Knapp 80 Millionen Menschen befanden sich laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk 2019 gezwungenermaßen auf der Flucht. Eine traurige Rekordzahl. Im Schnitt leben viele von ihnen 17 Jahre lang in Lagern. Länger als 17 Jahre teilen dieses Schicksal die saharauischen Flüchtlinge, die von Marokko 1976 zur Flucht gezwungen werden, weil ihr Territorium annektiert wurde. Seither harren sie in Flüchtlingslagern in der algerischen Geröllwüste aus. Wie - das beschreibt Timo Dorsch in seiner voranstehenden Reportage.
Nicht 17, sondern über 40 Jahre dauert diese Situation an, in der medico mit unterschiedlichen Unterstützungsprogrammen versuchte, an der Seite der Saharauis tätig zu sein. Zuletzt mit Medikamentenlieferungen für die Apotheken in den Lagern, die jetzt von anderen Organisationen fortgesetzt werden. Damit endet die Arbeit von medico in den Flüchtlingslagern. Dieses wie die großen Projekte zur Nahrungsmittelunterstützung, die medico bis 2004 durchführte, wurden von dem humanitären Hilfsprogramm der Europäischen Union (ECHO) finanziert. Solche fortlaufenden Kosten können nicht durch Spenden finanziert werden, selbst wenn es in Deutschland ein enormes Interesse an einem der letzten Kolonialkonflikte gäbe. Tatsächlich aber gibt es für das unerträgliche Dasein der Flüchtlinge in Algerien gar kein Interesse. In der europäischen Politik gelten die 170.000 Menschen als quantité négligeable, eine zu vernachlässigenden Menge.
Und so hat sich in den vergangenen Jahren der Spielraum für eine Hilfe, die sich der Befreiung von solchen Verhältnissen verschreibt, immer weiter eingeengt. Er ist eigentlich ganz zum Verschwinden gebracht worden. Dahinter steckt weniger ein böser Plan als die Macht des Faktischen. Ohne eine politische Lösungsperspektive werden die suprastaatlichen Akteure und Umsetzer, also auch medico, immer mehr dazu gezwungen, ein System der Hilfsbedürftigkeit aufrecht zu erhalten und zugleich die Hilfsbedürftigen zu überwachen und ihnen so im Zweifel Mittelmissbrauch zu unterstellen. Alle, die auf dem Flüchtlingsplanet über Mittel zu dessen Aufrechterhaltung verfügen, sind so Teil eines humanitären Dilemmas, aus dem es kein Entrinnen gibt. Es verlangt nicht mehr Hilfe, sondern eine politische Lösung.
medico hat sich daraus nun schweren Herzens verabschiedet, weil wir nicht einfach Mittel, die auch für unseren Haushalt gut wären, umsetzen wollten, sondern lieber Projekte machen würden, die die Anliegen der Geflüchteten unterstützen. Im vorhandenen Hilfesystem schien uns das nicht mehr möglich. Stattdessen unterstützen wir aus Spendengeldern den „Western Sahara Ressource Watch (WSRW)“, ein Netzwerk, das sich mit der Rohstoffausbeutung der marokkanischen Besatzungsmacht in der Westsahara auseinandersetzt und so auf die nach wie vor dem Völkerrecht widersprechende Besatzung aufmerksam macht.
medicos politische Solidarität mit den Saharauis geht also weiter und Sie können sie unter dem Stichwort „Westsahara“ weiter fördern.
Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 3/2020. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!