Irak

Eine eigene Stimme

21.01.2021   Lesezeit: 3 min

Die neue medico-Partnerorganisation Aman bringt Aktivistinnen zusammen und schafft Raum zur Entwicklung politischer Perspektiven für Frauen im Irak.

Etwas war anders bei den Aufständen, die auf dem Tahrir-Platz in Bagdad Anfang Oktober 2019 ihren Anfang nahmen und sich auf weitere Städte im Süden des Landes übertrugen. Nachdem sich die Proteste anfangs vor allem gegen Korruption, anhaltende Stromausfälle und die hohe (Jugend-) Arbeitslosigkeit richteten, wurde bald darauf nicht weniger als der Sturz des klientelistischen, auf die Konfession ausgerichteten politischen Systems verlangt – gegen die Teilung in Sunniten, Schiiten, Christen, Kurden und Araber. Konfessionsübergreifend schlugen die Nachbar:innen, die Tuk-Tuk Fahrer, Studierende, Schüler:innen ihre Protestzelte auf, besetzen leerstehende Gebäude und bildeten selbstorganisierte Initiativen. Und sie alle ließen sich nicht von einer politischen oder konfessionellen Seite vereinnahmen, wie es beispielsweise bei Protesten 2015 in Basra geschehen ist.

Und noch etwas war in diesem Protestzyklus anders: Ganz selbstverständlich wirkten junge Frauen an den Protesten mit, stellten sich selbstbewusst vor Polizeiketten, schlossen sich den Sanitäter:innen an, die Schwerverletzte versorgten und übernahmen organisatorische Aufgaben. Bilder von jungen Frauen – mit und ohne Kopftuch – verbreiteten sich rasant in den sozialen Netzwerken, erstmals entwickelten die Frauen eine eigene Stimme innerhalb einer irakischen Protestbewegung.

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Die Solidarität unter den Aktivist:innen sei ganz besonders gewesen, so Stimmen von vor Ort. Und eben diese Solidarität ließ sie monatelang durchhalten. Trotz gewalttätiger Angriffe durch Sicherheitskräfte und zahlreiche Milizen, die hunderte Todesopfer forderten, gaben sie den symbolträchtigen Tahrir-Platz im Zentrum von Bagdad nicht auf und hielten an ihren Forderungen fest. Auch trotz Corona-Lockdown blieben die Protestierenden auf dem Platz, bis im Oktober die die Räumung mit Gewalt durchgesetzt und der Protest vorerst beendet wurde. Vorerst, denn das was an Erfahrung, Vernetzung und Debatte entstanden ist, wird weiter geführt. Zum Beispiel von der neuen medico-Partnerorganisation Aman – Organization for Women.

Feminist School – ein feministisches Vernetzungsprojekt

Die Aktivistinnen von Aman engagierten sich bereits seit Jahren in unterschiedlichen Bereichen für die soziale, politische und ökonomische Gleichstellung von Frauen im Irak. Partei- und konfessionsunabhängig fanden sie sich im September 2019 knapp 40 Frauen aus den unterschiedlichen Teilen des Iraks zusammen und gründeten die neue Organisation. Aman bedeutet auf Arabisch so viel wie „Sicherheit“ oder „sicher sein“. Das Wörterbuch spuckt aber auch „Schutz“ und „Frieden“ in der Übersetzung aus. All diese Umschreibungen drücken aus, worum es den Aktivistinnen von Aman geht, für sie ist die wirtschaftliche, soziale und politische Absicherung von Frauen ein entscheidender Schritt zu einer gleichberechtigten und geschlechtergerechten Gesellschaft im Irak.

Mit Unterstützung von medico planen die Aktivistinnen für dieses Jahre eine „Feminist School“ und schaffen damit ein Angebot für Frauen, die sich auf unterschiedliche Weise in den letzten Monaten in die Protestbewegung eingebracht haben. Ziel ist es, die Vernetzung untereinander zu stärken und die Diskussionen der Protestplätze weiterzuführen, denn oft ist es genau das, was nach einer aktiven Protestphase nicht stattfindet – eine kontinuierliche Vernetzung und Weiterführung der Debatte ohne strikte politische Agenda der Initiatorinnen.

Mit der Feminist School gibt es nun das Angebot an die jungen Aktivistinnen, wieder zusammen zu kommen, die gemachten Erfahrungen auszuwerten und eine geteilte Perspektive zu entwickeln. Aufgrund des auch im Irak immer noch sehr aktiven Covid19-Infektionsgeschehens wird die Feminist School zunächst online stattfinden. Die Themen und Formate sind vielfältig. Angeboten wird beispielsweise ein Austausch über die Rolle der Frauen in den Protestbewegungen und ihre Forderungen sowie die Auseinandersetzung mit irakweiten feministischen Kämpfen. Auch soll über die gesellschaftliche Rolle der Frauen im Irak und konkrete Diskriminierungsverhältnisse gesprochen werden. Zentral ist für Aman auchdie internationale Vernetzung mit Feministinnen aus Westasien und Nordafrika, die schon während der Proteste begann, als immer wieder Online-Gespräche mit Frauen aus Sudan oder dem Libanon organisiert wurden. Was am Ende der Vernetzung steht ist offen, darum geht es Aman auch nicht – sollte es der Feminist School gelingen die jungen Frauen wieder zusammenzubringen, ist schon einiges gewonnen.

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