Migration

Grenzen der Aufklärung

Warum verlassen zehntausende Minderjährige aus Zentralamerika ihre Heimat Richtung USA?

18.07.2014   Lesezeit: 3 min

Die Aufklärung über Gefahren der Migration ist wichtig. Doch wird sie wenig bewirken, solange Kinder und Jugendlich in ihren Heimatländern größerer Gefahr und Perspektivlosigkeit ausgesetzt sind.

Jeden Tag versuchen Hunderte Kinder und Jugendliche, über die mexikanische Grenze in die USA zu kommen. Wenn sie dort aufgegriffen werden, hält der amerikanische Grenzschutz sie in zum Teil völlig überfüllten Noteinrichtungen fest, bis entschieden wird, ob sie bleiben können oder wieder abgeschoben werden. Das Weiße Haus spricht inzwischen von einer humanitären Krise und die Medien berichten fast täglich von neuen dramatischen Einzelschicksalen. Schätzungen gehen von über 60.000 minderjährigen MigrantInnen aus Zentralamerika aus, mit denen die USA 2014 rechnen müssen. Als Reaktion auf die Schreckensmeldungen haben die Regierungen der Herkunftsländer Guatemala, Honduras und El Salvador hastig Aktionsprogramme lanciert. Die Regierung El Salvadors kündigte eine Aufklärungskampagne an, um vor allem Minderjährige und ihre Eltern auf die Risiken der Migration hinzuweisen.

Ein Brief aus dem Norden

medico unterstützt in El Salvador bereits seit einigen Jahren das Museo de la Palabra y la Imagen, das unter anderem mit einer Wanderausstellung über Gefahren und Potenziale der Migration aufklärt. Im Begleitheft „Ein Brief aus dem Norden“ erklärt eine Mutter ihrem daheim gelassen Sohn, wie ihr Weg in den Norden und ihr Leben als Illegale in den USA wirklich aussieht. Fast 10.000 Jugendliche aus 80 Schulen in allen Landesteilen haben seit 2011 an Workshops mit dem Museo de la Palabra y la Imagen teilgenommen. Den Lehrkräften wurden Materialien übergeben, um die Thematik auch im normalen Schulunterricht bearbeiten zu können. Diese Arbeit hilft den Jugendlichen, die lebensgefährlichen Risiken auf dem Weg nach Norden besser einzuschätzen. Dennoch wissen wir von Jugendlichen aus El Salvador und von jenen, die wir in den Migrantenherbergen in Mexiko treffen, dass die wirtschaftliche und soziale Misere in der Heimat am Ende schwerer wiegt und sie sich auch dort ihres Lebens nicht sicher sein können.

Strukturelle Gründe der Migration

Was wirklich von den zentralamerikanischen Regierungen gefordert ist, sind tiefgreifende Veränderung der sozio-ökonomischen Bedingungen und ein Ende der Gewalt. Die neu vorgestellten Kampagnen klingen dagegen nach hilflosem Aktivismus. Auch der linken FMLN-Regierung in El Salvador fällt es extrem schwer, diese strukturellen Fragen anzugehen. Die eigentlichen Machtverhältnisse haben sich auch in den fünf Jahren unter der ehemaligen Befreiungsbewegung El Salvadors nicht wirklich verändert. Die wenigen Familien der Oligarchie haben weiter das Sagen, während die organisierte Kriminalität sich längst als zentraler Akteur im Machtgefüge des Landes etabliert hat. Das betrifft nicht nur die Maras, die Jugendgangs, die die Armenviertel beherrschen. Drogenbosse und ihre Handlanger sitzen auch in Chefetagen der Wirtschaft und an politischen Schaltstellen.

Ob jung oder alt - eine Aufklärungskampagne über Risiken und Gefahren der Migration kann kein Gehör finden bei Menschen, die unmittelbar ihres Lebens bedroht sind und die genau wissen, dass Staat und Sicherheitskräfte ihres Landes ihnen davor keinen Schutz gewähren. Die eigentliche humanitäre Katastrophe ist nicht in den Sammellagern im US-amerikanischen Südwesten zu verorten, sondern in den zentralamerikanischen Ländern und auch im Transit durch Mexiko. Diese zu überwinden, wird kaum möglich sein, ohne die Strukturen anzugehen, die in den USA, Mexiko und den zentralamerikanischen Ländern von Drogenhandel, gnadenloser Ausbeutung der Rohstoffe, Landnahmen und einem Heer an billigster Arbeitskraft profitieren.

Dieter Müller


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