Falsche Wahlen

Thomas Gebauer aus Haiti zu den Wahlen und ihren dramatischen politischen Folgen

09.12.2010   Lesezeit: 4 min

Vor zwei Tagen wurden die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Haiti verkündet und seither kommt das Land nicht zur Ruhe. Zu offensichtlich wurden die Ergebnisse zugunsten des Regierungskandidaten gefälscht. Gerade in Haiti befindet sich der medico-Geschäftsführer, Thomas Gebauer, den wir zu seinen aktuellen Eindrücken bezüglich der Wahlen befragten.

Wie ist die aktuelle Situation vor Ort?

Sehr gespannt und unklar. Es ist vollkommen unsicher, wie sich die Situation weiter entwickelt. Manche sagen, es könnte sich wieder beruhigen. Genauso gut kann die Situation auch wieder eskalieren. Die Wahlkommission erklärt nun, dass sie doch noch mal die Ergebnisse überprüfen will, nachdem sie zuerst die Wahlen für rechtmäßig erklärt hat. Das ist alles höchst dubios. Die Gewinnerin der ersten Runde Mirlande Manigat forderte erst die Annullierung der Wahlen. Dann erfuhr sie, dass sie sich auf einem Spitzenplatz befindet und behauptete daraufhin, dass sie das nie gesagt habe. Der jetzige Präsident Preval will offenkundig seinen Schwiegersohn Celestin durchsetzen.

Wie erheblich waren die Wahlfälschungen?

Viele sagen, dass die Wahlen noch schlechter gelaufen sind, als ohnehin zu befürchten war. Es gab jede Menge Unregelmäßigkeiten, die landesweit von Journalisten über die Radiostationen berichtet wurden. Die Menschen kamen nicht zu den Wahllokalen. Manche Wahlurnen waren schon mit Wahlzetteln für den vom jetzigen Präsidenten favorisierten Kandidaten Jude Celestin gefüllt, bevor überhaupt die Wahllokale geöffnet wurden. Sicher ist, dass die Wahlfälschungen dazu geführt haben, dass Celestin in die zweite Runde kommt. Denn er hat nur 7000 Stimmen Vorsprung vor dem Drittplatzierten.

Ist in einer solchen Situation die Durchführung von Wahlen überhaupt sinnvoll?

Das wird hier natürlich intensiv diskutiert. Eine solche Wahl durchzuführen, ist auf keinen Fall sinnvoll. Natürlich braucht man eine stabile Regierung, um den Wiederaufbau des Landes zu organisieren. Aber hier wurde die wichtigste politische Bewegung, die Lavalas – Bewegung des gestürzten Präsidenten Aristide gar nicht zu den Wahlen zugelassen. Das hat den Urnengang von vorneherein delegitimiert.

Gab es einen deutlichen Druck von außen die Wahlen jetzt durchzuführen?

Natürlich ist der Druck von außen gekommen. Das ist nicht nur in Haiti das Problem, dass Mächte, die von außen wegen eigener Interessen in Länder intervenieren, dann Wahlen durchführen wollen, um dem Ganzen ein demokratisches Mäntelchen umzuhängen. Das kennen wir auch aus Afghanistan. Solche Wahlen treffen auf ein demokratisches Bedürfnis der Menschen, sind aber leider so angelegt, dass keine demokratisch legitimierte Regierung dabei heraus kommt. Das ist auch hier der Fall. Wenn man die Aristide-Bewegung ausschließt, dann hat man eben das Problem, dass immer gesagt werden kann, dass die Wahlen anders ausgegangen wären.

Die UN wollte deshalb auch die Lavalas-Bewegung zulassen. Die UN hat sich, wie man sieht, nicht durchsetzen können.

Sind die Vereinten Nationen unter diesen Bedingungen überhaupt noch in der Lage glaubhaft zu agieren? Denn jetzt kommt noch hinzu, dass es wohl ziemlich überzeugende Beweise dafür gibt, dass die Cholera aufgrund unsachgemäßer Entsorgung ihren Ausgangspunkt bei der UN hatte.

Man muss genau hinschauen, wer die Vereinten Nationen sind. Es gibt eine massive Dominanz durch die USA und Kanada. Aber es gibt auch lateinamerikanische Versuche Einfluss zu nehmen über die Repräsentanz in der UN-Truppe, aber auch über andere diplomatische Kanäle. Sie gehen sehr stark von Brasilien aus. Sie betonen dabei immer die Souveränität des haitianischen Staates. Mir scheint, dass ihre politischen Initiativen viel stärker an den Interessen und Bedürfnissen der haitianischen Bevölkerung ausgerichtet sind als die der Nordamerikaner.

Was bedeutet diese dramatische politische Entwicklung für die Arbeit der NGOs, für die Arbeit von medico und seinen Partnern?

Die Arbeit setzt sich fort wie all die Jahre zuvor. Es gibt viele Initiative vor Ort, die gute und wichtige Tätigkeiten verrichten, um den Menschen in dieser verheerenden Lage beizustehen. Sobald die größten Unruhen vorbei sind, werden diese Arbeiten wieder aufgenommen. Aber die Arbeit der NGOs ist auf eine merkwürdige Weise seit vielen Jahren abgekoppelt von dem politischen System. Das, was hier als Regierung funktioniert, war in den ganzen letzten Jahren schon nicht in der Lage einen Rahmen für die Tätigkeiten der NGOs zu schaffen. Die Arbeit der NGOs, die Selbstversorgung der Menschen und das Regierungs-Geschehen sind zwei von einander getrennte Welten.

Unter solchen Bedingungen kann die NGO-Arbeit zwar im karitativen und kurativen Bereich etwas machen, kann sie Selbstorganisation fördern. Aber gerade im Bereich von Gesundheit oder Bildung braucht es sinnvolle und gute politische Rahmenbedingungen – das sind klare öffentliche Aufgaben, die nicht durch NGOs ersetzt werden können. Auf Dauer kann die Cholera nur durch eine landesweite Präventionspolitik und den Bau sanitäre Anlagen bekämpft werden, das ist Gesundheitspolitik. Dafür braucht es eine legitime, von der Bevölkerung anerkannte Regierung, die sich ernsthaft bemüht diese Politik zu beginnen. Diese Wahlen haben das Gegenteil erreicht. Die Regierung, die jetzt höchstwahrscheinlich zustande kommt, wird von der Bevölkerung noch weniger anerkannt sein als die letzte. Das wäre dann eine politische Katastrophe.

Das Interview führte Katja Maurer


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