Mittelamerika

Hoffnung auf Wandel

23.01.2021   Lesezeit: 5 min

Die erste Migrationskarawane des Jahres wurde in Guatemala brutal gestoppt. Verbessern sich die Chancen von Menschen auf der Flucht unter der neuen US-Regierung?

Von Knut Henkel

El Florido heißt der Grenzübergang von Honduras nach Guatemala. Zwei Schranken, eine Zollstation und die beiden Grenzposten, wo die Ausweise überprüft werden. Viel mehr hat der Grenzübergang nicht zu bieten, den der guatemaltekische Ombudsmann für Menschenrechte, Augusto Jordán Rodas am letzten Dienstag besuchte. „Ich wollte mir nach den schockierenden Bildern vom 17. und 18. Januar selbst ein Bild machen“, so der 52-jährige Anwalt. Brutal waren Sondereinsatzkommandos der Polizei, unterstützt von Militärs gegen eine Karawane von mindestens 6000 Menschen aus Honduras vorgegangen, die den Grenzübergang nach Guatemala passieren wollte. Mit Schlagstöcken und Tränengas waren die Migrant*innen, darunter viele Frauen und Kinder, auseinandergetrieben worden. Jordán Rodas ist empört von dem Vorgehen der Sicherheitsorgane: „Hier wurden Grundrechte unserer Schwestern und Brüder aus Honduras massiv verletzt. Die Menschen haben das Recht auszuwandern. Das wurde ihnen mit Gewalt verwehrt“. Zudem sei auf beiden Seiten der Grenze weder für eine sanitäre Mindestversorgung noch für die Nahrungsmittelversorgung der ersten Karawane im Jahr 2021 gesorgt worden.

Deren Teilnehmer*innen hatten sich wenige Tage zuvor im honduranischen San Pedro Sula gesammelt, um gemeinsam über Guatemala und Mexiko an die US-Grenze zu marschieren. Warum? Weil sie die Hoffnung haben, dass sich mit der Amtseinführung Joe Bidens die US-Migrationspolitik ändern werde, so erklärten sie gegenüber lokalen Medien. Dem Hunger, der Perspektivlosigkeit und der Gewalt in Honduras wollten sie entkommen und den Neuanfang in den USA wagen.

Trügerische Hoffnung USA

Eine verzweifelte Hoffnung, die sich trotz des sich abzeichnenden Politikwechsels im Weißen Haus kaum bewahrheiten wird, so Danilo Rivera. Der guatemaltekische Migrationsexperte geht zwar davon aus, dass der neue Präsident im Weißen Haus etliche der von Donald Trump getroffenen Entscheidungen revidieren, aber nicht die Südgrenze der USA öffnen werde. „Ich denke, dass Biden die Uhr auf die Regierungsperiode von Barack Obama zurückdrehen wird. Ich hoffe, dass Minderjährige Migrant*innen alsbald wieder besser geschützt sein werden und dass Menschen, die in den USA aufgewachsen sind, bei Ordnungswidrigkeiten nicht direkt von Abschiebung bedroht werden“, so Rivera. Er bleibt aber skeptisch, denn in der Ära Obama hatten die Abschiebungen aus den USA ein bis dahin nie gekanntes Niveau erreicht. „Warum sollte sich das unter Joe Biden ändern“?, fragt der Sozialwissenschaftler aus Guatemala Stadt.

Für ihn hat sich die Südgrenze der USA nicht erst seit dem Migrationsabkommen vom Juli 2019 zur Südgrenze Guatemalas verschoben – mit Grenzposten wie El Florido. Wie ein dienstbarer Grenzpolizist verhalte sich die guatemaltekische Regierung von Präsident Alejandro Giammattei. Die hatte Befehl gegeben, nur Menschen mit einem negativen Covid-19Test und vollständigen Papieren passieren zu lassen. Für Jordán Rodas nachvollziehbar, aber „realitätsfern“ angesichts der Herkunft der Auswanderungswilligen. „Diese Menschen gehören zu den Ärmsten der Armen, können sich einen Covid-19-Test nicht leisten. Das wissen beide Regierungen – sie sollten sich koordinieren, Teststationen einrichten“, mahnt der Menschenrechtsexperte. Aus gutem Grund, denn der ersten Karawane des Jahres 2021 werden weitere folgen. Rodas hält eine humanitäre Katastrophe wie 2018/19 als Zigtausende an der Grenze Mexikos zu den USA strandeten für wahrscheinlich.

Eine Einschätzung, die viele Expert*innen teilen, denn die Corona-Pandemie hat die Wirtschaften Mittelamerikas massiv getroffen. Um durchschnittlich 6,5 Prozent ist das Bruttosozialprodukt in der Region laut den vorläufigen Zahlen der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) eingebrochen. Besonders negativ betroffen sind arbeitsintensive Sektoren wie der Kaffeeanbau, wo die Weltmarktpreise von derzeit 1,24 US-Dollar pro amerikanisches Pfund Kaffee unter den Produktionskosten von etwa 1,30 US-Dollar liegen. Das könnte die Auswanderung in Honduras genauso schüren wie die autoritäre Politik des Präsidenten Juan Orlando Hernández, der den Drogen-Kartellen nahesteht. Sein Bruder sitzt wegen Drogenschmuggels in den USA in Haft. In Honduras sorgen Straflosigkeit, Bandenkriminalität sowie acht Familien, die das Land de facto regieren, dafür, dass Auswanderung für viele Menschen die einzige Option ist. Für Jordán Rodas hat das Land längst einen „narco-autoritären Sonderweg“ beschritten.

„Doch die gesamte Region ist von Korruption, Straflosigkeit, gesellschaftlicher Ungleichheit und Gewalt geprägt. Wir brauchen eine neue Vision für unsere gemeinsame Zukunft“, so Rodas. Die soll zwar von innen kommen, aber die USA können viel dazu beizutragen. Strikte Korruptionsbekämpfung und die Förderung der Unabhängigkeit der Justiz wären zwei Punkte. Das würde auch die Regierung in Guatemala massiv unter Druck setzen, die sich immer autoritärer gebärdet. Kein Zufall sei es gewesen, so eine Erklärung mehrerer Menschenrechtsorganisationen, zu der auch die von medico unterstützte Migrant*innenherberge La 72 im Süden Mexikos gehört, , dass die Sicherheitskräfte derart brutal vorgegangen seien. Vorab sei von der guatemaltekischen Regierung ein „Präventionsstatus“ verfügt worden, um angesichts der Pandemie „die Sicherheit der Bürger und den sozialen Frieden“ aufrechtzuerhalten. Polizisten und Armee seien angehalten worden, Versammlungen aufzulösen und obendrein hatten die Regierungen Mexikos, El Salvadors, Guatemalas sowie Honduras’ in einer gemeinsamen Erklärung angekündigt, dass sie keine „illegale Einwanderung“ dulden würden.

Zentrale Herausforderung: Grundlegender Wandel

Das habe den Boden für das gewaltsame Vorgehen von Polizei und Armee bereitet, so der deutsche Anwalt Michael Mörth, der in Guatemala eine Menschenrechtskanzlei berät, mit der medico viele Jahre kooperiert hat. „Die Regierung Giammattei steht unter Druck, Umfragen weisen nach unten und der Reflex ist, autoritärer und repressiver aufzutreten“. Hinzu kommt so etwas wie vorauseilender Gehorsam gegenüber den USA – auch wenn allen klar gewesen sein dürfte, dass dort ein Politikwechsel kommen würde.

Der hat mit den ersten Amtshandlungen von Joe Biden schon etwas Kontur erhalten. So soll es rund elf Millionen papierlosen Migrant*innen in den USA ermöglicht werden, binnen acht Jahren zu einem legalen Status zu kommen. Die sogenannten "Dreamer", die als Minderjährige ohne gültige Dokumente in die USA kamen, sollen zudem eine Greencard erhalten, wenn sie arbeiten oder eine Schule besuchen. Erste positive Signale aus Washington, die die Hoffnungen in Honduras, El Salvador oder Guatemala, wo das Gros der Migrant*innen aus Mittelamerika herkommt, weiter schüren könnten. Allerdings haben die USA, Mexiko und Guatemala in einer gemeinsamen Erklärung am Freitag bekräftigt, dass sie keine Flüchtlingstrecks passieren lassen werden. Die zentrale Herausforderung aber bleibt: das Leben in diesen Ländern wieder lebenswert und sicher zu machen.


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