Lesbos, 7. Juni 2022. Vor dem Gerichtshof der Kleinstadt Mytilene auf der griechischen Insel Lesbos ziehen schwer bewaffnete Polizisten zwei afghanische Jugendliche aus einem vergitterten Gefängnisbus. Die beiden Jungen sind in Handschellen aneinander gefesselt und werden zügig ins Gerichtsgebäude geführt, ohne dass sie in Kontakt mit der kleinen Gruppe an Unterstützer:innen treten können, die vor dem Gebäude warten.
Die Jugendlichen, A.A. und M.H., sind heute 18 und 19 Jahre alt. Als unbegleitete Minderjährige wagten sie die gefährliche Überfahrt im Schlauchboot von der Türkei bis auf die griechische Insel Lesbos, um Schutz in Europa zu suchen. Sie kamen in das überfüllte Lager Moria, in dem zu diesem Zeitpunkt fast 20.000 Menschen auf engem Raum zusammengepfercht in Containern und Zelten lebten. Schon bald nach ihrer Ankunft wurde im April 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie eine Ausgangssperre im Lager verhängt, die es den Geflüchteten immer schwerer machte, sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Die Situation eskalierte, als im September erste Infektionen mit dem Virus festgestellt und positiv getestete Geflüchtete und ihre Kontaktpersonen gegen ihren Willen in geschlossene Isolationscontainer gesperrt wurden. Kurz darauf kam es zum größten Brand in der unrühmlichen Geschichte des Lagers Moria.
Direkt nach dem Brand wurden die beiden Jugendlichen und vier weitere junge Erwachsene aus Afghanistan – zusammen auch bekannt als Moria 6 – festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. Sechs Monate später, am 9. März 2021 wurden A.A. und M.H. schließlich zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die vier weiteren Angeklagten, vom Gericht als volljährig eingestuft, zu zehn Jahren Haft.
Die Anwält:innen der Betroffenen legten daraufhin Berufung ein und stellten detailliert dar, wie grundlegende Verfahrensstandards und das Prinzip der Unschuldsvermutung im Prozess von Beginn an unterlaufen worden war. Keine:r der Zeug:innen hatte A.A. und M.H. identifizieren können. Sie wurden lediglich aufgrund der inkonsistenten schriftlichen Aussage eines nicht anwesenden Geflüchteten verurteilt, der bei der Polizei Vornamen angegeben hatte, die auch auf die Angeklagten passten. Der andere „Beweis“ war ein Video, dessen forensische Analyse jedoch keine Rückschlüsse auf die Angeklagten zuließ. Dennoch wurde auch im Berufungsverfahren gegen A.A. und M.H. vom 7. Juni 2022 der Schuldspruch bestätigt. Das Gericht reduzierte lediglich die Haftstrafe wegen guter Führung um ein Jahr. Dass die Angeklagten trotz des Mangels an Beweisen erneut verurteilt wurden, überraschte weder Anwält:innen noch Prozesbeobachter:innen: Noch vor der Festnahme der Jugendlichen hatte der griechische Migrationsminister Notis Mitarachis bereits öffentlich erklärt, sechs afghanische Flüchtlinge hätten das Lager in Brand gesetzt – für ihre Anwältin Vicky Aggelidou eine klare Vorverurteilung.
Systematiken der Einsperrung
Das Urteil gegen die zwei jugendlichen Geflüchteten ist symptomatisch – es steht nicht nur für das Versagen des von Rassismus durchzogenen griechischen Rechtssystems, sondern vor allem für das systematische Scheitern der europäischen Migrationspolitik, die sich nicht anders zu helfen weiß, als Schutzsuchende mit Kriminalisierung und Einsperrung zu begegnen.
Das Prinzip dahinter ist so simpel wie erschreckend: Es werden diejenigen zu Schuldigen gemacht, die von Rassismus betroffen sind und sich am wenigsten wehren können – für die griechischen Gerichte ist dies ein reiner Verwaltungsakt, für den griechischen Staat und die Europäische Union eine Maßnahme der Abschreckungspolitik, die die Möglichkeit birgt, sich von jeglicher Schuld reinzuwaschen und weiter migrationspolitisch mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen.
Was auf Lesbos passierte, ist auf mehreren Ebenen skandalös und geprägt von doppelten Standards: Während europäisches und griechisches Rechtssystem nicht Willens und in der Lage ist, sichere Fluchtwege für BIPoC (Black, Indigenous und People of Colour) zu schaffen und eigene Institutionen wie die Grenzschutzagentur FRONTEX oder die griechische Küstenwache für massive Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen, trifft der Wille zum Strafen geflüchtete Menschen umso härter.
Das Verfahren vom 7. Juni ist und bleibt kein Einzelfall. Über die Jahre wurden zahlreiche Fälle der Kriminalisierung von Geflüchteten in Folge von Protesten gegen die Lebensbedingungen in den europäischen Hotspotlagern von Aktivist:innen und Anwält:innen dokumentiert. Sie zeigen, dass es im Nachgang kollektiver Demonstrationen immer wieder zu willkürlichen Festnahmen und mitunter auch Verurteilungen von Einzelpersonen kommt – unabhängig davon, ob diese an den Protesten beteiligt waren oder nicht. Am 22. Juni wird zudem ein Prozess gegen eine 27-jährige Frau eröffnet, die in einem Verzweiflungsakt ihr eigenes Zelt im Moria-Nachfolgelager Mavrovouni in Brand setzte und dabei schwer verletzt wurde. Noch am Krankenhausbett wurde ihr die Anklage der Brandstiftung, Gefährdung von Menschenleben und Zerstörung von öffentlichem Eigentum vorgelegt.
Auffällig ist, dass Verfahren gegen Geflüchtete – auch wenn sie nicht mit Protestaktionen in Verbindung stehen – von einer systematischen Täter-Opfer-Umkehr geprägt sind. Beispielsweise wird versucht, Geflüchtete selbst für Unglücke bei der Überfahrt nach Griechenland verantwortlich zu machen, wie im Fall der Samos 2: In Folge eines Bootsunglücks vor der Insel Samos im November 2020 ertrank ein sechsjähriger Junge. Die Küstenwache wurde unmittelbar über das gekenterte Boot informiert, traf aber erst nach mehreren Stunden ein und führte keine Rettungsmaßnahme durch.
Während die unterlassene Hilfeleistung der Küstenwache ohne Konsequenzen blieb, wurde der Vater des verstorbenen Kindes wegen „Kindeswohlgefährdung“ und der Fahrer des Bootes wegen „Beihilfe zur illegalen Einreise“ vor Gericht gestellt. Die öffentliche Aufmerksamkeit verhalf dem Vater schließlich am 18. Mai 2022 zum Freispruch und dem als Fahrer des Bootes Angeklagten zu einer verhältnismäßig geringen Bewährungsstrafe.
Fernab der Öffentlichkeit kommt es jedoch immer wieder zu Verurteilungen in Verfahren, die grundlegende Rechtsstandards unterlaufen, wie eine Studie auf Basis von 48 Gerichtsverfahren gegen vermeintliche „Schleuser“ belegt. Es handelt sich um Gerichtsprozesse gegen Männer, denen vorgeworfen wird, Flüchtlingsboote von der türkischen Küste zu den griechischen Inseln gesteuert zu haben – zumeist selbst Asylsuchende. Die Studie legt dar, dass die Betroffenen in allen der untersuchten Fällen verurteilt wurden – in Prozessen, die im Durchschnitt nur 27 Minuten andauerten wurden Gefängnisstrafen von durchschnittlich 48,65 Jahren und Geldstrafen von ca. 396.687,50 EUR verhängt.
Moria hätte es niemals geben dürfen
Das Feuer in Moria bedeutete für viele Menschen eine Katastrophe. Doch Aktivist:innen werden nicht müde zu betonen, dass die eigentliche Katastrophe das Lager selbst war. Schon lange vor dem Brand war Moria offensichtlicher Ausdruck des Versagens der europäischen Migrationspolitik geworden. Von Beginn an war das Lager ein Pilot-Projekt des gemeinsamen europäischen Migrationsmanagements, erschaffen durch den sogenannten Hotspot-Ansatz der Europäischen Agenda für Migration 2015. Die „Hotspot-Lager“ wurden auf fünf griechischen Inseln und in Italien als Orten mit „außergewöhnlichen Migrationsströmen“ errichtet und sollten Migrant:innen bereits an der EU-Außengrenze registrieren und zügig in verschiedene Verfahrensabläufe schleusen. Ziel war unter anderem das Dublin-System, das durch den langen Sommer der Migration 2015 außer Kraft gesetzt wurde, wiedereinzusetzen und Kontrolle zurückzuerlangen.
Der EU-Türkei-Deal vom März 2016 verwandelte schließlich die griechischen Inseln in Freiluft-Gefängnisse und Moria in ein Elendslager. Die Inseln wurden abgeriegelt und ein „beschleunigtes Grenzverfahren“ etabliert, um direkt von den Inseln Abschiebungen in die Türkei durchzuführen. Obwohl im Schnellverfahren grundlegende Rechtsstandards massiv unterlaufen werden, gelang es nicht annähernd wie geplant, die Inseln durch Abschiebungen zu leeren. Anstatt jedoch anzuerkennen, dass der technokratische EU-Türkei-Deal nicht funktionierte, aber dramatische Folgen für Flüchtende nach sich zog, sprach sich die EU auch nach dem Brand von Moria von jeglicher Verantwortung frei. Ebenso wies die rechts-konservative griechische Nea Dimokratia-Regierung jegliche Verantwortung für den Brand von sich.
Die Ursachen für die zahlreichen Feuer, die über drei Tage hinweg das Symbol für Europas entmenschlichende Lagerpolitik in Schutt und Asche legten, wurden nie im Detail aufgearbeitet. Zwar gibt es Augenzeug:innen, die angeben, das Lager sei von lokalen faschistischen Gruppierungen in Brand gesetzt worden, doch es ist auch gut möglich, dass einige Geflüchtete aus Wut und Verzweiflung gegen das Lagersystem aufbegehrten. Der fatale gesundheitspolitische Umgang mit der Pandemie hatte die Verzweiflung der Lager-Bewohner:innen immer weiter gesteigert. Nur wenige Tage vor dem Brand war bekannt geworden, dass der griechische Staat einen Vertrag über mehr als 850.000 Euro mit einer privaten Sicherheitsfirma abgeschlossen hatte, um das Lager mit einem Hightech-Sicherheitszaun vollständig von der Außenwelt abzuriegeln. Nach sechs Monaten Ausgangssperre war das Vertrauen in die Autoritäten weiter gesunken – viele der Menschen im Lager hielten die Covid-Tests nur für einen Vorwand, Geflüchtete weiter einzusperren, und es kam zu Unruhen vor der Isolationsstation.
Auch wenn die unmittelbare Ursache des Feuers bis heute nicht geklärt werden konnte, ist klar: Die politische Verantwortung für den Brand liegt vor allem bei der Europäischen Union und ihrer gescheiterten Flüchtlingspolitik. Dafür, dass die sechs verurteilten Jugendlichen aus Afghanistan an den Bränden mitgewirkt haben sollen, fehlen nach wie vor jegliche Beweise.
Humanitarismus im Dienste der Gefängnislager
Ein Rückblick auf den Brand von Moria und die daraus resultierenden politischen Entwicklungen zeigt, dass die Versuche, geflüchtete Menschen wegzusperren, nicht nur über Kriminalisierung funktionieren. Neben dem Bild von jungen Männern als vermeintlich gefährlichen Schleusern oder Brandstiftern, trug auch der Blick auf Geflüchtete als bedürftige Opfer dazu bei, ihre politischen Forderungen nach Bewegungsfreiheit zu ignorieren und haftartige Lager auf den griechischen Inseln zu etablieren.
Es war nicht zuletzt eine wenig reflektierte Form von Humanitarismus in Folge des Lagerbrands, die massiv dazu beitrug, die Infrastrukturen der europäischen Abschottung als vermeintlich humanitäre Hilfe auszubauen. Die Darstellung der Geflüchteten als Opfer eines tragischen Unglücks anstatt als politische Akteur:innen, die sich gegen das Lagersystem zur Wehr setzten, führte zur Entpolitisierung der Situation. Trotz der Vorgeschichte zahlloser Brände in Moria wurde das Feuer im September 2020 wie eine plötzliche humanitäre Katastrophe anstatt einer vorhersehbaren Folge des europäischen Lagersystems behandelt. Wie bei allen vergangenen Bränden gab es keinen Notfallplan zur Evakuierung und zur Grundversorgung der Betroffenen.
In Anbetracht der hungernden Menschen auf den Straßen wurden politische Positionen unsagbar, die die Errichtung einer temporären Unterbringung ablehnten. Zudem verkündete die griechische Regierung, dass Migrant:innen nicht für die Brandstiftung belohnt werden dürften, da dies Nachahmungseffekte erzeugen würde. Anstatt den Menschen die Ausreise in andere Staaten zu ermöglichen, wie in zahlreichen europaweiten Demonstrationen gefordert wurde, errichtete die Regierung mit Hilfe der EU und einiger NGOs das behelfsmäßige Lager Mavrovouni an der Küste von Lesbos, in dem die Bedingungen heute noch katastrophaler sind als zuvor in Moria.
Trotz ihrer prekären Lage weigerten sich viele der Betroffenen, das neue Camp zu betreten. Sie wussten um die schlechten Bedingungen im Lager und ahnten, dass damit ein Status quo geschaffen wird, der sie samt ihrer politischen Forderungen von der Öffentlichkeit isolieren würden. Eine Notstandsverordnung ermöglichte es der Polizei schließlich, Proteste zum Schweigen zu bringen und die Menschen unter Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken in das Lager zu zwingen – was von internationalen Medien kaum rezipiert wurde. In diesem Zuge konnte auch das jahrelang bestehende Solidaritätscamp Pikpa mit besonders schutzbedürftigen Geflüchteten stillschweigend von der Polizei geräumt und die Menschen nach Mavrovouni gebracht werden.
Fatalerweise trugen somit gerade die weltweit zirkulierenden Bilder von hilflosen Familien und Kindern auf den Straßen dazu bei, die von EU und griechischer Regierung lange vorbereiteten Pläne der sogenannten Closed Controlled Centres auf den griechischen Inseln umzusetzen. Schon im Juni 2018 hatte die Europäische Kommission den Plan zur Errichtung sogenannter Disembarkment Platforms und Controlled Centres mit abgesenkten Rechtsstandards angekündigt. Die Bemühungen der griechischen Regierung, gefängnisartige Unterkünfte für Geflüchtete auf den Inseln zu etablieren, scheiterten jedoch Anfang 2020 zunächst an den starken Protesten der Bevölkerung und der Zurückweisung der EU, diese zu finanzieren. Erst nach dem Brand in Moria gelang der Durchbruch und in Windeseile wurden Notfallfonds in Millionenhöhe ausgeschüttet. Insgesamt flossen 276 Millionen Euro EU-Gelder an die griechische Regierung, um fünf sogenannte „Multiple Purpose Reception and Identification Centers” auf den griechischen Inseln zu errichten
Doch anstatt die Lage zu verbessern, wurden die menschenunwürdigen Unterbringungsformen auf den griechischen Inseln dadurch buchstäblich zementiert, auch wenn dies von der EU als humanitäre Notfallintervention verkauft wurde. Denn de facto perpetuieren die neuen Lager das Modell Moria. Optisch konstruiert wie Gefängniskomplexe ist ihre Funktionsweise klar von den europäischen Hotspotlagern mit ihrem beschleunigten Grenzverfahren unter dem EU-Türkei-Deal abgeleitet.
Der sogenannte Europäische Pakt für Migration und Asyl wurde mit Bezugnahme auf den Brand in Moria präsentiert. „No more Morias“, forderte die Europäische Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und erklärte stolz, nun würden „menschenwürdige Bedingungen für ankommende Migranten und Flüchtlinge“ geschaffen. Doch der Pakt, der als vorläufiges Resultat der seit Jahren festgefahrenen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) präsentiert wurde, stellt sich eher als Pakt gegen Migration dar – eben weil er zentrale Elemente der Sonderrechtsregelung in Moria aufgreift und verallgemeinert. Insbesondere der Kontrollapparat rund um die Lager wurde verschärft – dies drückt sich in den neuen Lagern im stark regulierten Ein- und Ausgang, sowie der getrennten Unterbringung von Geflüchteten nach Nationalitäten und Asyl-Anerkennungsraten aus.
Auf Lesbos konnte bisher noch kein neues „Multiple Purpose Reception and Identification Center” errichtet werden. Dafür wurde das Übergangslager Mavrovouni trotz der fatalen Lage auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz mit bleiverseuchtem Boden und der regelmäßigen Überschwemmungen durch die direkte Küstenlage zu einem von Mauern und Stacheldraht abgeschirmten Dauerlager verfestigt.
Die drastischsten Auswirkungen der Einsperrungspolitiken lassen sich jedoch insbesondere auf der Insel Samos beobachten. Das dort errichtete „Multiple Purpose Reception and Identification Center” wirkt wie ein gefängnisartiges Panoptikum. Hoch in den Bergen, fernab der größten Stadt Vathy gelegen, reihen sich weiße uniforme Container hinter mehrfachen Zaunreihen mit Nato-Draht aneinander. Im Vergleich zu den bisherigen Lagern ist keinerlei individuelle Gestaltung des uniformen Geländes zu erkennen. Insgesamt soll 3000 Menschen Platz geboten werden, doch aktuell sind nur wenige hundert Menschen dort untergebracht. An Mästen um das Lager sind Kameras befestigt, die zum Teil bis ins Innere der Wohncontainer hineinfilmen. Polizei und eine private Sicherheitsfirma patrouillieren 24 Stunden am Lagereingang, der über Chipkarten geregelt wird und eine Sicherheitsschleuse beinhaltet, in der Geflüchtete durchsucht werden. Der Gefängnisbereich (das sogenannte Pre-removal centre PROKEKA) ist mit zusätzlichen Zäunen und Wachtürmen ausgestattet. Drohnen fliegen über das Areal und eine spezielle Software soll zum Einsatz gebracht werden, die Bewegungen registriert und dazu dient, Menschenansammlungen zu unterbinden.
Das semi-geschlossene Lager auf Samos ist sowohl abgleitet vom Modell Moria als auch Ausdruck der Unterbringungsformen, die im Europäischen Pakt für Migration und Asyl vorgesehen sind. Es ist Vorbote einer dystopischen Zukunft der vollständigen Isolation und Entpersonalisierung von Schutzsuchenden, ein Prototyp, der bald auch in anderen Regionen entstehen könnte.
Kritische Hilfe?!
In Anbetracht der Zuspitzung der Situation auf den griechischen Inseln, der massiven Erosion von Grundrechten und dem Fluss von Hilfsgeldern in die Konstruktion menschenverachtender Lager stellt sich umso dringender die Frage, wie kritische Hilfe in diesem Kontext gedacht und wirksam umgesetzt werden kann.
Gemeinsam mit Partner:innen vor Ort zielt die Arbeit von medico international darauf, Unterstützungsstrukturen für geflüchtete Menschen jenseits des Lagersystems bereitzustellen und die politische Selbstorganisierung der Menschen zu stärken. Zudem setzen wir verstärkt darauf, Organisationen zu unterstützen, die sich gegen die Kriminalisierung von Geflüchteten sowie in gezielter Verfahrensberatung und strategischer Prozessführung gegen den Abbau grundlegender Rechtsstandards stellen. Die Dokumentation von Rechtsverletzungen an Land und auf See und die kritische Auseinandersetzung mit unreflektierten humanitären Interventionen bildet dabei die zentrale Grundlage einer informierten und politischen Arbeit vor Ort. In diesem Kontext ist auch die willkürliche Verurteilung von A.A. und M.H. kein Einzelfall, sondern steht symptomatisch für die schier unaufhaltsame Entrechtung von Schutzsuchenden an den europäischen Außengrenzen.