Luftschläge gegen Syrien

Die nächste Runde der Internationalisierung

16.04.2018   Lesezeit: 6 min

Der Syrien-Konflikt steht vor der nächsten gefährlichen Ausweitung. Warum die Botschaft der westlichen Luftschläge so verheerend ist. Von Katja Maurer

Nach den Luftschlägen der USA, Großbritanniens und Frankreichs auf Syrien herrschte vielerorts Erleichterung. Am Tag danach hieß es, dass es keine Toten gegeben habe. Zur anhaltenden Zerstörung von Gebäuden und Infrastruktur in dem kriegsgebeutelten Land sind nun weitere Ruinen dazu gekommen. Es waren also trotz gewissenloser Trump-Tweets gewissenhaft geplante symbolische Angriffe. Aber symbolisch wofür? Nun zuallererst dafür, dass es derzeit keine internationalen Akteure in Syrien gibt, die Räume für eine nichtmilitärische, eine diplomatische oder politische Antwort auf die Krisen und Konflikte suchen und öffnen. Wer in diesem Stellvertreterkrieg für eine neue Weltordnung ein Wörtchen mitreden will, greift zu den Waffen. Mit Ausnahme von China. Wer weiß, ob die Chinesen irgendwann ein glaubwürdiger Makler für eine Friedenskonferenz sein werden.

Die Botschaft der westlichen Luftschläge ist also verheerend. Keiner hat eine politische Idee für eine neue nahöstliche Ordnung. Jeder orientiert sich an seinen Interessen, die in der Wahrung und Ausweitung von Einflusszonen bestehen oder im Abschied aus dem Nahen Osten, wie ihn die Trump-Politik nach wie vor plant. Keiner verteidigt das Völkerrecht, denn man weiß ja nie, wann man es selbst das nächste Mal brechen wird. Nicht einmal Deutschland hat irgendeine politische Idee. Der neue Außenminister Maas schlägt im Spiegel-Interview von diesem Montag derart scharfe antirussische Töne an, dass man sich beim Lesen verwundert fragt, ob das nötig und politisch klug ist. Außerdem verweist er auf die Rolle Deutschlands in der UNO, das zu den höchsten Geldgebern zähle, um gleich mehr politischen Einfluss zu verlangen. Auch hier fragt man sich, wo intelligente deutsche sozialdemokratische Außenpolitik im Sinne von Willy Brandt und Egon Bahr geblieben ist. Denn Maas macht keinen einzigen Vorschlag, um die UNO als Vermittler im Syrien-Konflikt zu stärken, sondern pocht nur auf deutsche Ansprüche.

Wird die Friedensbewegung, die gleich nach den Luftangriffen am Sonntag symbolisch auf die Straße ging, daran etwas ändern? Vermutlich nicht, denn auch sie hat keine Antwort darauf, dass die Giftgasangriffe in Syrien mittlerweile zum gängigen Einsatzmittel geworden sind. Und nachweislich auch auf Seiten von Assad. Sie hat nicht nur keinen Vorschlag, wie das einzudämmen wäre, sie zeigt auch keinerlei Mitgefühl mit den Opfern der Angriffe. Eine Demonstration der Friedensbewegung nach den verheerenden Giftgasangriffen ist mir jedenfalls nicht zu Ohren gekommen. Demonstriert wird, wenn der alte Feind USA mit dem Säbel rasselt. Und offenbar definiert das Böse dann auch das Gute. Und da nimmt man auf Friedensseite zähneknirschend Assad und Putin mit ihren schonungslosen und völkerrechtswidrigen Militäreinsätzen gegen Zivilisten in Kauf.

Last Exit Idlib

Es wird keine Demo der Friedensbewegten geben, wenn demnächst wieder Fassbomben und möglicherweise wieder Giftgas auf Idlib niederregnen. In der nördlichen Provinz leben über drei Million Menschen, viele von ihnen Flüchtlinge, die dorthin nach zerstörerischen Bombardierungen ihrer Regierung und Russlands gebracht wurden. Ja, darunter sind viele Rebellengruppen und islamistische Milizen, aber doch überwiegend Zivilisten, die die Assad-Herrschaft mit ihren Geheimdiensten und Zwangsrekrutierungen mehr als alles andere fürchten. Nicht grundlos, wie man weiß. Der syrische Bürgerkrieg hat bis jetzt 350.000 Tote gefordert, für die zum allergrößten Teil das Regime verantwortlich ist.

Nächste Stufe Iran-Israel

Während der Krieg gegen die syrische Zivilbevölkerung also in Idlib und wahrscheinlich auch in Yarmouk, dem einstigen Palästinenserlager bei Damaskus, weiter gehen wird, braut sich schon die nächste Eskalationsstufe am Horizont zusammen. Denn je deutlicher sich eine Stärkung der Assad-Despotie und mit ihr ein immer größerer Einfluss des Irans und der Hisbollah in Syrien abzeichnet, umso mehr ruft das Israel auf den Plan, das mit dem wachsenden iranischen Einfluss seine Sicherheitsinteressen gefährdet sieht. Schon jetzt bombardiert Israel mit gezielten Schlägen immer wieder Ziele in Syrien. Ein israelisch-iranischer militärischer Konflikt auf syrischem Territorium ist die nächste Eskalationsstufe, auf die man sich einstellen muss.

Wenn man den syrischen Konflikt als globalen Stellvertreterkrieg betrachtet, dann zeichnet sich noch lange keine multipolare Weltordnung ab, die friedliche Mechanismen der Konfliktbewältigung in Gang setzen könnte. Dass dabei die UNO von allen Seiten in ihrer Handlungsunfähigkeit bestärkt wird, macht die Sache so ungemein gefährlich. Denn welch ein großer Krieg müsste kommen, nachdem dann eine neue UNO entstehen könnte, die der Multipolarität Rechnung trüge?

Und die medico-Partnerinnen und Partner?

Wer in dieser Situation mit den Menschen vor Ort ist, und das tun die medico- Partnerinnen und Partner in und um Syrien, betreibt eine andauernde Gratwanderung. Medico hat beispielsweise über viele Jahre das Basis-Komitee in Erbin und ein Frauenzentrum in Douma unterstützt, die gar nicht anders konnten als mit den Rebellengruppen und Milizen, die dort herrschten, auszukommen. Die Schulen des Basiskomitees, die jetzt nach dem Sieg der Regierungstruppen alle geschlossen sind, haben den Islamisten Freiräume abgetrotzt: Eine säkulare Bildung, selbst geschriebenes Lehrmaterial, Lernen zum kritischen Denken. Genauso das Frauenzentrum in Douma, das Frauen ausbildete und bei sexuellen Übergriffen betreute. Arbeiten, die für sich und gegen jeden Islamismus sprachen. Medico hat sich dafür in Deutschland den Vorwurf anhören müssen, man sei die Hilfsorganisation islamistischer Milizen. Nun ist das alles mit dem Sieg Assads in Ost-Ghouta zu Ende. Viele Aktivistinnen und Aktivisten haben die beiden Städte verlassen, sind nach Idlib geflohen oder versuchen sich in die Türkei durchzuschlagen. Denn in Idlib herrschen Islamisten, die noch weniger Spielräume zulassen als die in Ost-Ghouta.

Manche sind auch in der Region geblieben. So berichtet ein medico-Partner von der Situation vor Ort folgendes: „Einige der weiblichen Lehrkräfte des Schulprojekts in Erbin sind noch vor Ort geblieben. Momentan sind sie aber nicht aktiv und haben mehrheitlich ihre Facebook-Accounts deaktiviert. Alle warten ab und schauen, wie die neue Herrschaftsstruktur in Erbin aussehen wird.“ Das Regime verzichte bis jetzt auf eine starke Präsenz vor Ort. Erbin werde jetzt von einem Assad-treuen Clan regiert. Auch die ersten Schulen seien in der Nachbarschaft wieder eröffnet worden. Auf den ersten Bildern sieht man die Kinder in T-Shirts mit der Aufschrift der Baath-Partei. So wird es wohl auch in Erbin kommen.

Noch größer als die Ängste vor der Einseitigkeit der Baath-Partei sind allerdings die Ängste um Enteignung. Gleich nach dem Sieg der Assad-Truppen wurde das Dekret 10/2018 verkündet, das die Enteignung von Immobilien vorsieht, auf die innerhalb von einem Monat kein Anspruch erhoben wird. Es wird befürchtet, dass diese Immobilien enteignet werden und Neuankömmlingen aus der Küstenregion bzw. aus dem Ausland zur Verfügung gestellt werden. Die Nachricht, dass das Regime etwa 200 000 syrische Reisepässe als Belohnung für iranische, libanesische, irakische und sonstige Söldner ausgestellt hat, verstärken die Befürchtungen, dass eine Neuordnung Syriens unter Assad, demographisch vollkommen neu gestaltet wird.

Aber, ob und wann es dazu kommen wird, ist offen. Und das heißt der Krieg in Syrien geht in die nächste Runde.

Katja Maurer

 

Links

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


Jetzt spenden!