Die geheimen Ärzte

Wie syrische Mediziner im Untergrund Leben retten

22.03.2012   Lesezeit: 3 min

Es ist der Februar dieses Jahres. Syrien ist in Aufruhr. Überall wird demonstriert, in manchen Städten wie Homs und Idlib finden regelrechte Straßenkämpfe statt. Wir haben uns in Beirut verabredet. Nach Tagen des Wartens steht er am Nachmittag einfach vor uns. Wir nennen ihn Doktor B. Seinen wirklichen Namen können wir nicht preisgeben, es wäre lebensgefährlich für ihn. Doktor B. ist etwa Mitte Dreißig, schmächtig, blass und hat tiefe Ringe unter den Augen, die von vielen Nächten ohne Schlaf erzählen. Er ist Thorax-Chirurg und arbeitet in einem staatlichen Krankenhaus einer syrischen Großstadt. Nach der täglichen Schicht beginnt sein zweites Leben, dann ist er ein „Doktoor al-Thaura“, ein Arzt der Revolution. Er fährt an die Orte des Protestes und besucht die Patienten in Privatwohnungen, Kellern oder in Hinterzimmern.

Die staatlichen Krankenhäuser sind längst nicht mehr sicher: „Ich habe gesehen, wie verletzte Demonstranten in der Notaufnahme vom Sicherheitsdienst geschlagen und gefoltert wurden.“ Viele seine Kollegen hätten sich darüber empört. Die Verletzten würden entweder nicht registriert, so dass sie nach einer Erstversorgung direkt verschleppt werden können, oder aber als „Verkehrsunfälle“ geführt.

Doktor B. konnte das nicht mehr ertragen. Er begann mit einer kleinen OP-Tasche illegale Hausbesuche zu machen. „Einmal versorgte ich in meinem Auto sechs Stunden lang einen Studenten, der drei Schussverletzungen hatte. Als uns ein Privatkrankenhaus aufnehmen wollte, wurden wir vom Geheimdienst entdeckt, konnten aber in letzter Minute fliehen.“ Zusammen mit anderen Ärzten gründete er eine medizinische Kommission, sie richteten ein Netz von illegalen Kliniken ein. Alles musste heimlich geschehen, denn werden diese sogenannten „Untergrundhospitäler“ verraten oder vom Regime entdeckt, droht den Patienten und Ärzten mindestens eine Verhaftung mit anschließender Folter, oftmals auch der Tod. Auch die Apotheken werden überwacht, so dass auch die Medikamente entweder ins Land geschmuggelt werden oder unter Lebensgefahr aus den staatlichen Krankenhäusern mitgenommen werden müssen.

Der Doktor hat uns auf einem winzigen Chip Videofilme mitgebracht: Ärzte behandeln Schussverletzungen, es gibt einen Operationstisch, Licht, entsprechendes chirurgisches Gerät. Alle engagierten Mediziner leben gefährlich: Nach Angaben der Lokalen Koordinationskomitees in Syrien wurden seit dem Ausbruch der Demonstrationen am 14. März letzten Jahres mindestens 295 Ärzte verhaftet. Was passiert, wenn er entdeckt wird? „Medizinische Hilfe wird behandelt wie Terrorismus oder Desertion“, sagt er ernst und ergänzt ohne jedes Pathos: „Ich hoffe, sie töten mich schnell, wenn sie mich erwischen“. Der Doktor muss zurück. Er quittiert uns eine Geldsumme, die wir ihm übergeben. Damit wird er später in Syrien auf dem grauen Markt dringend benötigtes medizinisches Gerät kaufen. Dann verschwindet er: „Morgen früh um 6 Uhr beginnt im Krankenhaus meine Schicht. Wenn ich fehle, stehe ich sofort unter Verdacht.“

Projektstichwort

medico ist seit Beginn des syrischen Aufstandes im Kontakt mit oppositionellen Basiskomitees, die die allwöchentlichen Demonstrationen organisieren. Seit Ende des Jahres 2011 unterstützen wir mit Ihrer Spende Not-Kliniken der Basiskomitees, die unter immer schwierigeren Bedingungen alles tun, um Menschenleben zu retten. Unser Stichwort der Solidarität mit den syrischen Ärzten lautet: Nahost


Jetzt spenden!