Haiti

Öl ins Feuer

10.10.2024   Lesezeit: 4 min

Eine Abschiebewelle aus der Dominikanischen Republik gefährdet das Krisenmanagement in Haiti.

Von Katja Maurer

Seit dem vergangenen Dienstag spielen sich dramatische Szenen in der Dominikanischen Republik ab. Polizei und Militär jagen Haitianer:innen und auch Schwarze Dominikaner:innen. Erst in Auffangzentren wird ihr Aufenthaltsstatus geprüft. 10.000 Haitianer:innen sollen binnen einer Woche abgeschoben werden, hatte der 2024 gewählte Dominikanische Präsident Abinder Anfang der Woche verkündet. Nun setzt der Repressionsapparat das präsidiale Dekret um.

Nichts Neues unter der Sonne also? Im vergangenen Jahr hatte die Dominikanische Republik auf diese Weise 250.000 Menschen abgeschoben. Wie viele von ihnen auf Schleichwegen wieder in die Dominikanische Republik zurückgekehrt sind, ist unbekannt. Anti-haitianischer Rassismus ist das Elixier der weißen Elite im Nachbarland Haitis, die dort über eine Schwarze Mehrheit herrscht. Das ist schon seit Diktator Trujillo so, der 1939 unter dem Motto „Blanquear la frontera“, die Grenze weiß machen, mit Messern und Macheten 15.000 Haitianer:innen vom Militär hat umbringen lassen.

2014 beschloss das dominikanische Parlament, allen Dominikaner:innen mit haitianischen Wurzeln die Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Es sind Methoden, die man bislang nur von faschistisch regierten Ländern kannte. Es gab keinen weltweiten Aufstand, stattdessen blieb die Dominikanische Republik weiterhin eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen. Mühsam gelang es der dominikanischen Zivilgesellschaft, Betroffene darin zu unterstützen ihre Staatsbürgerschaft zurück zu erlangen. Diese Unterstützung lähmte über Jahre hinweg die Zivilgesellschaft, während der Rassismus unter dem im Frühjahr 2024 wiedergewählten Präsidenten Abinder, neuen Auftrieb erfuhr.

Abinders Wahlkampf bestand vor allen Dingen aus anti-haitianischen Äußerungen und dem Bau einer meterhohen Mauer entlang der gesamten mehrere hundert Kilometer langen Grenze. Rückführungen, die mit massivem Militär – und Polizeiaufgebot gegen schwarze Menschen stattfinden, sind Alltag und haben das politische Klima im Touristenparadies auf Segregation gestellt. Neue und offen faschistische Bewegungen, die positiv Bezug nehmen auf das Massaker in den 1930er Jahren und auf Diktator Trujillo, entstehen und besetzen den öffentlichen Raum.

Neu an der jetzigen anti-haitianischen Welle in der Dominikanischen Politik ist der internationale politische Kontext. Denn es gibt derzeit einen Versuch, die haitianische Krise wenigstens zu entschärfen. An dessen Gelingen sollte eigentlich auch die Dominikanische Republik als unmittelbares Nachbarland größtes Interesse haben. 400 kenianische Polizisten sind als Vorboten einer internationalen Polizeimission im Land, deren Auftrag gerade vom UN-Sicherheitsrat um ein Jahr verlängert wurde. Es geht um die Einschränkung der Bandengewalt, die Haiti in die vielleicht tiefste Katastrophe seiner Geschichte gestürzt hat.

Beispielloses Massaker

Die über 200 bewaffneten Gruppen, die vielfältig mit der haitianischen Elite verschränkt sind, haben über 750.000 Menschen aus ihren Vierteln vertrieben. Die Geflüchteten leben in Schulen und auf öffentlichen Plätzen. Die Bilder der Flüchtlingslager ähneln denen des Erdbebens von 2010, nur dass sie dieses Mal nicht mit Fahnen der Hilfe gebenden Ländern beflaggt sind. Im Gegenteil, es gibt kaum Hilfe für die Betroffenen. Anfang Oktober richteten die Gangs erneut ein beispielloses Massaker in Pont-Sondé, eine Ortschaft in der Provinz Artibonite, an, bei dem 70 Menschen getötet wurden. Es ist in schreckliches Zeichen dafür, dass die Banden noch lange nicht geschlagen sind.

Dass die Dominikanische Republik mit ihrer Ausweisungsstrategie die Katastrophe in Haiti noch befeuert, zeigt, wie irrational eine immer autoritärer werdende Politik handelt. Denn auch die Dominikanische Republik ist Mitglied der karibischen Staatengemeinschaft CARICOM, die die Installierung einer Übergangsregierung in Haiti mit enormem Druck auf die Restposten der haitianischen Politik durchgesetzt hat. Nun protestiert just diese Übergangsregierung geradezu verzweifelt vor der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gegen die Deportationen. Erfolg wird ihr kaum beschieden sein.

Wie in einem Brennglas, zeigt sich am Beispiel von Haiti, dass Polykrisen wie diese, die eine lange Geschichte und vielfältige Ursachen haben, nicht durch Abschottung, Containment-Strategien und Militär- oder Polizeieinsätze zu lösen sind. Haiti braucht wie die anderen Krisenherde eine politische, soziale und ökonomische Perspektive und ein internationales Handeln, das sich in diesem Horizont bewegt. Alles müsste mit der Herrschaft des Rechts beginnen, die das Menschenrechtsnetzwerk RNDDH, mit dem medico seit langem kooperiert, unablässig einfordert. So wäre ein Gerichtsverfahren gegen den Ex-Präsidenten Martelly, der von den USA quasi in sein Amt eingesetzt und nun von ihr mit Sanktionen belegt wurde, und der sich an den Erdbebengeldern bereichert hat, ein solches Zeichen. Das würde deutlich machen, dass das Ziel der neuerlichen internationalen Intervention auch eine Idee für ein demokratisches und selbstbestimmter Haiti enthält.

Eine Herrschaft des Rechts müsste auch für die haitianischen Geflüchteten im Nachbarland gelten, die nicht in ein Land zurückgeschickt werden dürften, wo jede:r, aber insbesondere die Ärmsten, Opfer der Bandengewalt werden kann. Ungeachtet dessen starten auch von US-amerikanischen Flughäfen wieder Abschiebeflüge in die Karibik. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass all die politischen und polizeilichen Versuche, die vorgeben für mehr „Sicherheit“ zu sorgen, in Wirklichkeit nur ein Ziel haben: Haiti wieder abschiebefähig zu machen und keinerlei politische Idee darüber hinaus verfolgen. Das aber wird die Misere Haitis nur vertiefen.

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


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