Hilfsorganisation fordert neue Afghanistan-Politik

Militärische Option gescheitert

07.10.2008  

Anlässlich der Bundestagsdebatte über die erneute Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan fordert medico international einen politischen Neuanfang. „Mit militärischen Mitteln sind in Afghanistan Frieden und Demokratie nicht zu schaffen. Notwendig ist ein Prozess des militärischen Disengagement, das den Weg frei macht für eine politische Lösung, die von der afghanischen Bevölkerung weitgehend selbst bestimmt wird“, sagt Thomas Gebauer, Geschäftsführer der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation.

Die zentralen Elemente einer solchen neuen Afghanistan-Politik sieht Gebauer in direkten Verhandlungen zwischen allen Konfliktparteien unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure, der Entwaffnung der Milizen und Privatarmeen, dem Aufbau lokaler Verwaltungsstrukturen und der Ankurbelung der Wirtschaft.

„Statt Truppenaufstockung ist zivile Konfliktlösung und eine entwicklungspolitische Offensive gefragt“, so Gebauer, denn: „Mit der Verelendung des Landes und dem Scheitern des Staatsaufbaus gehen die zentralen Voraussetzungen für den Erfolg der internationalen Engagements verloren.“ Der Wiederaufbau komme jedoch nur schleppend voran. 4,5 Mio. Afghanen seien von Engpässen in der Nahrungsmittel- und Trinkwasserversorgung bedroht. Einer Million Kindern mangele es an ausreichender Ernährung.

Die Sicherheitslage verschlechtert sich nach Beobachtungen der Frankfurter Organisation, die umfangreiche Minenräumprogramme in Afghanistan durchführt, stetig. 2.200 bewaffnete Gruppen operieren heute auf afghanischem Boden. Über 1400 Zivilisten sind in den Kampfhandlungen seit Beginn dieses Jahres zu Tode gekommen.

Auch der afghanische medico-Projektpartner "Mine Detention and Dog Center" (MDC) zieht eine erschreckende Bilanz der letzten 16 Monate: 8 Tote, 2 Verletzte und ein Verlust an Gerät im Wert von über einer halben Million Euro.

An eine Verbesserung der Sicherheitslage durch die Ausweitung des militärischen Engagements glaubt medico-Geschäftsführer Thomas Gebauer nicht. Die Erfahrung habe gezeigt, dass jede militärische Eskalation die Sicherheitslage weiter verschlechtert.

Insbesondere die institutionalisierte zivil-militärische Zusammenarbeit in Form der „Provincial Reconstruction Teams“ (PRTs) gefährde die Arbeit, da „Helfer und ausländische Soldaten in der Wahrnehmung der Bevölkerung verschmelzen. Die Folge sind tödliche Angriffe mit Opfern vor allem unter den lokalen Mitarbeitern der Hilfsorganisationen.“

Die Beharrlichkeit, mit der sich die Berliner Politik einem Strategiewechsel verschließe, lässt Gebauer vermuten, dass es in Afghanistan gar nicht um die Schaffung von Frieden und Demokratie gehe: „Nicht Wiederaufbau steht auf der Agenda, sondern der Kampf um die Vormacht in Zentralasien. Nicht Frieden ist das Ziel, sondern die Sicherung eines von Russland unabhängigen Zugriffs auf Öl- und Gastransporte, die Einkreisung des Iran und der Aufbau regionaler Militärbasen. Es geht um die Fortsetzung jenes „Great Game“, in dem sich bereits Mitte des 19. Jahrhunderts das British Empire mit dem zaristischen Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien stritt. Den Part der Briten haben inzwischen die USA übernommen und mit China und Indien sind neue „Player“ aufgetaucht, eines aber blieb konstant: Auch heute hat die afghanische Bevölkerung nur die Rolle eines Statisten.“

Kontakt

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- Bernd Eichner, medico international: Tel: 069/94438-45 oder eichner@medico.de


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