gefesselt, ihnen wurden die Augen verbunden und Handschellen angelegt. In einigen Fällen wurden die Fesseln erst nach der Ankunft in Lungi in Freetown abgenommen.
Wieder zurück in Sierra Leone war es nicht einfach für uns, von unseren Familien wieder aufgenommen und akzeptiert zu werden. Wir wurden stigmatisiert, zum Schweigen gebracht und zurückgewiesen. Das führte dazu, dass die meisten von uns sich von ihren Familien und Freundinnen zurückzogen und in Isolation lebten. Unsere Familienmitglieder und Freundinnen machten uns selber für unsere erzwungene Rückkehr verantwortlich. Sie beschuldigten uns Drogendealer, Kriminelle und unanständige Menschen zu sein, die während der Zeit in Deutschland nicht genug getan hätten, um Häuser zu bauen und Geld nach Hause zu schicken. All das Leid, das wir in Deutschland erlebt hatten, wurde als unser eigener Fehler angesehen. Niemand wollte uns zuhören, obwohl wir so viel zu erzählen hatten. Einige von schafften es damit umzugehen, andere bekamen psychosoziale Probleme und andere psychische Störungen aufgrund des gesellschaftlichen Druckes.
Wir hoffen, dass wir mit den Berichten von unseren Erfahrungen mit der restriktiven Asylpolitik und der rücksichtslosen Abschiebepraxis der EU, bzw. in unseren Fällen Deutschlands, erreichen können, dass die Leute hier verständnisvoller und entgegenkommender auf die Abgeschobenen reagieren. Das ist nach der traumatischen Erfahrung unserer erzwungenen Entwurzelung unbedingt notwendig.
Am Ende möchten wir sagen, dass für die meisten von uns Deutschland wie eine Heimat war. Einige von uns lebten dort für über ein Jahrzehnt. Es gab dort viele nette Leute, die uns wirklich helfen wollten. Wir haben immer noch gute Freund_innen und Familie dort. Aber die Abschiebepraxis war grausam und eine eklatante Verletzung unserer Grundrechte."