Einen Termin am Tag

Ein Gespräch mit dem medico-Büroleiter Hugues Monice in Haiti

05.10.2010   Lesezeit: 5 min

Die Telefonverbindung nach Haiti funktioniert. Das zumindest ist schon mal eine gute Nachricht. Die drahtlosen Handynetze werden durch ein Erdbeben nicht beschädigt, die hässlichen Mobiltürmchen sind schnell wieder aufgestellt. Und so gelingt auch die drahtlose Kommunikation mit dem medico-Büroleiter in Haiti, Hugues Monice, erstaunlich einfach. Hugues befindet sich seit Mai in Haiti und koordiniert für medico die Förderung und Begleitung der lokalen Partner.

Ich spreche mit Hugues – im medico-Büro auch gern Hugo genannt – über seine ersten Erfahrungen: „Der Anfang war verständlicherweise sehr chaotisch. In Port-au-Prince ist jedes dritte Haus zerstört. Die Menschen räumen den Schutt auf die Straße, um auf ihren Grundstücken zu leben, deshalb haben wir überall Staus. Mehr als einen Auswärts-Termin am Tag kann ich schon wegen der Staus nicht bewältigen.“ Trotzdem ist er zufrieden. Denn neben der Kontaktierung von Projektpartnern ist es ihm gelungen ein Büro zu finden, ein Auto anzumelden, eine Arbeitsgenehmigung für medico zu erwirken. Das klingt lapidar, aber ohne diese Infrastruktur wäre die komplexe Arbeit in Haiti nicht zu bewältigen.

Hugues Monice ist von Haus aus Jurist und kam vor 19 Jahren nach Deutschland, zum Studieren. Er ist in Deutschland, wie es so schön heißt, „hängen geblieben“. Und auch seine Geschwister haben mit der Zeit die Heimat Haiti verlassen. Nicht immer freiwillig – politische oder ökonomische Zwänge sind meist der Grund. Das ist das Schicksal der haitianischen Diaspora. Hugues gehörte als junger Mann zu den Menschen, die in Petit Goave den Widerstand gegen den Duvalier-Clan organisierten. Dass Haiti immer wieder ein gefährliches politisches Pflaster sein kann, weiß Hugues aus eigenem Erleben.

Heimkehr nach Haiti

Nun also zurück in Haiti, was bedeutet das für ihn? „Ich habe mir das reiflich überlegt. Ich bin auch in der Vergangenheit immer wieder nach Haiti gefahren und habe mit meinen Brüdern kleinere Projekte unterstützt, um meiner Heimat etwas zurückzugeben. Das Erdbeben und seine Folgen waren nun für mich der Anlass, meine Erfahrungen insbesondere im Aufbau von Gemeindeentwicklungsprogrammen in Haiti einzubringen.“ Hugues Monice hat für den Deutschen Entwicklungsdienst in Benin bereits erfolgreich ein Programm zur Erstellung eines kommunalen Entwicklungsplanes umgesetzt, bei dem es insbesondere darum ging die Bewohnerinnen und Bewohner bereits in die Erstellung des Planes systematisch einzubeziehen. Eine Gewähr dafür, dass bei der Realisierung des Planes die Bevölkerung auch in der Lage ist die Umsetzung zu kontrollieren.

Diese urdemokratischen Ideen, den (Wieder-)Aufbau von Regierungs- und Verwaltungsstrukturen in einer Gesellschaft von unten neu zu beginnen, deren Staatlichkeit durch ökonomische Ausblutung und ein schwieriges historisch-politisches Erbe extrem beschädigt ist, stößt in Haiti mit seinen basisdemokratischen Traditionen auf große Gegenliebe. So berichtet Hugues Monice, dass er gerade mit der Sozialwissenschaftlerin Suzy Castor vom wissenschaftlichen Institut „CRESFED“ gesprochen habe, mit denen ein solches Projekt zur Erstellung eines kommunalen Entwicklungsplanes in der Gemeinde Aquin erarbeitet wird. „Es ist so viel von Koordination die Rede, aber wenn ich zu allen Koordinierungssitzungen gehen würde, dann wäre ich den ganzen Tag nur damit beschäftigt“, so Hugues. Wenn die Kommunen und die lokale Bevölkerung dagegen, wie in Aquin angedacht, selbst planen würden, ihre Prioritäten und Interessen definieren und artikulieren würden, dann könnten nationale und internationale Akteure auch besser koordiniert und eingebunden werden.

Der Wiederaufbau in Haiti käme einer Herausforderung gleich, so eine Sprecherin der Weltbank, wie sie Länder nach einem Krieg wie dem 2. Weltkrieg zu bewältigen hatten. Alle Aktivitäten, die über eine Notversorgung hinausgehen, brauchen Zeit. So berichtet auch Hugues, dass die lokalen Partner erst einmal damit beschäftigt sind, Überlebenshilfen zu leisten: eine Brücke wieder zu errichten in einem Stadtteil von Port-au-Prince, damit überhaupt wieder Bewegung möglich ist; der Bau von Latrinen in einer Region mit vielen Flüchtlingen; die Ausweitung der Hühnerzucht zur Absicherung der Ernährung von Flüchtlingen in Leogane; in derselben Stadt der Wiederaufbau eines Büros für eine haitianische Umweltorganisation, die sich mit Wiederaufforstungsprogrammen beschäftigt.

Hugues berichtet, dass er sich derzeit mit über 10 Projekten beschäftigt, die sich in unterschiedlichen Planungsphasen befinden. Auf Dauer zeichnen sich folgende Schwerpunkte der medico- Projektunterstützung ab: die Förderung des Süd-Süd-Austausches, wie wir sie bereits mit den guatemaltekischen Dentalpromotoren begonnen haben (siehe dazu rundschreiben 2/09); weitere Aktivitäten sind geplant mit Kolleginnen und Kollegen aus Guatemala, der Dominikanischen Republik und Brasilien; die Stärkung und Entwicklung von Basisgesundheitsfürsorge, wie wir sie bereits in Artibonite mit der Gesundheitsorganisation SOE fördern; die Erstellung eines Kommunalentwicklungsplans als Pilotprojekt für Regierungsfähigkeit und Selbstermächtigung an der Basis.

Wir brauchen Zeit

„Was wir in Haiti brauchen ist Zeit“, erläutert Hugues am Telefon. „Noch geht es hier ums Überleben. Wenn aber die Rekonstruktion von Haiti so gelingen soll, dass die Menschen hier menschenwürdig leben und ihr eigenes Schicksal genauso bestimmen können wie das des Landes, dann müssen die Mittel in einem zutiefst demokratischen Prozess entsprechend der Nöte und Bedürfnisse der Menschen eingesetzt werden.“ Er könne nicht mit einem fertigen Plan kommen, sondern müsse mit den Menschen und Organisationen sprechen und Ideen und Projekte gemeinsam entwickeln. Das sei schwer, wenn man ums tagtägliche Überleben kämpfen muss. Es braucht nicht nur Zeit, sondern auch Menschen, die zuhören, verstehen und lernen. Mit Hugues Monice haben wir einen Kollegen vor Ort, der genau das tut.

Projektstichwort:

Für die Wiederaufbauarbeit in Haiti werden noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte der Unterstützung nötig sein. Das Spendenstichwort dafür lautet: Haiti.


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