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26.09.2022   Lesezeit: 3 min

documenta: Eine deutsche Debatte

Von Katja Maurer

In aller Naivität und Unschuld wollte die documenta 15, kuratiert von der indonesischen Gruppe Ruangrupa, einen basisdemokratisch organisierten und mit kollektiven ästhetischen Praktiken aus dem Süden ausgestatteten Beitrag zu einer gemeinsamen globalen Sprache leisten. Eine solche globale Kultur der Verständigung müsste auch eine globale Erinnerungskultur begründen. Sie muss sich wesentlich um die geteilte und gegensätzliche Erfahrung aus dem Kolonialismus konstituieren. Das ist gründlich schiefgegangen. Und zwar nicht, weil die documenta-Kurator:innen ihre Lektion in Sachen Antisemitismus-Bekämpfung nicht gelernt haben, das haben sie nicht. Sondern weil wir oder sinnbildlich der Westen den Zutritt zu einer globalen Debatte über das Antisemitismusthema versperren. Erinnerungskultur ist quasi zum Hoheitsgebiet des Westens geworden. So wichtig die Erinnerungskultur für Deutschland ist, sie kann nicht für die Welt gelten. Denn dort gibt es andere Themen.

Ich war kürzlich in Brasilien zu einem Vortrag an die staatliche Universität von Rio de Janeiro eingeladen. Ich habe dort über den Antisemitismusstreit in Deutschland und die Auseinandersetzung auf der documenta sowie die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembering Alliance (IHRA) ausführlich berichtet, die demnächst auch in Lateinamerika vor allen Dingen Israel-bezogenen Antisemitismus und Regierungspolitik definieren soll. Die IHRA besteht übrigens bis auf ein paar lateinamerikanische Länder nur aus Staaten Europas und des Globalen Nordens. Mein ausführlicher Vortrag über die komplexe Gemengelage stieß auf freundliches Interesse und erstaunte Verwunderung. Von der documenta-Debatte, die wir hier für weltbewegend halten, hatte dort niemand etwas gehört. Sie war schlicht und ergreifend kein Thema. Unsere Selbstwahrnehmung in der Welt entspricht eben nicht der Wahrnehmung durch die Welt.

Die antisemitische Bildsprache, die auf der documenta vereinzelt auftauchte, muss natürlich diskutiert werden. Aber die Art und Weise, wie das in den deutschen Medien vor allem in selbstgefälliger und besserwisserischer Weise geschah, war ein Hinweis auf die unausrottbare Idee westlicher Überlegenheit. Hätten sich dieselben Kritiker:innen ähnlich über das wiederaufgebaute Schloss in Berlin echauffiert, das in seiner Orginaltreue eben auch die Kaiserzeit für historisch anschlussfähig hält, wären sie glaubwürdiger gewesen. So belehrt Deutschland als „Erinnerungsweltmeister“ die Welt.

Die entscheidende Frage lautet gerade hier: Wer spricht? Die Deutschen als „Erinnerungsweltmeister“ oder Menschen, die an einer multiperspektivischen Erinnerungskultur arbeiten? Deshalb waren die Debatten um die antisemitischen Zeichen in Werken auf der documenta abseits der documenta die interessanteren. Zum Beispiel beschäftigte sich der australische Historiker Dirk Moses, er ist schon allein geografisch näher dran, ausführlich mit der Geschichte antisemitischer Zeichen in Indonesien, derer sich die Propaganda-Künstler:innen von Taring Padi offenkundig selbst nicht bewusst waren. Moses unterscheidet zwischen einem populären Anti-Israelismus und einem realen Antisemitismus, den rechtsradikale niederländische Kolonialsoldaten nach Indonesien brachten und der sich dort mit antichinesischen Ressentiments mischte. „Dekoloniale Muster machten die Juden zum Anderen auf verschiedene Weise. Sie wurden als Weiße markiert und mit einer weiteren Außenseitergruppe, den Chinesen, in Verbindung gebracht“, so Moses.

Auch die Tatsache, dass in vielen postkolonialen Diskursen Israel und die Juden immer wieder in eins gesetzt werden, zeigt sich am Beispiel Indonesiens. Suharto, der am Ende seines Regimes Unterstützung bei Islamisten suchte, erklärte seinen Sturz mit einer „zionistischen Verschwörung“, trotz der langjährigen Kooperation mit Israel. Moses zitiert zwei australische Kunsthistoriker, die dem Künstlerkollektiv aus Indonesien, harte Fragen stellten: „Gab es ein wirkliches Verständnis von der Symbolik oder wurde einfach unkritisch die massenhafte Bildersprache übernommen, die im öffentlichen Diskurs zirkuliert, die Antisemitismus mit Antiimperialismus und Antikapitalismus vermischt?“ Auf der bis dato wichtigsten Kunstschau der Welt hat Taring Padi die Trope „des Juden“ benutzt, der ein ausländischer Ausbeuter und ein Kriegsstifter ist. Also eine internationale Gefahr darstellt. Das ist gelinde gesagt eine Katastrophe für alle, die verstehen, dass der israelisch-palästinensische Konflikt auch ein Kolonialkonflikt ist und damit unweigerlich Teil der Debatte um Reparationen für die Folgen des Kolonialismus ist.

Diese documenta ist zu Ende. Ob und wie ihr weitere folgen werden, wird interessant. Wir waren Zuschauer:innen oder Beteiligte an einer deutschen Debatte. Insofern sollte man die Kirche oder welches Gotteshaus auch immer im Dorf lassen.

Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 3/2022. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


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