Dass der Krieg in Syrien, das Säbelrasseln in der Straße von Hormuz und die zunehmend auf eine militärische Auseinandersetzung zusteuernde Situation im Irak Schauplätze eines Stellvertreterkrieges sind, ist ein Gemeinplatz. Der Begriff Stellvertreterkrieg aber bedarf einer neuen inhaltlichen Bestimmung.
Die Stellvertreterkriege des Kalten Krieges hatten mit dem Ost-West-Konflikt einen beschreibbaren Kontext. Es ging um Geostrategie, Einflusszonen und Zugang zu Ressourcen. Das hat diese Konflikte nicht freundlicher gemacht, aber Lösungswege aufgezeigt. Die Entspannungspolitik und Abrüstungsverträge deeskalierten die Situation in Europa. Brandts und Epplers Überlegungen zu den Nord-Süd-Konflikten waren doch wenigstens kluge Denkansätze, um auch die Stellvertreterkriege einzudämmen indem man ihre regionalen Ursachen in den Blick nimmt.
Krieg als Bühne populistischer Innenpolitik
Was für eine politische Bankrotterklärung ist dagegen die SPD-Position heute. Sie greift nicht auf diese Denktradition zurück oder erneuerte sie gar, sondern die SPD fordert die Aufrüstung der Marine, damit man auch in der schmalen Straße von Hormuz herumschippern kann. Das erinnert eher an die SPD-Politik von 1914. Nicht viel besser: der Grüne Robert Habeck, der alternativ eine europäische Mission forderte. Eine schlechte Art, sich regierungsfähig zu machen.
Zugegeben: Die Lage vor Ort zu durchschauen und daraus eine adäquate Politik zu entwickeln ist schwierig. Beschäftigt man sich aber genauer mit den involvierten internationalen Akteuren – von den USA über Russland bis zum Iran und der Türkei – kann man eine (sicher nicht die einzige!) treibende Kraft erkennen, die Eskalationen beschleunigt, Bündnispartner kurzfristig wechseln lässt und jederzeit das ganze Spiel durcheinander bringen kann. Sie besteht in den innenpolitischen Motiven der jeweiligen Akteure.
Trump befindet sich im Dauerwahlkampf und der Iran ist im kollektiven Gedächtnis des US-amerikanischen „Midwest“, also der abgehängten Weißen oder derer, die ihren Absturz fürchten, das Feindbild, das den Kommunismus ersetzt. Jede Art von Angriff gegen diesen Feind ist in diesem simplen Weltbild legitim. Und Fragen nach den eigenen Interessen – vielleicht an der Bewahrung einer halbwegs friedlichen Welt – sind unwichtig, wenn man einen Feind hat, der einem eine gemeinsame Identität zur klaren Abgrenzung verschafft. Das ist kein Monopol der USA: In populistisch-faschistoiden Milieus ist das Spiel mit dem Krieg, noch dazu an anderen Schauplätzen, immer ein Propaganda-Mittel erster Güte.
Politik der Feindschaft: Adorno und Mbembe
Wer die jüngst veröffentlichte Adorno-Rede „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ gelesen hat, kann daraus eine wichtige Erkenntnis gewinnen. Dass es nämlich um Propaganda geht und eben nicht um eine konsistente rechte Ideologie. Der Widerspruch ist inhärent, wie Adorno zeigt: Man fordert die Einführung der Todesstrafe für Taxi-Mörder, aber ist gegen die Todesstrafe für die Massenmörder von Auschwitz.
Dieser „neue Rechtsradikalismus“, der alles zum Anlass für Propaganda nimmt, findet sich in der russischen Politik, die in Syrien nicht „Frieden mit Waffen“ schaffen will, sondern die Wiederherstellung des imperialen Russlands als Imagination anstrebt; also als ein Bild von sich selbst, das die Größe Russlands beschwört, für das es sich wieder zu sterben lohnt. In Wahrheit kämpfen dann in Syrien gut bezahlte russische Söldner, die rein ökonomische Interessen haben.
Von Erdoğans innenpolitischen Motiven kann man fast schweigen. Die Wahlniederlage in Istanbul und die ökonomischen Probleme der Türkei legen den Rückgriff auf die „Politik der Feindschaft“, wie der postkoloniale Philosoph Achille Mbembe den auch in Europa heraufziehenden neuen Politikstil nennt, einfach nur nahe. Übrigens mit Unterstützung der „sozialdemokratisch“ titulierten CHP, die für oppositionell gehalten wird.
Wer in diesen Selbstinszenierungschor der starken Männer und die Aufrüstungs- und Kriegsrhetorik einstimmt – ob aus Angst vor Wahlniederlagen oder aus Ratlosigkeit – der beteiligt sich aktiv am autoritären Umbau demokratischer Gesellschaften und Öffentlichkeiten. Die Basis eines solchen Umbaus ist bekanntlich die Hegemonie autoritärer Denkmuster. Dass wieder aufgerüstet wird (siehe die jüngsten Ankündigungen der deutschen Verteidigungsministerin), Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien wieder legitim sind und die Auseinandersetzungen um die Straße von Hormuz zwischen Sommertheater und realer Kriegsgefahr schwankt, gehört dazu und sollte trotz der offenkundig innenpolitischen Motive als Zeichen ernst genommen werden.
Außenpolitik und Menschenrechte
Die Alternative ist – und das ist jetzt nicht einfach leeres Gerede – eine Politik, die sich an einer radikalen menschenrechtlichen Norm ausrichtet. Denn Realpolitik kann es nicht geben, wenn der gefährliche Populismus internationaler Akteure eine treibende und unberechenbare Kraft ist, mit dem eine rationale Verhandlung auf der Basis von Interessensausgleich ja eben nicht möglich ist. Das gilt natürlich auch für den Iran und beispielsweise Indien, nicht zuletzt im Kaschmir-Konflikt.
Ausgangspunkt für eine menschenrechtlich orientierte Politik wäre zuallererst Empathie mit denen, die von der Gewalt direkt betroffen sind. Sich mit der Situation der syrischen Provinz Idlib zu beschäftigen und sie als Teil der eigenen (globalen) Subjektivität zu begreifen, ist eine Art Weltbürgerpflicht. Nur zur Erinnerung: In Idlib harren Millionen intern Vertriebene aus, deren Schulen und Krankenhäuser regelmäßig bombardiert und Wohngebiete mit Fassbomben zerstört werden. Das sind Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtswidrige Handlungen, die durch nichts zu legitimieren sind.
Dazu gehört auch, sich die Situation in den kurdisch dominierten Gebieten Nordsyriens vor Augen zu führen, wie sie meine Kollegin Anita Starosta gerade wieder dargelegt hat. Vielleicht ist der Einmarsch der Türkei aufgeschoben. Aber die Weizenfelder der Region werden systematisch in Brand gesetzt, um die Versorgung der Bevölkerung zu behindern. Das Assad-Regime setzt syrische Lebensmittelhändler unter Druck, nicht weiter Produkte nach Rojava zu liefern. Dem Norden Syriens droht ein systematisches Aushungern durch die Türkei und das Assad-Regime, die nichts weiter als Häme und Mitleidlosigkeit zelebrieren. Und en passant soll die sogenannte Sicherheitszone im kurdischen Nordsyrien, die jetzt zwischen den USA und der Türkei vereinbart wurde, dazu dienen, syrische Flüchtlinge aus der Türkei dort anzusiedeln. Der Hintergedanke ist, durch eine ethnische Ansiedlungspolitik eine kurdische Autonomie zu untergraben. Ankara geht ähnlich bereits in den kurdisch dominierten Regionen im Südosten der Türkei vor.
Nicht zuletzt berichten kurdische medico-Partner aus dem Nord-Irak von einem unerwarteten Wiedererstarken des Islamischen Staats. IS-Kämpfer seien wieder militärisch ausgerüstet und hätten offenbar Gelder zur Verfügung. Die Befürchtung unserer Partner: Im Kampf gegen vom Iran unterstützte Milizen könnten diese die Bodentruppen stellen. Es liegt in der Logik des populistischen Krieges, dass der gerade noch ärgste Feind plötzlich wieder Bündnispartner wird.
Eine vernünftige Außenpolitik, die man so schmerzlich vermisst, muss sich also in erster Linie jeder populistischen Versuchung verweigern und uns Bürgerinnen und Bürgern diese Welt nahe bringen anstatt sie mit Abschottung und einer Politik der Feindschaft auf Abstand zu halten. Das wäre eine Spur, die zu verfolgen sich lohnte, um die Demokratie zu retten.