Ein Appell von Stand by me Lesvos (Mytilini, Lesbos) & medico international (Frankfurt)
Tausende Geflüchtete aus Afghanistan erhielten, oft nach Jahren des Wartens in einem der so genannten Hotspots auf den griechischen Inseln, von denen das berüchtigte Lager Moria nur der bekannteste war, eine Ablehnung ihres Asylbescheids. Begründung: Ihr Antrag sei unbegründet, eine Rückkehr nach Afghanistan möglich, schließlich sorgten dort NATO und ISAF für Sicherheit und es existierten hinreichende rechtsstaatliche Strukturen. Tatsächlich ist Afghanistan laut Global Peace Index das gefährlichste Land der Welt: Terroranschläge, schlechte Lebensbedingungen und politische wie auch geschlechtsbezogene Verfolgung sind berechtigte Fluchtgründe.
Die Argumentation der Behörden ist spätestens mit dem Fall Kabuls und der chaotischen Evakuierung im August dieses Jahres hinfällig geworden, war aber auch vorher schon nicht haltbar. Afghanistan ist nicht sicher – schon gar nicht für Menschen, nach einer Flucht vor den Taliban zurückgeschickt werden. Alle Entscheidungen, die in Bezug auf Asylanträge von griechischen Behörden getroffen wurden, sind spätestens jetzt hinfällig.
Mehrere Jahre haben diese Menschen auf den griechischen Inseln ein menschenunwürdiges Leben fristen müssten, in Zelten, die nicht winterfest sind, mit mangelhafter medizinischer Versorgung, im Dauerlockdown wegen der Corona Pandemie und manche verloren vor einem Jahr auch noch alles, was ihnen geblieben war, in verheerenden Bränden. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson verkündete nach dem Brand des Flüchtlingslagers auf Lesbos: „No More Morias“ – die Situation für die Menschen in den griechischen Lagern ist jedoch weiterhin sehr schlecht. Und die EU investiert in die weitere Militarisierung der Außengrenze: illegale Pushbacks, Kriminalisierung Geflüchteter in Schnellverfahren und der Bau von „Gefängnislagern“ sollen abschrecken und Migration verhindern, statt humane Lösungen zu finden.
Bis zuletzt hat die griechische Regierung auf Abschiebungen nach Afghanistan gedrungen, gemeinsam mit Deutschland unterzeichnete sie den Brief verschiedener europäischer Regierungen für weitere Abschiebung – nur drei Tage vor der Machtübernahme der Taliban. Durch den EU/Türkei Deal wurde inzwischen die Türkei auch für Afghan:innen als sicheres Drittland erklärt. Die griechischen Migrationsbehörden interessieren sich bei afghanischen Antragsteller:innen nun vorrangig für ihre Sicherheitslage in der Türkei, um sie dorthin abzuschieben. Die Türkei wiederum hat in den letzten Jahren regelmäßig nach Afghanistan oder angrenzende Länder (Iran, Irak) abgeschoben – afghanische und andere Geflüchtete sind also akut von Kettenabschiebungen bedroht, sollte die Türkei sie wieder aufnehmen. Momentan schützt einzig die Covid-Pandemie Geflüchtete in Griechenland vor Rückschiebungen, denn seit letztem Jahr weigert die Türkei sich mit Verweis auf Corona abgelehnte Asylbewerber:innen aufzunehmen. Dies kann sich allerdings jederzeit ändern. Griechenland drängt massiv auf eine Aufhebung des Rücknahmestopps.
Erdogan pflegt gute Beziehungen zu den Taliban, die Türkei soll perspektivisch den Flughafen in Kabul verwalten. Dass Abschiebungen nach Afghanistan und damit in ein von den Taliban regiertes Land stattfinden, ist ein Szenario, dass Geflüchtete in Griechenland wie in der Türkei zurecht fürchten. In der Türkei sitzen zehntausende Afghan:innen, die auch vor den Taliban geflohen sind, in Abschiebegefängnissen oder halten sich illegalisiert im Land auf.
Wir fordern deshalb das griechische Ministerium für Migration auf, umgehend allen Asylantragsteller:innen, die noch immer auf griechischen Inseln und dem Festland ausharren müssen, einen Aufenthaltstitel zu geben. Wir fordern die Europäische Union auf, Griechenland damit nicht allein zu lassen und Geflüchtete mit anerkanntem Status umgehend in Europa aufzunehmen. Wir fordern die (alte und neue) deutsche Bundesregierung auf, sich für diese Aufnahme einzusetzen. Es gibt in Deutschland die Bereitschaft vieler Städte und Kommunen dafür.
Die Menschen auf den griechischen Insel – Geflüchtete wie Bewohner:innen – dürfen nicht länger den Preis für eine völlig verfehlte und inhumane Asylpolitik Europas zahlen. Die Anerkennung und Aufnahme der Geflüchteten ist die einfachste Lösung, um die menschenunwürdigen Hotspots aufzulösen. Europäische Solidarität ist jetzt mehr denn je gefragt. Afghan:innen, ebenso wie andere Geflüchtete, die an den Rändern Europas festsitzen, müssen das Recht auf Bewegungsfreiheit und ein Leben in Würde bekommen können und die Lager Richtung Europa verlassen dürfen.