Rechtsruck

Kampf gegen den "Globalismus"

05.03.2024   Lesezeit: 6 min

Warum die Rechte die NGOs angreift.

Von Ulli Jentsch

Seit vielen Wochen demonstrieren Hunderttausende gegen die AfD-Deportationspläne, die durch eine investigative Recherche von Correctiv bekannt geworden waren, und die eine gewaltsame Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland vorsehen. Es scheint, als sei vielen schlagartig deutlich geworden, was das zynische Gerede über "Remigration" konkret bedeuten würde, wenn die AfD in die Nähe politischer Macht gelangt: die Sortierung der Bevölkerung nach völkischen Kriterien.

Dabei hatte es seit langem deutliche Signale und klare Aussagen gegeben, die gleichlautend die "Lösung der Migrationsfrage" durch die komplette Abschottung Europas vorsehen. Entsprechend verwundert waren daher auch manche in der AfD über den plötzlichen Gegenwind auf den Straßen. War doch die Forderung nach umfassenden "Remigrationsprogrammen" auf "nationaler und europäischer Ebene" erst im August letzten Jahres unmissverständlich in das EU-Wahlprogramm für 2024 aufgenommen worden.

Es sollte nicht in den Hintergrund geraten, dass sich die Deportationspläne in ein ganzes Bündel von Angriffen der AfD auf die Menschenrechte und auf das geltende Staatsbürgerschaftsprinzip einreihen. Diese Attacken durchziehen nicht nur ihre innenpolitischen Forderungen, sondern vor allem auch die AfD-Konzepte zur Außenpolitik und zur Entwicklungszusammenarbeit. Vieles davon teilen europäische Verbündete, anderes nicht. So gab es jüngst sogar Kritik von der französischen Verbündeten Marine Le Pen, die solcherart drastische Pläne ablehnt und damit droht die gemeinsame Fraktion im EU-Parlament platzen zu lassen. Die AfD ist in so manchen Forderungen deutlich radikaler als andere Rechtsaußen-Parteien in Europa - und sie ist stolz darauf. Der AfD-Spitzenkandidat zur EU-Wahl, Maximilian Krah, führt die Erfolge seiner Partei ("die spannendste europäische Rechtspartei") direkt darauf zurück, dass sie nicht wie andere inhaltliche Zugeständnisse mache, um Prozente zu gewinnen.

Widersprüche im rechten Block

Schon kurz nach dem Nominierungsparteitag im vergangenen Jahr - und während des noch anhaltenden Umfragehochs - hatte der Wahlkampf der AfD in Europa begonnen. Selbst der äußerst selten international auftretende Co-Vorsitzende Tino Chrupalla wurde herumgereicht und auf den Bühnen mit Applaus durch die anderen europäischen Parteispitzen bedacht. Die AfD würde immerhin ein wirkliches Gewicht in die Parteiengruppe der Identität & Demokratie (ID) einbringen, falls es bei den bisher prognostizierten Stimmen aus Deutschland bleibt. Allerdings hat auch auf europäischer Ebene die AfD nach den wochenlangen Protesten erstmals in den Wahlvorhersagen nachgelassen und sank auf 18 Prozent ab.

Die ID-Fraktion, in der sich die harten EU-Gegner:innen und Putin-freundlichen Parteien zusammengetan haben, will den gesamteuropäischen Rechtstrend für einen deutlichen Machtgewinn nutzen. Italiens Lega-Chef Matteo Salvini träumt bereits von dem Export des "italienischen Modells", also des regierenden Dreier-Bündnis aus Christdemokratie, Konservativen und extremer Rechte, in das EU-Parlament, um die bisherige Koalition von christdemokratischen, liberalen und sozialdemokratischen Parteien ablösen zu können. Solch ein Bündnis erscheint zwar möglich, aber wenig wahrscheinlich. Die Führung der christdemokratischen Fraktion bis hinauf zu Ursula von der Leyen hat solch ein Szenario zuletzt wiederholt zurückgewiesen. Selbst ein Bündnis mit den konservativen Parteien, deren Fraktion die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni führt, wird als Wagnis angesehen.

Wer sich gegen die EU ausspricht oder die Unterstützung der Ukraine im Verteidigungskrieg gegen Russland verweigert, steht in Brüssel immer noch jenseits der Regierungsfähigkeit. Man beschwört den noch bestehenden 'cordon sanitaire' gegen die Rechtsaußen der ID-Fraktion. Obwohl ein großer Dissens in den Vorstellungen zur Migrationspolitik nicht zu erkennen ist. Hieran wird deutlich, wie nahe die europäischen Rechtsaußen der Umsetzung ihrer Politik gekommen sind. Selbst wenn es zu keinen neuen Fraktionen kommt: Die bisherigen knappen und scharf umkämpften Mehrheiten gegen Projekte des rechtskonservativen Kulturkampfes im Parlament könnten vorbei sein.

Die AfD hat in ihrem Wahlprogramm deutlich gemacht, dass sie die EU als solche als gescheitert ansieht und für unreformierbar hält. Die Forderung nach einem "Dexit" wurde im Papier zwar entschärft, doch das erscheint angesichts der generellen Linie nur wie eine kosmetische Korrektur. In der Partei hat sich inzwischen der Höcke-Flügel personell und programmatisch auch in der Europa- und Außenpolitik weitgehend durchgesetzt. Höcke hatte schon 2018 von den Notwendigkeiten eines "großangelegten Remigrationsprojektes" und den damit verbundenen Grausamkeiten gesprochen.

Angriff aufs Menschenrecht

Wenn die AfD die EU und ihre parlamentarischen sowie bürokratischen Institutionen angreift, dann ist nicht nur deren transnationale Ausrichtung gemeint, weil sie angeblich die eigene nationale Souveränität bedrohten. Im Verständnis der AfD müssen diejenigen entmachtet werden, die Menschenrechte als "Argumente der außenpolitischen Debatte" benutzen. Und deswegen gilt der Angriff auch und zuerst den an Menschenrechten orientierten NGOs. Auf die Frage, was er sich von der EU als Erstes wünschen würde, antwortet AfDler Krah, die EU "sollte sich zurückziehen aus dem gesamten gesellschaftlichen Ummodelungsprozess, sie sollte sich zurückziehen aus der Finanzierung von NGOs, die in den Einzelstaaten und in der ganzen Welt ihr Unheil treiben. (...) Eigentlich sollte sie sich aus jedem Bereich um mindestens 80 Prozent zurückziehen. (...) Wir müssen jetzt einmal den Stecker ziehen."

Wo Krah 80 Prozent Kürzung der Ausgaben fordert, fordern andere 50 Prozent. Die geplanten Reduzierungen im Entwicklungsetat 2024 seien das einzig positive daran, so die AfD, das meiste sei ohnehin "wirkungsloser Nonsens". Der niederländische Wahlsieger Geert Wilders verlangte vor den dortigen Koalitionsverhandlungen den sofortigen Stopp aller Hilfsgelder. Doch solche Unterschiede sind unwesentlich. Entscheidend ist für die extreme Rechte der Zusammenhang zwischen Migrationsabwehr, Entwicklungszusammenarbeit und der Ablehnung der bestehenden Weltordnung, also dem, was auch die AfD als "Globalismus" bezeichnet. "Das zentrale politische Argument zur Legitimierung des Globalismus sind die Menschenrechte", schreibt EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah, denn dies diene "der globalen Durchsetzung der linksliberalen, woken Agenda." Die globale Rechte will die Universalität der Menschenrechte beseitigen und "je nach Kulturkreis" ausformen.

In der geplanten Auflösung des Staatsbürgerschaftsrechts und der Unterscheidung nach ethnischen und eingewanderten Deutschen sieht der Verfassungsschutz nach aktuellen Presseberichten derzeit die Hauptgefahr, die von der AfD ausgehe. Was die AfD mit dem Hinweis auf bereits geltende Rechtsvorschriften zu kontern versucht.

In dem Verständnis der globalen, extremen Rechten ist die Forderung nach massenhaften Deportationen nicht zu trennen von der Verweigerung der Menschenrechte für Geflüchtete und generell für Menschen bestimmter Regionen des Globalen Südens. Die Formel vom "Kampf gegen Globalismus", die überall dort erhoben wird, wo sich die Globale Rechte zu ihren Konferenzen trifft und wo Wahlkampf betrieben wird, ist eine Kampfansage gegen NGOs und deren Menschenrechts-orientierte Arbeit. Das sollten alle im Kampf gegen die AfD nicht vergessen.

Ulli Jentsch

Ulli Jentsch ist Journalist und Researcher. Seit Jahrzehnten ist er in der antifaschistischen internationalen Zusammenarbeit aktiv, in deren Zentrum aktuell die europäischen und globalen Beziehungen und Strategien der AfD stehen.


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