Syrien

Meine persönliche Revolution

04.07.2019   Lesezeit: 6 min

Ein Gespräch mit Huda Khayti, Leiterin des Frauenzentrums im syrischen Idlib, unter dem Eindruck eskalierender militärischer Gewalt.

Während ich mit Huda Khayti telefoniere finden seit langem wieder Luftangriffe auf Idlib statt. Eine Stadt im Rebellengebiet, in der Huda Khayti seit der Flucht aus Duma im April 2018 lebt. In die von der islamistischen Gruppe Ha´ayat Tahrir al Sham (HTS) kontrollierten Priovinz wurden Rebellengruppen und demokratische Oppositionelle gleichermaßen verbracht. Sie erwartet ein unbekanntes Schicksal. Denn die Angriffe des Regimes und der mit ihr verbundenen russischen Streitkräfte eskalieren in den letzten Wochen zusehends. Sie laufen nach denselben Mustern ab, wie zuvor in anderen syrischen Provinzen. Gezielt werden Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen unter Verletzung des Völkerrechts beschossen, um die Menschen zur Flucht zu bewegen. Flüchtende, die wieder auf der Flucht sind. In der Provinz leben drei Millionen Menschen, darunter über 300.000 Geflüchtete aus anderen Regionen Syriens. Die Szenarien für Idlib sind schrecklich. Trotzdem arbeiten die Frauen und Huda Khayti, mit der Medico seit vielen Jahren zusammen arbeitet weiter. Wie das geht, schildert sie im nachfolgenden Gespräch

Wie ist die Situation in Idlib?

Huda Khayti: Ich bin gerade extrem verängstigt. Denn es gab eben zwei Luftangriffe auf Idlib. Wir wurden über unsere Frühwarnsysteme darüber informiert, dass zwei Flugzeuge nach Idlib gestartet sind und ich bin deshalb schnell vom Frauenzentrum nach Hause gelaufen. Ich konnte die russischen Luftangriffe hören, die auf den östlichen Stadtrand erfolgten. Beim ersten Angriff, das weiß ich schon, gab es einen Toten und mehrere Verletzte.

Erfolgen die Angriffe jetzt zum ersten Mal auf die Stadt Idlib?

Der letzte Luftangriff auf die Stadt ist schon sehr lange her. Im Rahmen der jetzigen Offensive von russischer und syrischer Luftwaffe in der Provinz Idlib war das der erste Angriff auf die Stadt selbst. Es gab bisher nur Angriffe in der Nähe von Idlib, die ich auch hören konnte.

Wie erleben Sie persönlich diese Luftangriffe?

Ich habe Todesangst, denn ich erinnere mich an die Luftangriffe auf Douma. Damals war auch unser Frauenzentrum betroffen. Eine meiner Kolleginnen und mehrere Kursteilnehmerinnen kamen ums Leben. Das war eine unerträgliche Erfahrung. Natürlich wird mir in solchen Momenten wie jetzt das Risiko bewusst, in dem ich mich befinde, aber auch all die Frauen, die bei uns Kurse besuchen. Ich fühle mich für ihre Sicherheit verantwortlich. Und ich kann sie nicht gewährleisten. Ich mache es deshalb so, wie ich es damals auch in Douma gemacht hat. Ich bitte alle nach Hause zu gehen und wenn ich weiß, dass sie sicher zu Hause angekommen sind, mache ich mich auf den Weg.

Für meine Familie in der Türkei ist es besonders schlimm. Wenn Luftangriffe sind, rufen sie mich alle zwei Minuten an, um zu erfahren, wo ich genau stecke. Sie sind sehr um meine Sicherheit besorgt. Auch sie werden zurückgeworfen in die traumatisierende Zeit in Idlib, wo einen der Tod jeden Moment ereilen konnte und man sich in einem extremen Ausnahmezustand befand. (Hudas Bruder ist bei einem dieser Angriffe ums Leben gekommen. d. Red.)

Wie kann unter solchen Bedingungen ein Frauenzentrum in Idlib sinnvoll arbeiten?

Vor den Bombardierungen war die Arbeit in Idlib sicherer als in Douma, wo es 2018 zwei Monate lang fast unausgesetzt Luftangriffe der russischen und syrischen Armee gab und auch Chlorgas eingesetzt wurde. Bis zu den jetzigen Angriffen hatte ich hier das Gefühl von ein gewissen Sicherheit und Berechenbarkeit. Wir konnten in Ruhe arbeiten. Wenn sich die Angriffe häufen, wird das natürlich unsere Arbeit einschränken.

Wer besucht die Kurse im Frauenzentrum. Selbst Geflüchtete oder auch Frauen die schon länger in Idlib leben?

Frauen die, die Kurse besuchen, sind interne Vertriebene aus Homs, Aleppo und Ost-Ghouta und jetzt auch Frauen, die aus dem südlichen Teil der Provinz Idlib hierher geflohen sind, weil dort die Bombardierungen sehr heftig sind. Aber es gibt auch Frauen, die aus Idlib selbst kommen.

Auf die Kurse machen über soziale Medien aufmerksam. Das funktioniert sehr gut.. Außerdem arbeiten wir mit anderen Organisationen zusammen, die Vorträge halten, und die wiederum über ihre Kanäle weitere Interessentinnen ins Zentrum holen.

Was ist Ihr persönlicher Antrieb, diese Arbeit unter diesen extremen Bedingungen zu machen, statt sich um ihre persönliche Sicherheit zuerst zu kümmern?

Ich will auch unter diesen katastrophalen Bedingungen, das Recht der Frauen auf ihre Autonomie behaupten. Egal wie oft wir vom Regime bombardiert oder durch Milizen vor Ort eingeschüchtert werden, finden wir uns als Frauengruppen wieder zusammen und suchen uns eine Nische, in der wir weiter arbeiten können. Ich kann diese Arbeit auch nicht aufgeben, weil schon sehr viele meiner Kolleginnen dafür ihr Leben gegeben haben. Mein Gefühl ist, dass Assad versucht mich zu hindern, diese Arbeit zu machen. Und gerade deshalb führe ich die Revolution weiter. Für mich besteht sie darin, dass wir Frauen stärken und sie sich ihrer selbstbewusst werden. Frauen mit verschiedenen Hintergründen finden sich zusammen, bilden sich fort, und machen sich gegenseitig stark.

Was verstehen Sie persönlich unter Revolution?

Meine persönliche Revolution hat bereits vor 2011 stattgefunden, weil ich mich schon seit vielen Jahren für Frauenrechte einsetze. Mir ist schon lange bewusst gewesen, wie sehr das syrische Regime Frauenrechte einschränkt und Gewalt gegen die eigene Bevölkerung ausübt. Die syrische Revolution hat bei mir das Verständnis, was Recht und Unrecht ist, vertieft. Meine persönliche Revolution besteht nicht nur in der Idee, das Regime zu stürzen. Denn wir haben in Douma auch sehr viele Auseinandersetzungen mit den islamistischen Gruppen gehabt, denen die Arbeit des Zentrums ein Dorn im Auge war. Für mich geht die Revolution weiter, weil die Stärkung und die Emanzipation von Frauen nicht von dem Ort abhängt, an dem ich lebe. Wenn ich nicht mehr in Idlib leben kann, weil es zu gefährlich wird, dann mache ich diese Arbeit an einem anderen Ort weiter. Zudem finden sich patriarchale Strukturen überall in den Regime-Gebieten, in den Rebellengebieten, aber auch dort, wo syrische Geflüchtete leben wie zum Beispiel im Libanon.

Gelingt es in den Kursen, die ihr anbietet, einen offenen und sicheren Ort für die Frauen zu schaffen?

Wir sind sehr vorsichtig gewesen, weil wir auch nicht wussten, ob die islamistische HTS, die hier in Idlib das Sagen hat, uns Probleme machen würde. Deshalb haben wir im Projekt mit medico eine Art Pilot-Phase gehabt, um auszuprobieren, wie weit die Spielräume reichen. Zu meiner Überraschung hatten wir bislang keine Probleme. Die Titel unserer Kursangebote sind auch unverfänglich gewählt. Trotzdem sprechen wir sehr viele auch schwierige Themen an und eröffnen einen Gesprächsraum, den die Frauen sehr gerne nutzen.

Wir beschäftigen uns sehr viel mit Gewalt gegen Frauen und der Verheiratung von Minderjährigen, was durch den Krieg extrem zugenommen hat. Es entstehen sehr viele informelle Kontakte, was sehr wichtig ist für die Frauen, die nicht aus Idlib kommen. Hier können sie Kontakte knüpfen und ihre Themen auch individuell diskutieren.

Wie schätzen Sie die Perspektiven ein, wenn – wie zu erwarten ist - die Angriffe auf die Stadt zunehmen?

Ich bleibe solange hier, wie es mir möglich ist. Aber wenn es dazu kommt, dass die Provinz an das Assad-Regime oder übergangsweise an Russland übergeben wird, dann werde ich definitiv nicht bleiben. Ich habe die Idee, Syrien zu verlassen immer abgelehnt, aber jetzt muss ich diese Option, ernsthaft für mich in Erwägung ziehen.

Das Interview führte Katja Maurer
Übersetzung Sophie Bischoff


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