Migration

Vorbild Moria?

05.09.2020   Lesezeit: 2 min

Wie das „Gemeinsame Europäische Asylsystem“ reformiert werden soll.

Von Ramona Lenz

Abwehren, internieren, rückführen: ein Dreiklang der Entrechtung, der sich an vielen Orten der Welt im Umgang mit unerwünschten Flüchtlingen und Migrant*innen durchgesetzt hat. Die Europäische Union arbeitet von der nigrischen Sahara bis in die deutschen AnkER-Zentren daran, ihn in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Vor allem die an den Außengrenzen der EU etablierten „Hotspots“ dienen als Laboratorien, in denen die möglichst restriktive Gestalt des zukünftigen europäischen Grenzregimes erprobt wird. Die mit Inkrafttreten des EU-Türkei-Abkommens am 18. März 2016 auf den griechischen Inseln geschaffenen Sonderrechtszonen bieten einen besonderen Rahmen für die weitgehende Entrechtung von Flüchtlingen und Migrant*innen.

Der Bundesregierung, die aktuell die EU-Ratspräsidentschaft innehat, dienen die Erfahrungen aus den „Hotspots“ als Vorlage für die geplante Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), wie eine aktuelle Studie von Valeria Hänsel und Bernd Kasparek zeigt. In einem Konzeptpapier vom Februar 2020 schlägt die Bundesregierung vor, den eigentlichen Asylverfahren eine Vorprüfung voranzustellen – idealerweise schon vor der Einreise – und die Verfahren so zu beschleunigen. Auch eine Ausweitung freiheitsentziehender Maßnahmen in grenznahen Infrastrukturen der Internierung und Abschiebung ist vorgesehen. All diese Maßnahmen werden bereits seit einigen Jahren in den „Hotspots“ auf den griechischen Inseln erprobt – auf Kosten der betroffenen Menschen.

Die Corona-Pandemie erweist sich nun als Gelegenheit, den Prozess zu beschleunigen. Es besteht die Gefahr, dass Restriktionen, die zur Eindämmung der Pandemie eingeführt wurden – wie der seit Monaten immer wieder verlängerte Lockdown der Lager auf den griechischen Inseln –, verstetigt werden. Die gelegentliche als humanitäres Spektakel inszenierte Aufnahme einiger weniger besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge (bevorzugt kranker Kinder) in anderen europäischen Ländern widerspricht diesem Szenario nicht. Sie kommt den Forderungen der Zivilgesellschaft nach Aufnahme ein wenig entgegen, um die Akzeptanz der restriktiven und entrechtenden Maßnahmen an den EU-Außengrenzen zu erhöhen. Maßstab für den Umgang mit Flüchtlingen und Migrant*innen müssen jedoch wieder die Rechte der Menschen werden – und nicht länger ihre Vulnerabilität.

Ramona Lenz (Foto: medico)

Ramona Lenz ist Kulturanthropologin. Bis Mitte 2024 war sie Sprecherin der Stiftung medico und über viele Jahre in der Öffentlichkeitsarbeit von medico international zuständig für das Thema Flucht und Migration.

Twitter: @LenzRamona


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