- Demokratie aufbauen
- Frieden sichern
- Ressourcen solidarisch nutzen
Wenn Wasser als Waffe eingesetzt wird, könnte auch einmal Krieg um Wasser geführt werden, sagte der ehemalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros Ghali 1985. Weder im Osloer Abkommen von 1993 und 1995 noch anläßlich der Gespräche in Camp David, bei denen es um die Lösung des Israel-Palästina-Konflikts ging, war zwischen den Beteiligten von Wasser die Rede. Wo hart darüber verhandelt wurde, wer welche oft genug verkarsteten Böden und Hügel samt einiger wirtschaftlich unbedeutender Olivenhaine kontrolliert, vermied man das eigentlich triftige Problem: daß in Israel/Palästina nichts so knapp ist wie jenes Nass, das zur Bewirtschaftung der Felder und zur Versorgung der Bevölkerung unabdingbar ist.
Der tiefgreifende sozioökonomische Konflikt zwischen den Beteiligten drückt sich in einer krassen Tatsache aus: Israel kontrolliert 83 Prozent des Wassers der West Bank und verbraucht davon 80 Prozent – der geringe Rest steht der arabischen Bevölkerung zur Verfügung. In Israel wird ungern über dieses Thema gesprochen. Hauptverschwender des Wassers ist die Landwirtschaft. Besonders die Zitrusplantagen verschlingen die knappe Ressource. Mehr als 60 Prozent der 1,9 Milliarden jährlich verbrauchten Kubikmeter Wasser gelten der Agrarwirtschaft zu extrem subventionierten Preisen. Die Lobby der Kibbuzim sperrt sich gegen die von der Regierung geplante Erhöhung der Wasserpreise. Zugleich wird Wasser verschwendet. Mehr als 90 Millionen Kubikmeter werden pro Jahr unaufbereitet ins Meer geleitet. Unter den vergleichbar trockenen (semiariden) Bedingungen der Region verbrauchen die Israelis pro Kopf 100 Kubikmeter Wasser, die Jordanier 55 und die Menschen der Autonomiegebiete 35. Die Lage verschärft sich durch die geringen Niederschläge der letzten fünf Jahre. Sollte es schließlich zur anvisierten Golan-Lösung mit Syrien kommen müßte Israel auf 30 Prozent der Wasserzuläufe aus dem Berggebiet (Yarmouk) verzichten. Beanspruchte Syrien das Nordost-Ufer des Sees Genezareth für sich, wäre Israel nicht mehr existenzfähig.
In dieser Notlage entdeckte die israelische Politik die Türkei als ihren Partner zur Lösung des Problems. Die Türkei staut im Rahmen des Südostanatolienprojektes die zwei zentralen Wasseradern der Region, die Flüsse Euphrat und Tigris, durch 22 Staudämme im Rahmen eines internationalen Investitionsprojektes mit einem Volumen von 35 Mrd. $. Aus diesen und anderen türkischen Reservoirs soll nun bald der größte Süßwassertransfer aller Zeiten eröffnet werden: 200000 Millionen Kubikmeter Wasser sollen jährlich zu einem Preis von 1$ pro Kubikmeter vom türkischen Manavgat aus durch das Mittelmeer Richtung Israel transportiert werden. Der Beschluß ist das Ergebnis einer Krisensitzung vom Oktober 2000, an der der israelische Premierminister Ehud Barak und der militärische Nationale Sicherheitsrat beteiligt waren. Wasser wurde dabei als »strategisches Gut« deklariert. Allerdings wird die Frage der Wasserlösung in Israel kontrovers diskutiert: Einige Experten fragen, wie abhängig sich ein Staat machen darf, wenn es ums Wasser geht. Zugleich wird auf die Paradoxie hingewiesen, daß Israel zwar Meerwasserentsalzungsanlagen exportiert, diese für sich selbst aber unter Hinweis auf die hohen Kosten nicht zum Einsatz bringt. Vorsichtig möchte Israel daher den Vertrag auf fünf Jahre begrenzen, während die Türkei eine Vertragsdauer von 15 Jahren anstrebt.
Das Hauptproblem besteht darin, daß gerade der strategische Wasserdeal den schon zwischen Palästinensern und Israelis schwer lösbaren Wasserstreit nur auf die Höhe der nächsten, weit größeren Konfliktdimension transportiert. Die Türkei, in deren Bergen das Wasser des Nahen Ostens entspringt, ist nicht bereit, mit den Anrainernationen über eine gerechte Wasserverteilung zu verhandeln und verweigert daher die Unterschrift unter das UN-Abkommen von 1997 zur Nutzung des Wassers in »nicht schiffbaren Flüssen«. Wer über alles Wasser verfügt und durch die Wasserkraftwerke auch über den Strom der Region, bestimmt damit nahezu jeden Entwicklungsfortschritt der regionalen Länder. Seit 1993 die letzte Einheit des Atatürk-Staudammes in Betrieb genommen wurde, leidet Syrien an Ausfällen bei der Stromproduktion und klagen syrische Bauern über landwirtschaftliche Verluste. Katastrophaler noch ist die Wirkung im vor vom Euphrat- und Tigris-Wasser abhängigen Irak, wo inzwischen für eine Gallone Wasser derselbe Preis wie für Benzin zu zahlen ist.
Es wird höchste Zeit, daß sich neben den Vereinten Nationen auch die USA und die EU mit der Aufgabe einer entwicklungspolitisch verantwortlichen Lösung der Wasserfrage beschäftigen. Ohne deren rasche und demokratische Bewältigung ist nicht nur ein Andauern des heißen Konflikts zwischen Palästinensern und Israelis vorprogrammiert. Zudem stünden neue kriegerische Konflikte auf der Tagesordnung. Eine instabile Region aber könnte jeden Friedensplan im Nahen Osten verhindern.
Irak – Eden again
Nach dem ersten Golfkrieg (1991) hetzte Saddam Hussein sein Militär auf die Marsh-Araber, die sich gegen ihn erhoben hatten. Zehntausende flohen, Tausende wurden getötet. Dann ordnete er an, die Heimat dieser Menschen, – Sümpfe und Marschen am Zusammenfluß von Euphrat und Tigris -, systematisch zu zerstören. Die sonst so umweltsensible deutsche Öffentlichkeit ignorierte ein Ökodesaster, das zum Schlimmsten gehört, was dem Planeten im vergangenen Jahrhundert angetan wurde: vergleichbar mit dem Austrocknen des Aralsees. »Es gibt keinen Zweifel«, sagt Klaus Töpfer, Chef des UN-Umweltprogramms (UNEP), »daß das Verschwinden des Mesopotamischen Marschlands eine der größten Umweltkatastrophen darstellt.« Beim 3. Weltwasserforum in Kyoto forderte Töpfer die Vereinten und die Alliierten eindringlich auf, das einzigartige Feuchtgebiet beim Wiederaufbau des Iraks nicht zu vergessen. Bevor Saddam die Marschen zwischen Basra und Amara zu 90% vernichtete, waren sie ein Naturparadies von Weltrang. Im wörtlichen Sinne: hier lag vermutlich der biblische »Garten Eden«, hier entstand die erste zivilgesellschaftliche Soziologie der Menschheit. Hier lebten die Madan (Marsch-Araber) auf ihren schwimmenden Inseln, Nachfolger der Babylonier und Sumerer. Im Report der Menschrechtsorganisation Human Rights Watch wird die schreckliche Brutalität dokumentiert, bei der mit Einsatz von Napalm-Bomben die Menschen vertrieben und viele von ihnen standrechtlich erschossen wurde. Dann wurden die Dämme gesprengt. Wie die UNEP Satellitenbilder belegen, gab es 2001 nur noch etwa 10% dieser ursprünglichen Landschaft, die einst 15000 bis 20000 Quadratkilometer umfaßte. Allein in den vergangenen zwei Jahren gingen weitere 325 Quadratkilometer verloren. Gift wurde als ökoterroristische Maßnahme in die restlichen Wasserreservoire geleitet. Saddams Kalkül: erst verschwindet das Wasser, dann die fruchtbare Erde, danach die Menschen. Von den Überlebenden vegetieren ca. 40000 Menschen in den Flüchtlingslagern im Süd Iran. Bereit zur Rückkehr – wenn das Wasser wieder rückgeleitet wird, wenn Fischfang, die Zucht der Wasserbüffel und der Verkauf von Schilf- und Riedgras wieder möglich ist. Nach der Diktatur ist das in greifbare Nähe gerückt. Drei Wochen nach dem Sturz des Ba’ath Regimes wurden erste Teile der Marschen langsam wieder geflutet. Die »Iraq Foundation«, eine Stiftung von Exil Irakern, hat das Projekt »Eden again« gestartet. In Bahrain steht eine Gruppe von UNEP Experten bereit, um die ökologische Restaurierung zu begleiten. Ramadan Albadran, einer der Experten und früher in den Marschen lebend, formuliert seine Faustregel zur Wiederherstellung einer einzigartigen Weltwasser-Landschaft: »Wir müssen herausfinden, wieviel Wasser man braucht, damit die Menschen zurückkommen können«.
Die Zuflüsse Euphrat und Tigris aus den kurdischen Bergen, die einzigen bedeutenden Wasserspender der Region, gehören zu den am meisten eingedämmten Flüssen der Erde. Allein in den vergangenen 40 Jahren wurden 30 Dämme gebaut. Die Türkei ist dabei, in weiteren Vorhaben von Großstaudämmen, das Wasser für sich zu sichern. Von diesem Wasser hängen die Existenz, Ernährung, Kultur und Entwicklung der ganzen Region ab. Wasser ist damit – neben Öl – zur strategischen Waffe und zum kostbaren Handelsgut geworden. Die neue Staatsverfassung des Irak, die von der Exilopposition erarbeitet worden ist, ist daher auf dem richtigen Weg, wenn sie für einen demokratischen Irak ausdrücklichen einen föderativ geregelten Zugang zur gemeinschaftlichen Nutzung der Ressourcen empfiehlt. Für die Zukunft soll gelten: es gibt kein »arabisches Öl« und »kein kurdisches Wasser« mehr, sondern – im neuen multiethnischen Gebilde – nur noch dessen allgemeine und solidarisch geregelte Nutzung. Vom neuen Irak geht damit beispielhaft ein entscheidender Anstoß für das aus, was auf der jüngsten UN-Weltwasser-Konferenz in Japan zwar erneut beschworen, aber längst nicht beschlossen wurde: die Notwendigkeit einer internationalen Weltwasserkonvention. Die allgemein und verbindlich festlegt, daß Wasser nicht nur ausschließlich im Besitz der Quellenländer ist, sondern auf regulierte Weise Gemeinschaftseigentum aller Anrainergebiete wird. Im Nahen Osten die Türkei, Irak, Syrien und weitere Länder umfassend. Jenem Fluß der Geschichte also wieder folgend, auf dessen Verlauf sich die Verbreitung von Handel, Kultur und Zivilisation stützte, um nun wieder auf diesem klassischen Weg auch größere und existenzfähigere Wirtschafts- und Handelsräume für die Einkehr der Moderne in der Region zu eröffnen. Am Ende womöglich mit dem Ergebnis der Einrichtung eines solidarischen, modernisierten, nämlich demokratischen Föderationsbundes der zukünftigen Vereinigten Staaten des Nahen Ostens.
Hans Branscheidt