Dossier zum Krieg im Kongo

DR Kongo: Die dunkle Seite der Globalisierung

26.11.2008   Lesezeit: 10 min

Zur Geschichte des kongolesischen Bürgerkriegs

Seit 1998 sind in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) mind. 4 Mio. Menschen an den direkten und an den indirekten Folgen des Krieges, wie Unterernährung Seuchen und Epidemien gestorben. Vor allem die östlichen Provinzen des Landes sind schwer von den andauernden Kampfhandlungen betroffen.

Konfliktauslöser waren zum einen die Ankunft von ca. 2 Mio. ruandischen Flüchtlingen, die 1994 vor den Kriegshandlungen in ihrem Heimatland in das kongolesische Grenzland flohen und zum anderen die Interventionen einer von Ruanda und Uganda aufgestellte Rebellen-Streitmacht 1996 und 1998. Die erste Intervention erfolgte zum Sturz Mobutus und zur Einsetzung Laurent-Désiré Kabilas als Präsident der DRK, die zweite zur Unterstützung neuer Rebellen gegen Kabila, nachdem dieser sich mit seinen ruandischen Bündnispartnern überworfen hatte. Kabila konnte die von Osten vorrückenden Truppen schließlich mit militärischer Hilfe aus den Nachbarländern Angola und Simbabwe stoppen, die als Gegenleistung für ihr Engagement Zugang zu den immensen kongolesischen Rohstoffen erhielten.

Die konfliktreiche Phase zwischen 1996 und 2002 wird aufgrund der Verstrickungen und Interessen der vielen beteiligten Staaten (neben der DR Kongo selbst waren dies Ruanda, Uganda, Burundi, Angola und Simbabwe) ab 1998 auch als „afrikanischer Weltkrieg“ bezeichnet. Die Vereinten Nationen entsandten daraufhin im Jahr 2000 die Friedensmission MONUC (Mission de l’organisation des Nations Unies au Congo), die seitdem versucht zwischen den Konfliktparteien im Kongo zu vermitteln und die Zivilbevölkerung zu schützen.

Am 16. Januar 2001 fiel Laurent-Désiré Kabila einem Attentat zum Opfer und sein Sohn Joseph Kabila wurde ohne die Abhaltung von Wahlen zu seinem Nachfolger bestimmt. Ihm gelang es mit Unterstützung der UNO, zeitweise die Verhandlungen mit den abtrünnigen Provinzen wieder aufzunehmen und im Juli 2003 eine neue Übergangsregierung mit Vertretern der verschiedenen Rebellengruppen zu bilden. Diese ebnete den Weg zur Wahl im Jahre 2006, bei deren Vorbereitung und Absicherung MONUC eine bedeutende Rolle spielte und die Joseph Kabila für sich entscheiden konnte. Trotz dem seit 2003 offiziell geltenden Friedensabkommen, blieben weite Gebiete im Ostkongo unter Kontrolle informeller Milizen, u. a. der Rebellenbewegung CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes) des Ex-Generals der ruandischen Armee Laurent Nkunda, einem kongolesischen Tutsi. Diese schloss sich nicht der Übergangsregierung an, sondern blieb im Ostkongo und leistet der kongolesischen Armee und deren Verbündeter weiterhin heftigen Widerstand.

Historischer Rückblick

Die aktuelle Krise im Kongo kann ohne Kenntnisse über dessen post-koloniale Vergangenheit und den schon damals einsetzenden Rohstoff-Ausverkauf nicht vollständig begriffen werden. Im Zuge der weltweiten Entkolonialisierungswelle erlangte Belgisch-Kongo 1960 die Unabhängigkeit. Der vom Volk gewählte Ministerpräsident Patrice Lumumba hatte jedoch keine Zeit seine Visionen eines politisch und wirtschaftlich unabhängigen Staatswesens umzusetzen. Angesichts des Rohstoffreichtums im Kongo befürchteten Belgien, Großbritannien und die USA, dass der Kongo zum Bündnispartner des Ostblocks werden könnte. Nach nur zwei Monaten im Amt wurde Lumumba im Januar 1961 mit aktiver Unterstützung westlicher Geheimdienste ermordet. In den folgenden Jahren entwickelte sich General Mobutu Sese Seko mit Unterstützung der USA zum Alleinherrscher im Kongo. Er bereicherte sich bis zum Ende seiner Herrschaft auf Kosten des Landes bis zum Multimilliardär. Die westlichen Mächte tolerierten seine kleptomanischen Machenschaften, da Mobutu als wichtiger Verbündeter gegenüber der UdSSR galt und sie glänzende Geschäftsbeziehungen zu seinem Regime unterhielten. Das beispiellose Missmanagement Mobutus führte den potentiell reichen Staat schlussendlich in den ökonomischen, politischen und sozialen Bankrott. Bei seinem Sturz 1997 hinterließ er eines der ärmsten und am höchsten verschuldeten Länder Afrikas und der ab 1998 wütende Bürgerkrieg mündete in der bis heute anhaltenden Gewalt und im Flüchtlingselend.

Aktuelle Lage

Seit Ende August 2008 liefern sich die kongolesische Armee und die Tutsi-Rebellen unter der Führung von Laurent Nkunda wieder blutige Kämpfe. Inzwischen haben die Rebellen weite Teile Nord-Kivus rund um Goma unter ihre Kontrolle gebracht. Nkunda wirft der Armee eine Zusammenarbeit mit Hutu-Extremisten, der Gruppe Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR), die am Völkermord in Ruanda beteiligt waren, 1994 in den Ostkongo flüchteten und seitdem im Grenzgebiet zwischen Kongo und Ruanda operieren, vor. Nkunda legitimiert seine Kampfhandlungen offiziell damit, dass seine Milizen die Tutsi-Minderheit im Ostkongo gegen diese Hutu-Extremisten schützten und eine sichere Zone für die Tutsi der Region einrichten müssten. Er fordert zudem direkte Verhandlungen mit Kabila.

Der Präsident der DRK lehnt dies jedoch ab und wirft wiederum der ruandischen Regierung vor, Nkunda finanzielle und logistische Unterstützung zu gewährleisten. Aus seiner Sicht nutzt die ruandische Regierung die Tutsi-Rebellen, um Kontrolle über die äußerst rohstoffreichen Ostprovinzen zu erlangen und um das ruandische Einflussgebiet in der Region auszuweiten. Um erfolgreich gegen die Rebellen auf dem eigenen Territorium vorgehen zu können, haben sich die kongolesischen Truppen daher kürzlich, wie schon von 1998 bis 2003, mit Kontingenten aus Angola verstärkt. Angola gilt als Schutzmacht Kabilas und nutzt die Entsendung seiner Truppen zur Verfolgung seiner Eigeninteressen.

Durch die zunehmende Internationalisierung des Konflikts erhöht sich das Risiko, dass sich die betroffenen Länder auch direkt in den Konflikt einschalten und aus Ostkongos Krieg einen zwischenstaatlicher Konflikt wird, der die gesamte Region der großen Seen destabilisieren könnte. Daher wurden die ehemaligen Präsidenten von Nigeria und Tansania Olusegun Obasanjo und Benjamin Mkapa als UN-Sonderbeauftragte eingesetzt um zwischen allen beteiligten Parteien zu vermitteln.

Zudem sprach sich UN-Generalsekretär Ban Ki Moon angesichts der neuerlichen Kämpfe für eine Aufstockung der 17.000 Mann starken MONUC-Truppen um 3.000 zusätzliche Soldaten und Polizisten aus. Angesichts der Tatsache, dass die DRK die 6,6-fache Größe der BRD hat und sich nur rund ein Drittel der dort stationierten UNO-Truppen in den wirklich betroffenen Ostprovinzen befinden, kann davon ausgegangen werden, dass die Blauhelme auch nach einer eventuellen Aufstockung des Kontingents mit der Situation vor Ort überfordert sein werden und keinen Einfluss auf die Kampfhandlungen nehmen können.

Folgen für die Zivilbevölkerung

Die seit Jahren andauernden Kämpfe und Vertreibungen, die stetig wachsende ethnische Polarisierung und der grassierende Hass rufen immer mehr Opfer unter der einheimischen Zivilbevölkerung hervor. Regierungssoldaten, lokale Milizen und Rebellen terrorisieren die Menschen und beteiligen sich gleichermaßen an Plünderungen und Übergriffen. Hunderttausende leben in Flüchtlingslagern und ständig werden es mehr. Allein seit August 2008 haben die Kämpfe mindestens 250.000 Menschen in die Flucht getrieben. Familien werden durch Krankheit, Verschleppung und Tod auseinander gerissen, das bestehende Sozialgefüge durch ein erschreckendes Ausmaß sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen zerstört. Vergewaltigungen stehen an der Tagesordnung und werden in den meisten Fällen nicht strafrechtlich verfolgt. Die Stigmatisierung der Vergewaltigten ist oftmals so stark, dass sich die meisten Opfer zum Schweigen verurteilt fühlen. Die massive Gewalt gegen die Frauen zielt letztlich jedoch auf deren Männer ab. Die Täter versuchen sie zu brechen und gefügig zu machen, indem sie deren Familien zerstören. Die anhaltenden Kriegsgräuel haben zur Folge, dass die ansässige Bevölkerung im Zustand einer permanenten Kriegspsychose lebt und mittlerweile 235.000 Menschen in der Region vom Welternährungsprogramm (WFP) versorgt werden müssen. Zusätzlich können aufgrund der Gewalt und schlechter Straßenverhältnisse 28.000 Menschen nicht mehr von den UNO-Hilfsorganisationen erreicht werden. In den Lagern rund um den Kivu-See breiten sich zudem, durch Mangel an sanitären Anlagen, genießbarem Wasser, Lebensmitteln und Gesundheitsversorgung Krankheiten wie Cholera rapide aus.

Hintergrund des Konflikts: Die dunkle Seite der Globalisierung

Kongos internationale Beziehungen spiegeln den schleichenden Ausverkauf dieses zentralafrikanischen Riesenstaates wider. Seitdem westliche Länder erstmals auf das heutige Gebiet der DRK aufmerksam wurden, haben sich deren Führer die Sympathien ihrer ausländischen Freunde stets mit den im Überschuss vorhandenen Rohstoffen erkauft. Bis heute sichern sich die Kriegsherren des Ostkongo auf diese Weise nicht nur Waffen, sondern auch die Unterstützung aus den Nachbarländern Uganda und Ruanda. Von daher muss der Konflikt auch im Kontext von Waffenhandel und der Extraktionswirtschaft der natürlichen Ressourcen betrachtet und verstanden werden.

Uganda und Ruanda kommt dabei besondere Bedeutung zu. Durch beide Länder führen wichtige Transitstrecken, um Kongos wertvolle Rohstoffe über ostafrikanische Häfen verschiffen zu können. Durch sie fließen alle Export- und Importwaren Ostkongos, wodurch unter anderem der florierende Mineralienschmuggel, an dem Armeeoffiziere und etablierte Geschäftsleute aller Ethnien beteiligt sind, am Leben erhalten wird. Gleichzeitig ist das nahe Grenzgebiet Rückzugsort für ruandische und ugandische Rebellengruppen, welche die Nachbarländer unter Kontrolle wissen wollen. Über die genauen Geschäftsbeziehungen und die politischen Verstrickungen der einzelnen Akteure ist fast nichts bekannt. Klar ist nur, dass alle am Bürgerkrieg beteiligten Kriegsparteien erheblich von den immensen Bodenschätzen im Ostkongo profitieren, Afrikas immense Ressourcen begehrter sind denn je und die Preise auf dem Weltmarkt zuletzt rasant gestiegen sind.

Eine weiterer wichtiger Faktor sind die Interessen der in der Welt herrschenden wirtschaftlichen und politischen Mächte, die im Kongokrieg tangiert werden. Joseph Kabila wird schon seit langem vor allem von Frankreich unterstützt, das seine wirtschaftlichen Interessen und seinen etwas ins Wanken geratenen Einfluss in den frankophonen Staaten Afrikas zurückgewinnen will. Französische Unternehmer im Kongo galten als wichtigste Geldgeber für den Wahlkampf Kabilas, der nach dem Ende des Krieges 2002 viele Bergbaulizenzen neu vergeben und dabei einen großen Teil der staatlichen Minen privatisiert hatte, wovon vor allem französische Unternehmen profitiert haben.

Gleichzeitig gelten die anglophonen Staaten Uganda und Ruanda als wichtigste US-amerikanische Vorposten in Schwarzafrika. Von dort aus versucht die US-Regierung ihre strategischen Interessen in der Region zu wahren und sich Zugang zu den Rohstoffvorkommnissen des Kongo zu sichern. Das Auftreten Chinas, das sich im Austausch für den Bau eines weitreichenden Schienen- und Straßensystems von Kinshasa ins Landesinnere Zugang zu den kongolesischen Bodenschätzen verschafft hat, verstärkt die ohnehin schon explosive Interessenkonstellation der Weltmächte vor Ort. Das Abkommen der kongolesischen Regierung mit den Chinesen stellt für die lokalen Warlords wie Nkunda zudem eine akute Existenzgefährdung dar, da der infrastrukturelle Ausbau eines landesweiten Verkehrssystems ein erster Schritt zu einem funktionierenden kongolesischen Staatssystem sein könnte.

Rohstoffinteressen als Konfliktfaktor

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vordergründig genannten tribalen Konfliktgründe den Blick auf die strukturellen Konfliktursachen im Kongo verstellen. Hinter der Fassade eines ethnischen Konflikts zwischen Hutus und Tutsis, lassen sich eine externe Konfliktdimension und die Konturen des globalen Kapitalismus erkennen. Der Krieg speist sich hauptsächlich aus dem Kampf um den Zugang und die Kontrolle zu den fünf Schlüsselmineralien Coltan, Diamanten, Kupfer, Kobalt und Gold und die Sicherung von Handelsrouten. Aus den zahlreichen Minen Nord- und Süd-Kivus schöpfen Laurent Nkunda, die FDLR, die Mai-Mai-Milizen und die kongolesische Regierung ihre Mittel für Sold, Waffen und persönliche Bereicherung und sie liefern den Grund für die Besetzung ganzer Landstriche in den östlichen Provinzen durch die afrikanischen Nachbarstaaten wodurch der Bürgerkrieg immer wieder aufs Neue angefacht wird.

Die systematische Ausbeutung von Kongos natürlichen Ressourcen durch lokale Warlords und ausländische Armeen erfolgt aufgrund rationaler ökonomischer Interessen und ist Teil einer globalen Schattenwirtschaft. Der permanente Kriegszustand und der staatliche Zerfall der DRK hat somit für alle Kriegsteilnehmer eine "Win-Win-Situation" kreiert. Der einzige Verlierer in diesem großen Rennen ist und bleibt das kongolesische Volk, das von den Reichtümern des Landes mehr Schaden als Nutzen hat. Dies wird sich auch nicht ändern, solange es zu keiner effektiven Herausbildung demokratischer Strukturen, besseren Kontrollen von Rohstoff- und Waffenhandel und der Implementierung von fairen Handelsstrukturen kommt. Insbesondere auf dem Gebiet der Rohstoffökonomie muss die internationale Gemeinschaft, deren Endverbraucher an der kriminellen Abschöpfung der Rohstoffe indirekt beteiligt sind, mit Geduld und Sachverstand auf eine Kehrtwende hinarbeiten.

Zum Weiterlesen:
- Dominik Johnson: Kongo. Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens. Frankfurt 2008.
- medico international: Der Stoff aus dem die Kriege sind. Frankfurt 2004. Download als PDF in der rechte Spalte unter Dokumente.

Quellen:
- Balkanisation and crisis in eastern Congo. Ernest Wamba dia Wamba speaks to Pambazuka News
- Taz-Artikel von Dominik Johnson zur Lage im Kongo vom 03.11.08-26.11.08
- Philip Arthur Njuguna Mwanika: D R Congo: Coltan, blood and tears: the missing link to peace
- Medica Mondiale
- Deutsche Welle: Dossier “Armer, reicher Kongo”
- Slavoij Zizek: Use your Illusions

Autor: Christian Schulze


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