Eine leise Hoffnung auf Demokratie

24.08.2003   Lesezeit: 4 min

Interview mit dem türkischen Politiker und Menschenrechtsaktivisten Akin Birdal

Akin Birdal ist einer der bekanntesten türkischen Menschenrechtsaktivisten. Lange Jahre stand er dem türkischen Menschenrechtsverein (IHD) vor. Zentrales Thema des IHDs und Birdals ist die Verfolgung der Kurden in der Türkei. Birdal hätte für seinen Einsatz fast mit dem Leben bezahlt. 1998 wurde er bei einem Attentat von Rechtsradikalen schwerverletzt, nur ein Jahr später schickte ihn die türkische Justiz trotzdem ins Gefängnis. Begründung: Er propagiere Separatismus, weil er immer wieder die Menschenrechtsverletzungen anprangert. Birdal hat auch nach dem Gefängnis das Demokratie-Projekt nicht aufgegeben. Immer wieder versucht er, türkisch-kurdische Initiativen zu starten, die sich für die Anerkennung der Kurden einsetzen. Denn der Weg zur Demokratie in der Türkei, so Birdals Überzeugung, führt über eine Anerkennung der kurdischen Rechte.

Wir haben uns vor drei Jahren zum letzten Mal gesehen. Seither ist viel geschehen. Die damalige Regierung ist abgewählt , der Irak-Krieg hat stattgefunden. Die Türkei und der Nahen Osten stehen, so scheint es vor einer Neuordnung. Wie blicken Sie auf die vergangenen drei Jahre zurück?

Es gab nach 1999 einen kurdisch-türkischen Zusammenschluss, der sich Initiative für die Demokratie nannte, es waren türkische und kurdische Intellektuelle, die versuchten zusammenarbeiten. Nach neun Monaten ist diese Zusammenarbeit gescheitert. Zu den Parlamentswahlen im November 2002 haben wir einen erneuten Versuch unternommen und den Block für Arbeit, Demokratie und Frieden (DEHAP) gegründet. Zu diesem Zusammenschluss gehörten die prokurdischen Partei HADEP, die Partei der Arbeit und die Sozialistische Demokratie Partei, deren Vorsitzender ich bin. Dieser Parteienzusammenschluss erhielt 6,2 Prozent bei den Wahlen, das entsprich etwa 2 Millionen Stimmen. Allerdings scheiterte dieser Block an der 10 Prozent Hürde.

Nun ist aus dem Block eine Partei geworden und – die Demokratische Volkspartei DEAHP. Sie erfährt eine noch breitere Unterstützung auch von vielen Intellektuellen. Sie sucht unter anderem ein friedliches Ende des türkisch-kurdischen Konfliktes.

Ist die neue türkische Regierung kompromißbereiter gegenüber den Kurden und in Sachen Menschenrechte?

Viele Veränderungen gibt es nur auf dem Papier, weil man unbedingt in der EU aufgenommen werden will. So wurde der berüchtigte Artikel 318 auf Drängen der EU verändert, weil man da schon wegen »Terrorismus« verurteilt werden konnte, wenn man nur das Wort Kurde in den Mund nahm. Nach der Gesetzesnovelle muß es schon einen Gewaltaufruf geben, um verurteil zu werden. Aber offenbar ist der Gewaltbegriff dehnbar. Nach wie vor werden Menschen wegen absurder Vorwürfe zu Haftstrafen verurteilt. Das ist vornehmlich ein Druck auf die Intellektuellen. Sie will man zum Schweigen bringen. Der Journalist und Schriftsteller Fikret Baskaya steht erneut vor Gericht wegen eines vor vielen Jahren veröffentlichen Artikels zum kurdischen Thema. Er wurde dafür verurteilt und eingesperrt. Nun soll der Prozess noch einmal aufgerollt werden. Die HADEP ist verboten worden. Zwei Frauen wurden zu Haftstrafen verurteilt, weil sie von Abdullah Öcalan als »Herrn« titulierten und ihn Vorsitzenden der Kadek (Nachfolgeorganisation der PKK) bezeichneten. Die Liste staatlicher Repressalien läßt sich fortsetzen.

Ein besonders schlagendes Beispiel für die widersprüchliche Situation in der Türkei ereignete sich im Mai diesen Jahres. Am selben Tag, als Außenminister Abdullah Gül die Organisationen der türkischen Zivilgesellschaft zu einem Treffen einlud, um über die Annäherung an die EU zu sprechen, wurden die Büros des IHD polizeilich untersucht. Der IHD war zu dem hochrangigen Treffen auch eingeladen. Ich glaube, daß der Zusammenfall beider Ereignisse kein Zufall war. Die Aktion gegen die IHD-Büros richtete sich gegen die Zivilgesellschaft aber auch gegen die Kräfte in der Regierung, die mit einer Demokratisierung der Türkei eine Annäherung an die EU vollziehen wollen. Die autoritäre-repressive Herrschaft in der Türkei hat bisher noch jede Gelegenheiten außer Acht gelassen, die eine Möglichkeit zur friedlichen Lösung geboten hätte.

Die Türkei erscheint als Verliererin des Irak-Krieges. Wie erklären sie sich die Politik der Regierung?

Es gab bisher keine echte türkische Außenpolitik. Man hielt sich in außenpolitischen Fragen streng an die USA. Dass man die Überflugsrechte verweigerte, lag nicht an der Antikriegshaltung, sondern daran, daß ein islamisches Land über die Türkei angegriffen werden sollte. Gleichzeitig hoffte man, den Preis hochzutreiben, um ein paar Milliarden mehr zu bekommen. Da hat man sich verkalkuliert.

Wie sehen Sie die europäische Politik gegenüber der Türkei?

In den europäischen Staaten gibt es kein Interesse an dem kurdischen Problem. Seit vier Jahren hält man sich mit Kritik an der Türkei zurück. Solange der Kurdenkonflikt bewaffnet ausgetragen wurde, hatte man notgedrungen Interesse an dem Problem der Unterdrückung der Kurden. Aber jetzt interessiert sich in Europa niemand mehr dafür. Und gerade jetzt gebe es Chance hier wirklich etwas zu bewegen. Die linken Parteien in Deutschland, auch die Grüne haben in den vier Jahren neue Partner gefunden. Vorher arbeitete man mit der Zivilgesellschaft zusammen, auch mit den zivilen kurdischen Organisationen und jetzt mit den Unternehmerverbänden.

Mit Akin Birdal sprachen Martin Glasenapp und Katja Maurer

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