"Uns ist nichts passiert, aber wir haben Freunde verloren." Die Antwort von Abdullahi Hersi, der für den medico-Partner NAPAD, die Nomadic Assistance for Peace and Development, Nahrungsmittelhilfe im kenianisch-somalischen Grenzgebiet organisiert, fällt knapp und lakonisch aus.
Der Anschlag vom 15. Oktober war der schlimmste in der Geschichte Somalias. Bei einem Attentat mit einem Sprengstoff-Laster wurden in der Hauptstadt Mogadischu 280 Menschen getötet, mehr als 300 wurden teils lebensgefährlich verletzt.
Die Regierung geht von einem Anschlag der Al-Shabaab Milizen aus, die sich seit Jahren im Krieg gegen die Zentralregierung befinden. „Wir erleben den afrikanischen 9/11 und die Welt bleibt ungerührt“, beschreiben Zeug*innen des Attentats das Schweigen im Rest der Welt. Bei einem Protestmarsch von mehreren Tausend meist jungen Menschen gegen die Gewalt der Al-Shabaab verletzten Sicherheitskräfte mehrere Demonstranten, die zum Ort des Anschlags laufen wollten, um der Toten zu gedenken.
Der Anschlag trifft das von Krieg und Hungersnot zerrüttete Land bis ins Mark. Mogadischu ist als einzige Metropole des Landes gerade in Kriegszeiten immer auch ein Rückzugsort, 20 Prozent der Bevölkerung leben hier. Und für die 1,5 Millionen Einwohner*innen hatte dieses Jahr 2017 so schlecht nicht begonnen: Die Sicherheitslage hatte sich spürbar verbessert, die Rückkehr vieler Exilanten war ein Hoffnungsschimmer, ebenso die weitgehend friedliche Wahl von Mohamed Abdullahi Farmajo Mohamed zum neuen Präsidenten. Mit dem Anschlag starb abermals die Hoffnung auf Frieden in Somalia.
Die Wirkung der Bomben reicht bis in die Dürreregionen entlang des kenianisch-somalischen Grenzgebiets. Die ohnehin schon riskante Arbeit von NAPAD wird immer gefährlicher. "Wir sondieren mit Dorfältesten und mit religiösen Führern immer wieder die Lage und loten gemeinsam aus, wie Wasser und Lebensmittel schnell und so (bedarfs-) gerecht wie möglich verteilt werden können« berichtet Abdullahi Hersi. Angesichts einer gesellschaftlichen Stimmung, die von Misstrauen, Angst und Unsicherheit geprägt ist, weil es seit Jahren immer wieder zu Überfällen durch die islamistischen Milizen von Al-Shabaab kommt, eine schwierige Aufgabe. Die Milizen suchen Schutz in den raren bewaldeten Gegenden, daher traut sich die Bevölkerung der Region auf der Suche nach Nahrung nicht mehr dorthin – auch aus Angst, selber verdächtigt zu werden, die Milizen zu unterstützen. Nun steigt das Misstrauen auch gegenüber den Helfern.
Misstrauen ist das größte Kapital für die radikalen Kräfte in Somalia. Das Leben der Menschen zu verbessern, sie sozial abzusichern, das wäre der beste Schutz im Kampf gegen den Terror.
Nach der Katastrophe ist vor der Katastrophe
Auch wenn in den Jahren nach der letzten großen Dürre einiges passiert ist, es war nicht genug, um die jetzige Notlage abzuwenden. Und das hat viel mit der Kurzsichtigkeit der nationalen, aber auch der internationalen Krisenpolitik und des Hilfsbusiness zu tun: "Viele vorsorgenden Ansätze ließen sich nicht umsetzen, weil Fördergelder, kaum war die Dürre damals vorüber, gestrichen oder gekürzt wurden", berichten die Kollegen von NAPAD.
Krisen werden nicht für überlebensnotwendige strukturelle Veränderungen genutzt, sondern reproduzieren bestehende Abhängigkeiten. Mit globalen Folgen:
Nach mehr als zehn Jahren ist die Zahl der weltweit Hungernden nach UN-Angaben erstmals wieder gestiegen. Laut dem jüngst veröffentlichten Ernährungsbericht der Vereinten Nationen litten im vergangenen Jahr 815 Millionen Menschen und damit elf Prozent der Weltbevölkerung Hunger. Das waren 38 Millionen Menschen mehr als 2015. Besonders betroffen ist Ostafrika, ein Drittel der Bevölkerung leidet dort an Hunger.
Die Ursachen sind allesamt menschengemacht. Krieg, Klimawandel und steigende Preise auf Nahrungsmittel werden in dem Report genannt. Die politisch Verantwortlichen weigern sich das Kalkül der global herrschenden Ökonomie in Frage zu stellen.
Doch Hilfe in der Not und strukturelle Veränderungen zur Beseitigung der Ursachen von Hunger sind kein Akt des guten Willens, sondern eine völkerrechtlich bindende Pflicht. Dieser Logik gilt es zu widersprechen: In dem Aufruf "Rechte statt Mitleid", der von afrikanischen und europäischen Schriftstellern während der letzten Dürre von 2011 verfasst wurde, heißt es: "Notwendig ist nicht eine Politik des Mitleids, sondern eine der politischen Verantwortung. Hilfe in der Not und strukturelle Veränderungen zur Beseitigung der Ursachen von Hunger sind kein Akt des guten Willens, sondern eine völkerrechtlich bindende Pflicht."
Dies durchzusetzen bedarf es des politischen Willens von Regierungen. Und den zu erzeugen des öffentlichen Drucks von unten. Auch von uns.