Von Moritz Krawinkel
In Guatemala wurde gewählt und wie in so vielen Ländern Lateinamerikas hat ein Ultrarechter gewonnen. Alejandro Giammattei steht für den „Pakt der Korrupten“, den Parlamentarier*innen gegen die Verfolgung durch die Internationale Ermittlungskommission gegen die Straflosigkeit (CICIG) gebildet haben. 2006 hatte eine Übereinkunft zwischen den Vereinten Nationen und Guatemala den Weg für die Verfolgung von Schwerverbrechen geebnet. Seitdem ist die Elite des Landes zunehmend in den Fokus der Internationalen Ermittlungskommission geraten. Ihre Arbeit in Guatemala steht nun endgültig vor dem Aus.
Dass der indigenen Kandidatin Thelma Cabrera bei den Wahlen mit über zehn Prozent der Stimmen ein Achtungserfolg gelang und auch andere progressive Kandidat*innen ein paar Prozent errangen, kann nicht über die Aussichtslosigkeit der Lage hinwegtäuschen. Die einzige Gegenkandidatin mit echten Erfolgschancen, die frühere Vorsitzende des Obersten Gerichts Thelma Adana, ist im Vorfeld von den Wahlen ausgeschlossen worden. Das CICIG-Mandat wurde nach diversen Angriffen aus dem Lager des bisherigen Präsidenten Jimmy Morales nicht verlängert und läuft im September 2019 aus. 2020 kann die Regierung außerdem Teile des bislang relativ unabhängigen Verfassungsgerichts mit ihren Leuten neu besetzen. Auf weitere Erfolge in der juristischen Aufarbeitung gegen die Eliten ist nicht mehr zu hoffen.
Unendlich lange scheint es her, dass mithilfe eines zufällig entdeckten Polizeiarchivs und dank der institutionellen Aufbauarbeit von medico-Partner*innen eine Aufarbeitung der Bürgerkriegsverbrechen einsetzte und der frühere Diktator Efraín Ríos Montt wegen Genozids verurteilt werden konnte. Gerechtigkeit für indigene Frauen, die über Jahre in einer Kaserne missbraucht wurden, wie im Fall Sepur Zarco? Kaum mehr vorstellbar. Auch sind die Zeiten vorbei, in denen ein Ex-Präsident und seine Vize wegen Korruption verhaftet werden, wie geschehen im Jahr 2015, und machtvolle Proteste alle relevanten Parteien an den Pranger stellten, weil sie von kriminellen Vereinigungen nicht zu unterscheiden sind. Dass in den letzten Jahren immer wieder Tausende für ein Ende der Straflosigkeit auf die Straße gingen und den Eliten manchen Kompromiss aufzwingen konnten, hat nicht gereicht für eine grundsätzliche Veränderung der Spielregeln. Der Staat ist wie in den anderen Ländern der Region Beute von Eliten, die keine Grenze zwischen Verbrechen und Politik kennen. Ein Interesse am Leben und Überleben der Mehrheit haben sie nicht.
Der neue guatemaltekische Präsident erklärt zwar öffentlichkeitswirksam seine Ablehnung des Migrationsabkommens mit den USA, das sein Amtsvorgänger Morales hinter dem Rücken der Öffentlichkeit ausgehandelt hat. Dabei handelt es sich aber wohl eher um einen Versuch, mehr Geld für die Erklärung Guatemalas zum „sicheren Drittstaat“ nachzuverhandeln. Die Sache selbst kann getrost als Erpressung bezeichnet werden: Trump hatte unverhohlen mit wirtschaftlichen Sanktionen gedroht, sollte das Abkommen nicht zustande kommen. Die Konsequenzen sind obszön: Wer vor der anhaltenden Gewalt, der Armut und der Perspektivlosigkeit in Guatemala flieht, kann in Mexiko Asyl beantragen. Wer vor der anhaltenden Gewalt, der Armut und der Perspektivlosigkeit in El Salvador oder Honduras flieht, muss in Guatemala Asyl beantragen.
Mexiko: Land als Grenze
Mit dem Abkommen verschieben die USA ihre Südgrenze weiter nach Zentralamerika. Der Hinterhof wird zum bewehrten Vorgarten. Bereits seit Jahren macht sich Mexiko mit dem Programm „Frontera Sur“ zum Gehilfen der US-Abschottungspolitik. Die Zahl abgeschobener Migrant*innen aus Mexiko nimmt stetig zu, ebenso die von Asylanträgen aufgrund des versperrten Weges in die USA. Die Kriminalisierung zwingt die Menschen in die Unsichtbarkeit und damit in die Gewalt des organisierten Verbrechens, das eng mit dem Staatsapparat verwoben ist. „Mit dem Krieg gegen die Drogenkartelle ist die Migration dem organisierten Verbrechen übergeben worden“, sagt Marta Sánchez Soler von der mexikanischen medico-Partnerorganisation Movimiento Migrante Mesoamericano. Im Dezember 2006 hatte die mexikanische Regierung unter Felipe Calderón den „Krieg gegen die Kartelle“ ausgerufen, der das Land in den Abgrund katapultiert hat. Heute scheinen Schätzungen von 200.000 Opfern realistisch. Auch die Zahl der Verschwundenen geht in die Zehntausende. Entführungen, Erpressungen, Morde und Vergewaltigungen von und an Migrant*innen sind seit 2006 exponentiell angestiegen, sie sind leichte Opfer für die Kartelle. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Nationale Menschenrechtskommission CNDH geht von an die 20.000 Menschen aus Zentralamerika aus, die auf ihrem Weg durch Mexiko jedes Jahr spurlos verschwinden.
Der neue mexikanische Präsident, der vermeintlich linke Hoffnungsträger Andrés Manuel López Obrador, verschärft die Lage. Ebenfalls auf Druck der USA militarisiert er gleich den ganzen Süden Mexikos, um den „Durchmarsch“ der Migrant*innen aufzuhalten. Ende letzten Jahres machten Tausende Menschen aus Zentralamerika weltweit Schlagzeilen, die als Karawane aus der Unsichtbarkeit traten. Ihre Masse schützte sie, ebnete den Weg durch die gefährlichsten Regionen des Landes. Ein Exodus, sagte damals Marta Sánchez Soler. Wie dramatisch die Situation inzwischen ist, zeigen Zahlen des UNHCR: 2017 hatten 294.000 Menschen aus Guatemala, Honduras und El Salvador in den benachbarten Ländern und den USA eine Anerkennung als Flüchtling beantragt, doppelt so viele wie im Vorjahr – und 16-mal so viele wie noch 2011.
In Honduras verlassen die einen das Land, weil sie von Gangs mit dem Tode bedroht werden oder sich ihre ökonomische Situation nicht verbessern lässt. Währenddessen versuchen die Optimistischeren noch, mit Straßenprotesten etwas im Land zu bewegen. Immer wieder flammen Proteste gegen die honduranische Regierung auf, auch jetzt wieder, nachdem eine Zeugenaussage in den USA nahelegen, dass der Präsident des Landes, Juan Orlando Hernández, direkt in den Drogenhandel verstrickt ist. Er wurde Ende 2017 im Amt bestätigt, wobei die Wahlen höchstwahrscheinlich manipuliert wurden. Seitdem der gewählte Präsident Manuel Zelaya 2009 mit Billigung der USA aus dem Amt geputscht worden ist, hat sich die Lage zunehmend verschlechtert. Zelaya hatte den Mindestlohn angehoben, sich Venezuela angenähert und damit den Ärger der eigentlichen Machthaber*innen (zu denen er vorher auch gehörte) auf sich gezogen. Damals wie heute gehen die Repressionsorgane mit aller Härte gegen Protestierende vor. Weil eine Veränderung im Land kaum mehr wahrscheinlich ist, nimmt die Auswanderung zu.
Gleiches gilt für El Salvador, wo zwar das erste Mal seit Ende des Bürgerkriegs das Zweiparteiensystem der einstigen linken Guerilla FMLN und der rechten Arena durchbrochen wurde. Der neue Präsident, der ehemalige Bürgermeister von San Salvador, Nayib Bukele, macht aber eher mit lustigen Sprüchen auf Twitter von sich reden als mit einer ernsthaften Veränderung der Lage im Land. Auch er setzt gegenüber den Maras, den kriminellen Gangs, die das Land in Atem halten und für Tausende Jugendliche der einzige Weg aus Bedeutungslosigkeit und Elend zu sein scheinen, auf Härte. Hierzulande ist das Land nur dann eine Nachricht wert, wenn mal wieder einer dieser Tage ist, an denen kein einziger Mord registriert wird – immerhin acht seit dem Jahr 2000. Währenddessen hat der frühere Präsident, Mauricio Funes (FMLN), der im eigenen Land wegen Korruption angeklagt ist, Asyl in Nicaragua erhalten.
Nicaragua galt im Vergleich zu den Ländern des „Triángulo Norte“ über viele Jahre als Hort der Sicherheit. Das Land litt zwar schon lange unter dem Autoritarismus des Ortega-Clans und die klientelistischen Sozialprogramme erreichten vor allem die Getreuen der FSLN. In einer Region, in der auf 100.000 Einwohner*innen bis zu 100 Morde kommen, war die relative Friedlichkeit in Nicaragua jedoch bemerkenswert. Aber selbst davon ist seit der Niederschlagung der Proteste gegen das Regime seit April 2018 nicht mehr viel übrig. Über 320 Tote forderte die Repression, 70.000 Menschen aus Nicaragua haben in Costa Rica Zuflucht gesucht, aber auch in den Karawanen Richtung USA liefen Viele mit, um der Verfolgung im einstigen Sehnsuchtsort der Linken zu entkommen. So reiht sich Nicaragua inzwischen in die Liste der Länder ein, aus denen die Menschen in Scharen fliehen.
Der Exodus wird weitergehen
Ein Ende des Exodus aus Zentralamerika ist nicht in Sicht. Gemeinsam sind den Ländern der Region Armut und Perspektivlosigkeit, Gewalt und Straflosigkeit. Das ist gewollt von den politischen und ökonomischen Eliten, die „ihre“ Länder als Beute betrachten und kein Interesse daran haben, funktionierende Infrastrukturen und Ökonomien aufzubauen, die mehr Menschen Teilhabe ermöglichen würden als nur ihnen selbst. Der Staat und seine Institutionen sind Mittel zur Bereicherung und zur repressiven Aufrechterhaltung der Besitz- und Machtverhältnisse.
Von der damit einhergehenden Rechtlosigkeit, von den Menschenrechtsverletzungen gegen Umweltverteidiger*innen und den Vertreibungen indigener Gruppen profitieren aber nicht nur die lokalen Eliten, sondern auch die Importländer der zentralamerikanischen Güter. Solange die Kernfunktion der zentralamerikanischen Länder auf dem Extraktivismus von Primärgütern beruht, für den die Landbevölkerung vertrieben und Natur zerstört wird, solange Menschenrechtsverletzungen dafür inkaufgenommen werden, solange wird auch der Exodus aus der Region weitergehen.
Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 3/2019. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!