Namibia

Wasserstoff aus der Wüste

15.07.2024   Lesezeit: 7 min

Eine Wende zu grüner Energie ist bitter nötig. Doch postkoloniale Verhältnisse und die Mechanismen des Weltmarkts bedrohen die Rechte der Ovaherero und Nama in Namibia.

Von Henryk Joost

Geordnete Reihen von Solarzellen oder vereinzelte Windkraftanlagen heben sich gegen den Sonnenuntergang ab: Die Werbevideos von Namibias größtem Wasserstoffprojekt zeigen aufgeräumte Industrieanlagen in einer menschenleeren, sanften Wüstenlandschaft und vermitteln gerade zu harmonische Eintracht zwischen den Produktionsanlagen, der Umwelt und den nur am Rande vorkommenden Menschen. Getragen von einem Joint Venture eines deutschen und eines englischen Unternehmens entsteht im namibischen Tsau-ǁKhaeb-Nationalpark, einem ehemaligen Diamantenabbaugebiet, südlich der Stadt Lüderitz das Projekt „Hyphen“.

Seit eine Studie der Weltbank im Jahr 2020 Namibia ausgezeichnete Bedingungen für die Herstellung von grünem Wasserstoff attestierte, gibt es einen regelrechten Hype, denn auf der großangelegten Produktion von Wasserstoff aus Solar- und Windenergie liegen viele Hoffnungen für die Dekarbonisierung. In den großen Elektrolyse-Anlagen wird aufbereitetes Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten. Letzterer kann dann verstromt oder als Ausgangsstoff für viele Anwendungen in der Chemieindustrie, Stahlherstellung oder für synthetische Kraftstoffe verwendet werden. Die namibische Regierung hat ambitionierte Pläne, Vorreiter im aufstrebenden Markt für diesen „Energieträger der Zukunft“ zu werden. Durch den Export von Wasserstoff und die Ansiedlung weiterer Verarbeitungsindustrien, so die Hoffnung, wird das Wirtschaftswachstum angekurbelt und Arbeitsplätze geschaffen.

Auch Deutschland hat ein großes Interesse am Wasserstoff aus Namibia. Insbesondere nach der russischen Invasion in der Ukraine und dem beschlossenen und überfälligen Kohleausstieg sucht Deutschland neue und nachhaltige Energiequellen. Wasserstoff aus Namibia – zu dem die Beziehungen „vielfältig und eng“ sind, wie das Auswärtige Amt angesichts der deutschen Kolonialverbrechen euphemistisch schreibt – wird dabei als wichtiger Baustein betrachtet. 2021 haben Namibia und Deutschland deshalb eine Wasserstoff-Partnerschaft begonnen. Seitdem werden Infrastrukturprojekte, Bildungsinitiativen und diverses mehr in Zusammenhang mit der Wasserstoffwirtschaft mit deutschen Entwicklungshilfegeldern gefördert.

Soweit so gut?

Für Namibia ergeben sich Aussichten auf Industrialisierung, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung, Deutschland erhält CO2-neutralen Wasserstoff, um die eigene Klimabilanz zu verbessern – es scheint, als gäbe es in dieser Geschichte nur Gewinner. Aber es ist komplizierter.

Vorweg: Angesichts der sich entfaltenden Klimakatastrophe scheint Wasserstoff ein sinnvoller Ersatz für fossile Energieträger zu sein. Namibia mit seiner großen, dünn besiedelten Landfläche und besten Bedingungen für Solar- und Windenergie scheint ein besonders geeigneter Ort für die Wasserstoffproduktion. Die Frage ist mehr: Wie wird die Wasserstoffwirtschaft in Namibia aufgebaut? Und wer profitiert von dieser Entwicklung eigentlich wie viel?

Denn bei aller Partnerschaft lassen sich zwischen den Wasserstoffstrategien Namibias und Deutschlands widerstreitende Interessen erkennen. Deutschland will Wasserstoff importieren – unter anderem, um die eigene Stahlindustrie zu Dekarbonisieren. Namibia will den Wasserstoff perspektivisch nutzen, um vor Ort selbst Stahl zu produzieren. Dieser Interessenkonflikt deutet auf den Kern der Frage, welchen Weg die namibische Wasserstoffwirtschaft einschlagen wird. Wird Namibia in Zukunft lediglich Rohstoffe nach Europa transportieren oder eine eigene Industrie aufbauen können?

Welche Abhängigkeiten für Länder entstehen, die allein Rohstoffe in die entwickelten „Zentren“ dieser Welt liefern, haben die Vertreter:innen der Dependenztheorie bereits vor über 50 Jahren benannt. Als Intellektuelle des Globalen Südens haben sie zunächst für Südamerika, später auch für die anderen „Peripherien“ beschrieben, wie auch nach der formalen Dekolonialisierung die Wirtschaften auf die Interessen der ehemaligen Kolonialmächte ausgerichtet blieben. Darauf, dass dies nun auch für Namibia nicht abwegig ist, gibt es einige Hinweise.

Der Aufbau einer Wasserstoffproduktion und -Industrie ist teuer und technologisch extrem anspruchsvoll. In Namibia gibt es bisher weder das dafür notwendige Kapital noch Technologie oder Erfahrung. Es sind überwiegend europäische und südafrikanische – dessen Kolonie Namibia bis 1990 war – Unternehmen, welche die aktuellen und zukünftigen Projekte durchführen und den Sektor kontrollieren werden, möglicherweise noch mit ihren Spezialisten, die in den Werken arbeiten. So wundert es nicht, das bereits jetzt abgeschlossene Vorverträge den Export der gesamten Produktionskapazität von Hyphen - unter anderem an RWE – regeln und die Infrastrukturförderungen durch Gelder der deutsche Entwicklungszusammenarbeit vor allem in Bereiche fließen, die für den Export notwendig sind.

Zudem ist der Wasserstoffsektor hochkompetitiv. Namibia konkurriert unter anderem mit Chile, Marokko und Mauretanien um die Ansiedlung der Projekte. Aus der Standortkonkurrenz kann schnell ein „race to the bottom“ werden.

Umstrittene Pläne

Auch von ganz anderer Stelle wird Kritik rund um das Projekt Hyphen laut. Obwohl teilweise traditionelles Land der Ovaherero und Nama betroffen ist, wurden diese bisher nicht einbezogen. Für die indigenen Gruppen eine sich wiederholende Erfahrung. Bereits bei dem sogenannten Versöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia kritisierten sie ihre fehlende Einbindung in die Verhandlungen und lehnten das Ergebnis ab.

Um Platz für die Exportinfrastruktur zu schaffen, soll der Hafen in Lüderitz auf Teile von Shark Island erweitert werden – ausgerechnet dort, wo in einem deutschen Konzentrationslager mehrere tausend Ovaherero und Nama interniert waren und starben. Die Nachfahren der Überlebenden wehren sich gegen diesen Plan und fordern den Erhalt des Gedenkortes. Aber auch über Shark Island hinaus ist die Landfrage brisant: Im Ergebnis der Kolonialzeit ist Landbesitz in Namibia extrem ungleich verteilt, immer noch sind 70 Prozent des Landes im Besitz von Weißen. Für die Wasserstoffproduktion stellt der namibische Staat Hyphen nun in einem ersten Schritt 4.000 Quadratkilometer im Tsau-ǁKhaeb-Nationalpark zur Verfügung, während es für all das geraubte Land nie eine Entschädigung gab.

Bereits 1908 wurde das Gebiet des heutigen Nationalparks von den deutschen Kolonialbehörden für die lokale Bevölkerung gesperrt, nachdem dort Diamanten gefunden worden waren. Seitdem werden die Diamanten gefördert, erst von deutschen, anschließend von südafrikanischen Unternehmen. Zwar wurde das Gebiet 2008 in einen Nationalpark umgewandelt, doch noch heute ist es als „Sperrgebiet“ bekannt und darf nur sehr eingeschränkt betreten werden.

Kritik gegen diesen Standort gibt es auch vom Verband namibischer Umweltorganisationen, der Namibian Chamber of Environment (NCE). Teile des Tsau-ǁKhaeb-Nationalparks und des Projektgebiets sind als einer von nur 36 Biodiversitätshotspots weltweit von besonderer Bedeutung für die Artenvielfalt. Die NCE fürchtet, dass die globale Biodiversitätskrise im Namen des Kampfs gegen die Klimakrise noch befeuert werden könnte. Dazu kommt, dass Wasser in Namibia Mangelware ist – erst kürzlich wurde der nationale Wassernotstand ausgerufen. Für die Wasserstoffproduktion soll daher Meerwasser aufbereitet werden. Es ist bekannt, dass die großen benötigten Aufbereitungsanlagen und vor allem die Entsorgung des salzigen Abwassers negative Folgen für marine Ökosysteme hat. Davon wären auch die lokalen Fischer:innen betroffen. Ein Konzept für die Entsorgung gibt es bisher nicht.

Nicht zuletzt ist es eine Frage der globalen Gerechtigkeit: Soll Namibia Energie nach Europa exportieren, wenn etwa die Hälfte der eigenen Bevölkerung keinen Zugang zu Elektrizität hat? Soll Namibia die potentiellen sozio-ökologischen Kosten der grünen Transformation Europas tragen, wie Länder des Globalen Südens seit vielen Hundert Jahren die Kosten für die Entwicklung der Industrienationen tragen mussten und nun in besonderer Weise von den Folgen der Klimakrise betroffen sind?

Gerechte Transformation?

Damit Namibia als Rohstoff- und Energielieferant kein neuer Schauplatz von grünem Extraktivismus und Energiekolonialismus wird, bedürfte es einer grundsätzlichen Umorientierung. Wie eine andere Wasserstoffwirtschaft aussehen könnte, dafür gibt es bereits Ideen: Unter dem Schlagwort Hydrogen Justice – Wasserstoffgerechtigkeit – hat sich ein Konzept etabliert, dass verschiedene Dimensionen für eine gerechte Wasserstofftransformation identifiziert. Im Zentrum steht die gerechte Einbindung und Rücksichtnahme auf lokale Communities, die Anerkennung von vergangenen und aktuellen Machtdynamiken und Ungerechtigkeiten und selbstverständlich die Frage nach dem Zugang und der Verteilung: Des Landes, des Wassers, der Energie und den Vorteilen, die der Wasserstoff bringen kann. All das ist umkämpft und scheint aktuell in weiter Ferne. So geordnet und harmonisch wie die Anlagen im Werbevideo für Hyphen ist die Realität nicht.

Henryk Joost schreibt seine Masterarbeit am Fachbereich Humangeographie der Uni Frankfurt zu grünem Extraktivismus am Beispiel des Wasserstoffprojekts Hyphen. Er arbeitet als Werkstudierender bei medico international. 


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