Zu denen, die Donald Trump zur Wahl gratulierten, gehörte auch Syriens Präsident Bashar al-Assad. Er diente sich dem neuen US-Präsidenten als „natürlicher Verbündeter“ im Krieg gegen den Terror an und verwies auf eine mögliche syrisch-russisch-iranisch-amerikanische Achse im Kampf gegen den Islamischen Staat. Zu erweitern wäre diese Achse konsequenterweise um die Türkei und ihren Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, auch er nachweislich ohne allzu große Hemmungen im Anti-Terror-Kampf.
Was auf den ersten Blick als weitere Bizarrerie im dramatischen Geschehen der letzten Wochen erscheint, ist für hunderttausende Menschen blutiger Ernst. Das zeigt sich nicht nur in Aleppo, das am Tag nach Trumps Sieg erstmals wieder bombardiert wurde. Es zeigt sich auch in der Türkei, und dort besonders in den kurdischen Städten. Bekannt ist, dass Erdogan seit dem Sommer 2015 einige dieser Städte immer wieder von Panzern beschießen, aus der Luft bombardieren und die betroffenen Stadtviertel dann zu Brachland planieren ließ – darunter auch die historische Altstadt der kurdischen Metropole Diyarbakir. Kaum bekannt ist, dass die Angriffe bis auf den heutigen Tag weiter gehen und vor wenigen Tagen neuerlich Vororte von Diyarbakir bombardiert wurden. Auch wenn sie nicht im Fokus der Berichterstattung stehen, stellen sie die mit Abstand gewalttätigsten Operationen des Feldzuges dar, mit dem Erdogan nicht nur die kurdische, sondern jede Opposition zum Schweigen bringt.
Trotzdem bleiben die Einsprüche der deutschen Regierung auffällig zögerlich und zurückhaltend. Zwar wird die Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte angemahnt und vor allem angesichts der Angriffe auf oppositionelle Medien „Besorgnis“ geäußert. Erdogans Kampf besonders gegen die Kurden aber wird eher nebenher zum Thema gemacht: die kurdische Arbeiterpartei PKK sei eine „Terrororganisation“ und im Krieg den Terror, so heißt es immer wieder, stehe Deutschland an der Seite der Türkei.
Auf ihren Punkt kam diese Zweideutigkeit am 15. November beim Besuch von Außenminister Steinmeier in Ankara. Einerseits traf der Minister demonstrativ Vertreter der prokurdischen Linkspartei HDP, deren Führung mitsamt einer Vielzahl von Aktivisten verhaftet wurde. Gerichtet an den türkischen Außenminister Mevlüt Cavosoglu sagte Steinmeier auf der Pressekonferenz dann aber wortwörtlich: „Verehrter Kollege, lieber Mevlüt, damit kein Missverständnis im Raum bleibt: Wir verurteilen jede Form von Terrorismus, die von IS genauso wie Terrorismus der PKK.“
Eine vorschnelle Äußerung in einem undiplomatisch heftigen Schlagabtausch? Nein, Steinmeier sagt, was die Bundesregierung denkt und tut. Sie setzt den IS tatsächlich mit der PKK gleich, obwohl sie weiß, dass das falsch ist und beide Organisationen eben nicht gleichgesetzt werden dürfen. An dieser Stelle sind die Bundesregierung und ihr Außenminister tatsächlich Teil der sich aktuell immer schneller und unverbrüchlicher herausbildenden Achse im „Krieg gegen den Terror.“ Dabei räumen sich immer mehr Regierungen dieser Welt gegenseitig das Recht ein, jede Form des Widerstands als Terror zu bezeichnen, um ihm so kurzen Prozess machen zu dürfen.
Sie stellen sich damit außerhalb des Menschen-, des Kriegs- und des Völkerrechts, außerhalb aller Grund- und Bürgerrechte. Von dort ist es nicht mehr weit, die jeweiligen Feinde zum lebensunwürdigen Unmenschen zu erklären und sich damit das Ausnahmerecht zum Töten zuzusprechen. Geht es ihnen ganz allgemein um die Aufrechterhaltung einer aus den Fugen geratenen Weltordnung, spielen auf jeder Seite auch ganz besondere Motive mit. Im deutschen Fall ist das die Absicht, den mit Erdogan geschlossenen Flüchtlingsdeal um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Von dramatischer Bedeutung ist das nicht nur im türkisch-kurdischen Fall: Ist der Flüchtlingsdeal mit Erdogan doch die Blaupause ähnlicher Abkommen, die die deutsche Regierung mit einer ganzen Reihe anderer Regime schließt, zum Beispiel mit dem König von Marokko.
Sich gegen eine Gleichsetzung von IS und PKK zu verwahren, heißt nicht, die Politik der PKK gutzuheißen. Im Juni 2006 haben Brot für die Welt und medico in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Aufnahme der Tamil Tiger-Rebellen Sri Lankas auf die von der Europäischen Union geführte „Liste terroristischer Organisationen“ protestiert. Das war keine Parteinahme für die Tamil Tigers, sondern mit der Warnung verbunden, dass die sri-lankische Regierung das als Ermächtigung in ihrem Krieg gegen den Terror werten würde. Noch nicht einmal drei Jahre später waren die Rebellen ausgelöscht. Die UN schätzt die Zahl der Toten allein der letzten zwei Kriegsmonate in Sri Lanka auf 40.000. Die Gleichsetzung von IS und PKK gibt der Regierung Erdogan einen ähnlichen Freibrief. Ganz abgesehen davon, dass die Genfer Konventionen und das humanitäre Völkerrecht auch im Kampf gegen den IS zu wahren sind.
Thomas Seibert