Aufbruch auf Rädern

Afghanistan: Die amputierten Fahrradkuriere von Kabul

01.04.2003   Lesezeit: 3 min

Fahrradkuriere in Kabul. In frisch gestärkten Uniformen, die an ihnen hängen, als seien sie noch nie getragen worden, stehen sie auf staubiger Straße vor einem Ruinenfeld. Sie blicken nicht frohgemut in die Zukunft. Wie sollten sie auch. Sie schauen höchstens auf das hochhausgroße Porträt von Abu Schah Massud, dem ermordeten Führer der Nordallianz. Er teilt das Schicksal vieler toter Helden und kann sich nicht dagegen wehren, zur Ikone der Unterwerfung Kabuls benutzt zu werden. Wer über die großen Dinge in Kabul spricht, dem kommt nichts tröstliches über die Lippen.

Aber die Fahrradkuriere. Sie haben Aufträge. Denn auch im ungeregelten Verkehrschaos von Kabul ist man mit dem Fahrrad schneller und beweglicher. Das Schicksal der Kuriere ist eigentlich nichts besonderes in einem kriegszerrütteten Land wie Afghanistan. Sie sind alle Prothesenträger. Die meisten haben Gliedmaßen bei einem Minenunfall verloren. Dass sie nun einem Broterwerb mit dem Fahrrad nachgehen, ist allerdings eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte.

Sie hat ihren Ursprung in der östlichen Provinzstadt Jalalabad, in der die Leute von AABRAR wider alle afghanischen Erfahrung, mit nicht zu überbietendem Optimismus das menschliche Maß verteidigen. AABRAR sind die »afghanischen amputierten Fahrradfahrer für Rehabilitation und Erholung«. Dr. Abdul Basir hat die Organisation gegründet, weil er weiß, dass nur die Behinderten und Kriegskrüppel selbst ihre Rechte durchsetzen können. Dazu müssen sie sich bewegen können, und so kam es zu den Fahrrädern. Denn wer sich bewegen kann, der hat die Chance zur Selbstbestimmung und kann seine Familie versorgen. Der ist unabhängig und selbstbewusst. Seither bietet AABRAR den Behinderten nicht nur Kurse im Fahrradfahren an, sondern auch in Alphabetisierung und Mathematik. Mädchen und Frauen lernen hier das Nähen, Männer den Broterwerb als ­Scherenschleifer, Zuckerwattenbäcker oder eben Fahrradkurier. Ziel aller Aktivitäten ist es, die Abhängigkeit der Behinderten zu reduzieren und diesen »verwundbarsten und marginalisiertesten Menschen zu helfen, ein produktives Mitglied ihrer Familien zu werden und ihre Fähigkeiten für die Unterstützung ihrer Familien einzusetzen«, schreibt AABRAR. Denn in Konfliktregionen wie Afghanistan werden Menschen mit Behinderungen und Frauen in der Regel ihrer Grundrechte beraubt. Sie sind bevorzugtes Opfer von Gewalt, Missbrauch und Diskriminierung – auch innerhalb der Familien. AABRAR versucht dem eine andere Lebenspraxis entgegenzusetzen. In den geschützten Räumen von AABRAR, in denen ein herzliches Klima herrscht und den Frauen, Männern und Kindern neben der Physiotherapie und dem Unterricht auch menschliche Erholung bietet. Manchmal gelingt es, die ganze Stadt davon profitieren zu lassen. Wenn zum Beispiel das alljährliche Rennen der behinderten Fahrradfahrer in Jalalabad stattfindet. Dann treffen sich anschließend zur Preisverleihung die Honoratioren der Stadt und ehren die ehrgeizigen Sieger. Und über Jalalabad hinaus – mit den Fahrradkurieren in Kabul, denen Dr. Basir eine Erfolgsgeschichte zutraut wie dem internationalen Kurierdienst DHL, der auch einmal von marginalisierten Fahrradkurieren in New York gegründet wurde.

Katja Maurer

medico unterstützt seit 2001 die Rehabilitationsbemühungen von AABRAR.

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