Kenia

Das Patriarchat angreifen

07.03.2024   Lesezeit: 4 min

Mehrere grausame Femizide in Kenia haben den Protest der Zivilgesellschaft ausgelöst. Worum geht es? Fragen an die Aktivistin Habu Dorcas.

Habu Dorcas ist Mitglied der medico-Partnerorganisation Kenyan Peasant League. Die Bewegung der Bäuerinnen und Bauern setzt sich für die Rechte der ländlichen Bevölkerung ein.

medico: Die Kenyan Peasant League hat Ende Januar an den regierungskritischen Protesten teilgenommen, bei denen Tausende von Menschen in Nairobi auf die Straße gegangen sind. Wie kam es zu den Demonstrationen?

Habu Dorcas: Auslöser war eine Reihe von Femiziden. Allein in den ersten Wochen dieses Jahres sind über ein Dutzend Frauen ermordet worden. Die öffentliche Empörung ist aber auch deshalb so groß, weil die Regierung die langjährige Forderung, Femizide gesetzlich als Verbrechen anzuerkennen, beharrlich ignoriert. Wir als Kenyan Peasant League waren Teil des Organisationsteams der Women's Human Rights Defenders. Diese Koalition besteht aus Frauen verschiedener Organisationen und Plattformen, vom Women's Collective Kenya über Sexarbeiterinnen bis zu LGBTQ-Gemeinschaften und viele anderen. Wir haben uns um die Mobilisierung gekümmert und politische Forderungen formuliert. Wir stellen die Morde in einen breiteren Kontext von geschlechterspezifischer Gewalt und Ungleichheit. Die Proteste waren eine sehr gute Plattform, um auf diese Themen aufmerksam zu machen.

Wie sind feministische Perspektiven in eurer Arbeit für die Rechte als Bäuer:innen verankert?

Mir wurde als Kind beigebracht, dass Frauen weniger zu respektieren sind. So ging es vielen. Deswegen versuchen wir ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Frauen die gleichen Rechte wie Männer haben. Neben dem Menschenrechtsaspekt des Feminismus konzentrieren wir uns auf Frage nach dem Zugang zu Land und den Kampf der Frauen für eine gleichberechtigte Beteiligung in der Kommunalpolitik und der lokalen Landwirtschaft. In dieser Perspektive lässt sich der Feminismus nicht von dem Thema Ernährungssouveränität trennen. Nahrung muss für alle verfügbar sein und zwar in ausreichendem Maße, um ein gesundes, gutes und selbstständiges Leben führen zu können. Der Zugang zu den Ressourcen muss gerecht verteilt sein. Wem aber gehört das Saatgut? Wer sät es? Wem gehört das Land, auf dem die Pflanzen wachsen? All das ist männlich dominiert. Wir können noch so viel über Ernährungssouveränität sprechen, der Zugang zu Landbesitz ist die eigentliche Herausforderung.

Ein anderes wichtiges Thema ist die Frage von Gesundheit und Zugang zur Gesundheitsversorgung auf dem Land. Als Kenyan Peasant League sprechen mit Frauen über ihre Rechte im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und darüber, welchen Zugang zu Gesundheitsdiensten sie haben und ob medizinische Behandlungen für sie erschwinglich sind. Innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft braucht jeder und jede von uns Unterstützung. Deshalb wollen wir die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern überwinden und gemeinsam für gleiche Rechte einstehen.

Wie sieht diese Arbeit konkret aus?

Viele junge Mädchen „normalisieren“ die Gewalt, die sie erleben. Sie haben das Gefühl, dass es in Ordnung ist, wenn sie geschlagen werden; oder dass es in Ordnung ist, wenn sie keinen Zugang zu Land haben. Wir bieten Frauen einen Raum, in dem sie überhaupt erst einmal zusammenkommen können. Wir organisieren ein Programm, in dem wir sie über ihre Rechte aufklären und empowern. Außerdem haben wir ein Rettungs- und Schutzzentrum eingerichtet in dem Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt Unterstützung finden. Eine weitere Initiative ist unser Konzept einer feministischen Ökonomie: Bedürftige Frauen werden an bezahlte Kurzzeittätigkeiten herangeführt, bei denen sie zum Beispiel Bio-Seife herstellen und auf dem Markt verkaufen und damit Familien kurzfristig versorgen können.

Wie stellt ihr diese Geschlechterrollen in Frage?

Wir vertreten offensiv feministische Leitlinien. Wir betonen, wie wichtig die Rolle ist, die Frauen haben, sei es als Bäuerin, im Haushalt, in den Gemeinden oder als Bürgerin. Wir erleben oft, dass Männer sich davon bedroht fühlen, aber auch, dass Ansichten sich ändern können. Eine von uns durchgeführte Studie hat gezeigt, dass es Frauen sind, die den größten Teil der finanziellen Verantwortung in einem Haushalt tragen. Sie sind es, die den Kredit aufnehmen, um die Grundbedürfnisse der Familie zu befriedigen, ohne zu wissen, wie sie ihn in Zukunft zurückzahlen sollen. Mitunter hat das dramatische Folgen: Frauen verlieren ihr gesamtes Hab und Gut, manche begehen Selbstmord. Hiergegen machen wir solidarische Finanzierungsinitiativen stark, die erschwinglich und transparent sind. Solche Maßnahmen sind Teil unseres Verständnisses einer feministischen Ökonomie.

Was sind eure zentralen Forderungen an die Regierung im Zusammenhang mit den jüngsten Protesten?

Wir kritisieren die Ignoranz und das Desinteresse. Seit Jahren wird das Thema der geschlechtsspezifischen Gewalt nicht ernstgenommen. Oft zeigen Menschen Fälle von Gewalt nicht an, weil sie überzeugt sind, dass es keine Konsequenzen hat und ohnehin nichts bringt. Diese Gleichgültigkeit muss ein Ende haben. Das Absurde ist, dass selbst Frauen in Führungspositionen sich nicht für die Rechte von Frauen einsetzen. Hinzu kommen Geschlechterstereotype: Die Mehrheit unserer Gesellschaft hält Frauen für verletzlich, weshalb sie Ziel von Gewalt sind. Tatsächlich werden Frauen im bestehenden politischen System auch nicht als vollwertige Bürgerinnen anerkannt. Es ist höchste Zeit für unsere Regierung, Verantwortung zu übernehmen und alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Klasse oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit, als gleichwertig zu betrachten. Alle Menschen haben die gleichen Rechte und das muss in der Gesellschaft umgesetzt werden.

Das Interview führte und übersetzte Carmen Reußenzehn. Sie ist Praktikantin in der Öffentlichkeitsabteilung von medico.


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