Resilienz

Im Regen stehen gelassen

12.12.2016   Lesezeit: 7 min

Ende der Nachhaltigkeit: Mit dem Resilienzkonzept wird Hilfe zum reinen Krisenmanagement.

Von Usche Merk

„Die Kosten humanitärer Krisen eskalieren. Es gibt einen dringenden Bedarf, Menschen und Gemeinden zu helfen, zunehmenden Schocks und Stressoren zu widerstehen und sich davon wieder zu erholen. In anderen Worten, ihnen zu helfen, ihre Resilienz aufzubauen.”

Diese Argumentation des aktuellen „EU-Aktionsplans für Resilienz in krisenanfälligen Ländern 2013-2020“ bringt es auf den Punkt: Resilienz ist zur zentralen Kategorie in nationalen und internationalen humanitären Strategien geworden. Alle wichtigen Akteure – von den Vereinten Nationen und der Europäischen Union (EU) über das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bis zu privaten Hilfswerken und Stiftungen – haben in den letzten Jahren entsprechende Konzepte entwickelt und „Resilienzorientierung“ zum Maßstab ihrer Förderpraxis gemacht. Immer stärker dominiert das Konzept der Resilienz auch Strategien des Krisenmanagements in vormals getrennten Politikbereichen wie Sicherheit, Klimawandel, Naturkatastrophen und Terrorismus. Es ist – so die Wissenschaftler Jeremy Walker und Melinda Cooper – zum „alles durchdringenden Begriff einer Weltordnungspolitik“ geworden. Was steckt hinter dieser Entwicklung? Und welche Folgen hat sie?

Der Aufstieg eines Konzepts

Angesichts der wachsenden Zahl von Katastrophen wurde im letzten Jahrzehnt auch die Katastrophenvorsorge verändert. Sie ist im Rahmen von UN-Plänen professionalisiert und zu einem eigenständigen Interventionsfeld geworden. Ziel ist, mit Hilfe von systematischer Analyse Risiken zu identifizieren, Frühwarnsysteme und Vorsorge zu etablieren und die Auswirkungen von Katastrophen besser zu managen. Doch im Zuge der immer häufiger auftretenden Katastrophen und der immer feineren Berechnung der Risiken hat sich der Blick verschoben – weg von der Vorsorge und Prävention, die daran interessiert ist, Katastrophen zu verhindern und zu vermeiden; hin zum Management von Katastrophen und zur Anpassung an katastrophenbedingte Situationen. In diesem Kontext ist das Konzept der Resilienz hegemonial geworden.

Spätestens seit 2010 lässt sich beobachten, dass nicht mehr Vulnerabilität, also Verwundbarkeit, sondern Resilienz die zentrale Kategorie in der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit darstellt. Statt der Schwächen und Bedürftigkeiten von Menschen und Gesellschaften stehen nunmehr ihre Stärken und Fähigkeiten, mit Katastrophen und Krisen fertigzuwerden, im Zentrum. Diese Verschiebung hat insofern einen emanzipatorischen Gehalt, als sie den Blick auf die Widerständigkeit und die Selbsthilfekräfte von Menschen und Gemeinden lenkt, auf Überlebensstrategien, Handlungsfähigkeit, Selbstermächtigung und Unterstützungsnetzwerke, wie von kritischen NGOs lange gefordert. Sie gelten fortan als zu fördernde Faktoren von Resilienz. Das Paradox dabei: Indem mit der Verbreitung des Resilienzkonzepts die lokalen Kapazitäten in Krisenregionen als Ressource des strategischen Krisenmanagements „entdeckt“ wurden, ist der Anspruch, die Krise zu vermeiden, aus dem Fokus gerückt. In der Logik der Resilienz werden Fluten, Dürren, Kriege, Vertreibung, Flucht, Armut lediglich als „Schocks“ und „Stressoren“ wahrgenommen, aber nicht mehr als zu überwindende Ursachen der Krisen. Der Kampf von Menschen, in unmenschlichen Bedingungen zu überleben, wird zum Resilienzfaktor umdefiniert.

Resilienz als Überlebenszwang

Welche Folgen diese Entwicklung zum Beispiel bei Gesundheitskrisen hat, beschreibt die internationale Expertengruppe Topp, Flores, Sriram und Scott in ihrer Analyse so: „Resilienzstärkung scheint kaum eine Untersuchung oder Infragestellung der strukturellen Bedingungen zu beinhalten, die zur Dysfunktionalität eines Gesundheitssystems beitragen, wie historisch koloniale Erbschaften, aktuelle Handelsstrukturen oder Steuersysteme. Der Aufstieg der Hegemonie des Resilienzdiskurses hat es globalen Gesundheitsakteuren ermöglicht, Debatten über langfristige Visionen durch einen aktionsorientierten Diskurs zu ersetzen.“ In diesem Sinne wird die Krise als Normalzustand akzeptiert und hat Resilienz das Konzept der Nachhaltigkeit verdrängt: Während dieses darauf zielt, die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen, geht es dem Resilienzdiskurs darum, mit einer unausgeglichenen Welt zurechtzukommen.

Die Janusköpfigkeit des neuen Katastrophenmanagements zeigt sich in einer neuen „Rolle“ der hilfsbedürftigen Individuen, Gemeinschaften und Krisenregionen: Die Krisenbewältigung liegt in hohem Maße in ihrer Verantwortung und ihrer Resilienz. Eine Fallstudie der italienischen Wissenschaftlerin Mara Bernadusi über ein resilienzförderndes Projekt nach dem Tsunami in Sri Lanka zeigt, wie die Betroffenen damit in eine Falle geraten: Zeigen sie sich nur vulnerabel, unterlaufen sie die Anforderungen der Förderung, ihre Resilienz zu stärken. Zeigen sie sich jedoch zu resilient, übererfüllen sie die Anforderungen und laufen damit Gefahr, als nicht mehr hilfsbedürftig eingestuft zu werden: „Um weitere Hilfe zu erhalten, mussten die Dorfbewohner sorgfältig überlegen, wieviel Resilienz sie zeigen. Sie mussten ‚gerade resilient genug‘ erscheinen, um förderungswürdig zu sein, aber nicht so resilient, um den Anschein der Verwundbarkeit nicht zu gefährden, der nötig ist, um Hilfe zu erhalten. Paradoxerweise war die wichtigste Lektion, die sie lernten, die, wie sie die Position eines ,guten Produkts des Tsunamis’ aufrechterhalten.“

Um herauszufinden, wie man eine Gemeinschaft widerstandsfähiger – also resilienter – macht, werden spezifische Messinstrumente eingesetzt. So hat die Europäische Union einen Resilienzmarker entwickelt, an dem der Erfolg von Hilfe gemessen, aber auch der Bedarf festgelegt wird. Auch USAID hat Instrumente ausgearbeitet, durch die Hilfsbedürftigkeit immer kleinteiliger nach unten definiert wird. Die Depth-of-Poverty-Messung bestimmt, wie viel Armut resilient auszuhalten ist. Das Moderate-to-Severe-Hunger-Instrument definiert, ab wann man wirklich verhungert. Die Global-Acute-Malnutrition-Skala zeigt an, ab wann die Unterernährung unter das übliche Maß fällt. Resilienter zu werden gerät so zum Zwang und Resilienzförderung wird zum Kontroll- und Selektionsinstrument von Hilfe. Der humanitäre Imperativ, allen, die in Not sind, zu helfen, wird damit im Kern infrage gestellt.

Mit dem Resilienzkonzept wird auch ein Paradigmenwechsel in der humanitären Finanzierung eingeläutet. Die zu Recht kritische Debatte über die Trennung von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sowie der Mangel an Koordination zwischen humanitären Akteuren dienen als Legitimation, um das ganze System in Frage zu stellen. Exemplarisch dafür steht der Aktionsplan für Resilienz in krisenanfälligen Ländern, den die Europäische Union entwickelt hat. Die Neudefinition des Umfangs humanitärer Bedürfnisse und somit des Anspruchs auf Hilfe erlaubt es, verschiedene EU-Programme zu Katastrophenvorsorge, Klimawandelanpassung, Sozialem Schutz, Ernährungs- und Nahrungsmittelsicherheit unter dem Querschnittsprinzip Resilienz zusammenzuführen – und damit Mittel zu kürzen. Auf einer Tagung über Resilienz, auf der Hilfswerke der Vereinten Nationen, die Europäische Union und das Entwicklungshilfeministerium (BMZ) vertreten waren, fielen bspw. solche Sätze: „Menschen und Gemeinden müssen lernen, aus eigener Kraft Krisen zu überwinden und sich schneller berappeln“; „Sie sollen ‚dürreresilienter‘ werden“; oder „Wie kann man die Bedürfnisse verringern, um Kosten zu dämpfen?“. Diese Aussagen machen deutlich, was das Querschnittsprinzip Resilienz in der Praxis bedeutet: die Verantwortung für die Folgen von Krisen wird an die Betroffenen abgewälzt.

Katastrophenvorsorge als Geschäft

Gleichzeitig öffnet sich die humanitäre Hilfe zunehmend der Privatwirtschaft. Überall wird um den privaten Sektor als vierter Säule neben Staat, Zivilgesellschaft und Wissenschaft geworben. Und diese hat die Katastrophenvorsorge als neues Geschäftsfeld entdeckt. Im Jahr 2015 kamen 70 bis 80 Prozent der Neuinvestitionen im Bereich der „Disaster Risk Reduction“ aus der Privatwirtschaft. Internationale Foren wie das „Global Disaster Relief Summit“ bringen UN-Organisationen, Weltbank, Sicherheitsberater, Finanzdienstleiter, Stiftungen, USAID und große Hilfswerke mit privaten Investoren zusammen, die von Fahrzeugen, Logistikprodukten, Kommunikation, Sicherheitstechnologie bis zu Pharmaprodukten alles verkaufen, um aus einer Katastrophe ein neues Geschäftsmodell mit „Resilienzdividende“ zu machen. Eine NGO-Studie belegt detailliert, wie der Wideraufbau nach dem Taifun Yolanda auf den Philippinen 2013 zum Experimentierfeld für private Investitions- und Profitmöglichkeiten wurde. Statt „Building back better“, wie das Wiederaufbauprogramm genannt wurde, verschlechterte sich für viele arme Menschen die Situation dramatisch, während sich für Privatunternehmen im Bergbau, Agrar- und Tourismussektor ganz neue Geschäftsmöglichkeiten ergaben.

Die Konjunktur des Resilienzkonzepts repräsentiert eine neoliberale Wende in der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Es darf aber nicht darum gehen, lediglich die „Resilienz“ von Menschen und Gemeinden zu stärken, die ohnehin schon all ihre Widerstandskräfte, Netzwerke und Kreativität aufbringen, um in katastrophalen Zeiten zu überleben. Lokale Akteure brauchen Ressourcen und Unterstützung, um die Verantwortlichen von Krisen an deren Bewältigung zu beteiligen. Mit seiner Tendenz, emanzipatorische Konzepte zu vereinnahmen, kann das Resilienzkonzept nicht innerhalb des eigenen Diskurses infrage gestellt werden. Daher braucht es eine Bewegung von außen, die sich der Entwicklung verweigert, die Praxis kritisch überwacht und Ansätze verteidigt, die noch Alternativen zur Logik der permanenten Krise entwickeln will.


Dieser Artikel erschien zuerst im medico-Rundschreiben 4/2016. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. <link material rundschreiben rundschreiben-bestellen>Jetzt abonnieren!


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