Ausstellung

Nach Norden

Ausstellung über die Gefahren und Potenziale der Migration in die USA

29.10.2011   Lesezeit: 4 min

Ein Junge sitzt auf einem Stein am Fluss. In der Hand hält er einen Brief seiner Mutter: „Mein lieber Sohn, ich schreibe Dir aus San Francisco, um Dir zu sagen, dass ich Dich sehr lieb habe. Zu Deinem achten Geburtstag möchte ich Dir erklären, warum ich weggehen und Dich mit Deiner Oma und Deinen Geschwistern zurücklassen musste.“

Mit diesem Bild und diesen Worten beginnt die Wanderausstellung „Brief aus dem Norden: Eine Migrationsgeschichte“, die vom Museo de la Palabra y la Imagen, dem Bürgerkriegsmuseum in San Salvador, entwickelt wurde und in allen 14 Provinzen El Salvadors in Schulen und außerschulischen Kinder- und Jugendeinrichtungen gezeigt wird. Am Beispiel der Geschichte einer jungen Frau, die in die USA aufgebrochen ist, um mit dem Geld, das sie dort verdient, ihren Kindern und ihrer Mutter zu Hause ein besseres Leben zu ermöglichen, erzählt die Ausstellung zugleich allgemein die Geschichte der Migration in El Salvador.

In den 1980er Jahren war es der Bürgerkrieg, der die Menschen in El Salvador zur Migration veranlasste. Nach dem Friedenabkommen von 1992 gingen die Auswanderungszahlen kurzfristig zurück. Doch schon bald verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation des Landes wieder so sehr, dass die Auswanderung ab Mitte der 1990er Jahre erneut stark zunahm. Die meisten versuchen, in die Vereinigten Staaten von Amerika zu gelangen. Die Zahl der SalvadorianerInnen in den USA stieg von 6.000 in 1960 über 100.000 in 1980 auf mehr als 1,1 Million in 2009. Und das bei nicht mehr als 7,3 Millionen EinwohnerInnen in El Salvador. Doch nicht nur im Verhältnis zur EinwohnerInnenzahl El Salvadors stellen die salvadorianischen MigrantInnen in den USA eine außergewöhnlich große Gruppe dar. Auch verglichen mit den anderen wichtigen zentralamerikanischen Herkunftsländern von MigrantInnen wie Guatemala und Honduras brechen aus El Salvador die mit Abstand meisten MigrantInnen in Richtung Norden auf.

Die Ausstellung zeichnet entlang der Stationen „Über den Fluss“, „Auf dem Weg“, „Mit dem Zug“, „Durch die Wüste“ und „An der Grenze“ den mühsamen und gefährlichen Weg der zentralamerikanischen MigrantInnen durch Mexiko nach. Als „Illegale“ sind sie auf SchlepperInnen angewiesen und müssen sich durch unwegsames Gelände schlagen. Um schneller voranzukommen, springen sie auf die Güterzüge auf, die Mexiko auf zwei Hauptlinien vom Süden in den Norden durchqueren. „Bestien“ nennen sie diese Züge auch, denn sie können die MigrantInnen nicht nur ihrem Ziel näherbringen, sie können sie auch verschlingen. Viele erkranken und verunglücken unterwegs. Schwere Sonnenbrände, wunde Füße und Gesichtsverletzungen durch vorbeiziehende Äste sind noch harmlos. Diejenigen, die vom Zug fallen oder runtergestoßen werden und überleben, verlieren nicht selten Gliedmaßen.

Hinzu kommt, dass ungefähr seit 2005 Entführungen, Folter und Vergewaltigungen von MigrantInnen durch Mitglieder der mexikanischen Drogenbanden zunehmen. Es wird geschätzt, dass jährlich rund 20.000 MigrantInnen auf dem Weg in die USA in Mexiko entführt werden. Durch die Erpressung der Familien in den Herkunftsländern oder in den USA nehmen die Drogenkartelle geschätzte 50 Millionen US-Dollar im Jahr ein. Können die Familien nicht zahlen, werden die MigrantInnen gequält und ermordet oder in den Dienst der Kartelle gezwungen.

Carlos Henríquez Consalvi, der Gründer und Leiter des Museums, erzählt, dass viele Jugendliche nach Besichtigung der Ausstellung anders über Migration denken als vorher: „Nachdem sie gesehen haben, welche Gefahren sie unterwegs erwarten, nehmen einige von der Überlegung Abstand, sich selbst auf den Weg in den Norden zu machen.“

Die Ausstellung zeigt jedoch nicht nur die Gefahren der Migration. Unter dem Stichwort „Solidarität“ verweist sie auch auf die kirchlichen und nicht-kirchlichen AktivistInnen in Mexiko, die den MigrantInnen auf dem Weg in die USA helfen. In 54 über das ganze Land verteilten „casas del migrante“ finden die MigrantInnen vorübergehend Zuflucht. Mexikanische AktivistInnen versorgen sie mit Essen und Kleidung, kümmern sich um medizinische Behandlung und setzen sich für die Rechte der MigrantInnen ein. Die abgebildete Karte, die die Route der MigrantInnen nachzeichnet, hebt dementsprechend nicht nur solche Orte hervor, an denen Übergriffe auf MigrantInnen stattgefunden haben, sondern auch solche, wo MigrantInnen Hilfe und Unterstützung bekommen können.

In El Salvador gibt es wenige verlässliche Informationen zum Thema, weder zu den Gefahren noch zu den vorhandenen Unterstützungsstrukturen in der Migration. Die Ausstellung und die dazu geplante Publikation sollen dem entgegenwirken. Zugleich klären sie darüber auf, wie die Rückzahlungen aus der Diaspora zu einer Verbesserung der Lebensumstände in El Salvador beitragen. Die MigrantInnen mit ihrem Mut und ihrer Kreativität werden als ImpulsgeberInnen für positive Entwicklungen in El Salvador gewürdigt und ihr Einsatz als historische Chance für das Land.

„Mit dem Geld, das ich Dir schicke, sollst Du Schulsachen kaufen und eine schöne Farbe aussuchen, damit Ihr das Haus neu streichen könnt“, schreibt die Mutter in der Ausstellung an ihren achtjährigen Sohn, der es einmal besser haben soll als sie.

Projektstichwort

medico international unterstützte die Publikation zur Ausstellung, die als Heft Nr. 7 der Revista Trasmallo erschienen ist und in Schulen und bei außerschulischen Workshops mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt wird, mit 5.576,- Euro.

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