von Usche Merk
Wurden die Auswirkungen von Katastrophen und Gewalt früher vor allem unter dem Begriff Trauma diskutiert, Traumatherapie und psychosoziale Hilfen angeboten, so scheint es nun zunehmend darum zu gehen, Menschen nicht mehr als vulnerable Opfer zu beschreiben, sondern als resiliente Überlebende, die sich erholen und mit dem Leben weitermachen.
Unsicherheit, Gewalt und Katastrophen steigen weltweit an. Durch die Globalisierung, also die globale Ausdehnung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, wurden Gesellschaft und Natur bis in den letzten Winkel der Welt marktwirtschaftlichen Interessen unterworfen. In der Folge haben extreme soziale Ungleichheit, Ausgrenzung, Verteilungskriege und klimabedingte Katastrophen in erschreckendem Maße zugenommen.
Als MitarbeiterInnen einer Hilfs- und Menschenrechtsorganisation, die mit Projektpartnern in über 30 Ländern des Südens über viele Jahre verbunden ist, erfahren wir täglich, was diese Entwicklung für die subjektive Lebensrealität von Menschen bedeutet: Trauma ist für viele keine Ausnahmeerfahrung mehr, sondern Normalität in einem existenziell unsicheren, schutzlosen Alltag. So hören wir aus Pakistan und Bangladesch, wie Textilarbeiterinnen aufgrund der sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen Gesundheit und Leben verlieren und Überschwemmungen ihren Familien auf dem Land die Lebensgrundlage zerstören; aus Mexiko, wie Migranten nicht nur an der US-amerikanischen Grenze gewaltsam zurückgetrieben, sondern vorher schon von organisierten Banden ausgeraubt, vergewaltigt, gekidnappt und umgebracht werden; aus Sierra Leone, wie Menschen durch Landgrabbing und Sprengungen der Diamantenindustrie von ihrem Land und aus ihren Häusern vertrieben werden und jetzt mit einer Ebola-Epidemie fertig werden müssen, die sich aufgrund des völlig desolaten Gesundheitssystems so rasant verbreitet hat.
Entpolitisierung des Traumas
Seit den 1990er Jahren nahm die Aufmerksamkeit für die psychischen Folgen von Gewalterfahrungen, Krieg, Flucht und Naturkatastrophen zu. Leidenssymptome wurden zunehmend mit der psychiatrischen Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) versehen – eine Diagnose, die ursprünglich in den USA für die Symptome von Veteranen des Vietnamkrieges entstand. So wurden auch in der humanitären Hilfe Behandlungsangebote entwickelt und massenweise angeboten, meist als standardisierte Kurztherapien. Die wachsende Sensibilisierung für psychisches Leiden ging aber gleichzeitig mit einer Entpolitisierung einher: Nicht mehr Krieg, Vertreibung und Gewalt standen als Ursache für das Trauma im Vordergrund, sondern die PTBS-Symptome der Einzelnen, die nun in privaten Therapieräumen über das sprachen, was sie erlebten und was ihnen angetan wurde.
Schon Ende der 1990er Jahre veröffentlichte die Frankfurter Organisation medico international eine Streitschrift unter dem Titel „Schnelle Eingreiftruppe Seele“, um diese Entwicklung zu kritisieren. Mit der Verbreitung eines störungsdefinierten Traumaverständnisses wird gesellschaftlich verursachtes Leid pathologisiert und zu einem privaten Gesundheitsproblem gemacht. Überlebende von Bürgerkriegen und politischer Gewalt werden vor allem als traumatisierte Opfer und Hilfeempfänger wahrgenommen, nicht als Rechtssubjekte oder auch politische Akteure. Eine Veränderung sozialer Verhältnisse, die traumatische Erfahrungen verursachen, steht nicht mehr auf der Tagesordnung.
Diese Entwicklung ist inzwischen sehr viel weiter gegangen. Mit der „Normalität“ von traumatischen Erfahrungen scheint sich eine paradigmatische Wendung anzukündigen: Nicht mehr massenhafte Therapie, sondern Resilienzstärkung gewinnt an Bedeutung. Es fügt sich ein in die neoliberale Botschaft, die mit dem Zurückdrängen sozialstaatlicher Verantwortung ein neues, auf Eigenverantwortung beruhendes Menschenbild durchgesetzt hat. Für das Leiden der Menschen werden weniger die sozialen Verhältnisse verantwortlich gemacht, als die Menschen selbst. Hilfe und Umgang mit Krisen werden zu privaten Aufgaben.
Resilienz als Lösungsansatz?
Dabei ist Resilienz ein schillernder Begriff, der in vielen verschiedenen Wissenschaften für unterschiedliche Kontexte genutzt wird. Resilienz bezieht sich ursprünglich auf ebenjene Eigenschaft eines Materials, die dafür sorgt, dass es sich unter Belastungen zwar verformt, aber nicht bricht. Allein anhand der exponentiell gestiegenen Anzahl von Publikationen zum Thema Resilienz lässt sich ein beträchtlicher Bedeutungszuwachs erkennen. Der Begriff der Resilienz wird in der Ökologie, Ökonomie oder Medizin ebenso genutzt wie in der Psychologie und Pädagogik. In letzteren Disziplinen gelten Kinder und Erwachsene dann als resilient, wenn sie sich trotz widriger Lebensumstände positiv und gesund entwickeln.
„Das Konstrukt Resilienz ist ein dynamischer oder kompensatorischer Prozess positiver Anpassung bei ungünstigen Entwicklungsbedingungen und dem Auftreten von Belastungsfaktoren“ (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2014). Resilienzförderprogramme sind dann solche, die resilienzstärkende Persönlichkeitsfaktoren wie etwa Selbststeuerung, Problemlösefähigkeit, adaptive Bewältigungskompetenz oder Selbstwirksamkeit unterstützen, damit Menschen besser mit Belastungen umgehen können. Das bedeutet aber auch, dass Resilienzförderung die Belastungen selbst nicht mehr in den Blick nimmt, sie nicht verändern oder sich dagegen auflehnen will. Vielmehr werden die belastenden äußeren Lebensumstände als gegeben angenommen. Gestärkt werden soll die innere Fähigkeit, damit umzugehen: „Phönix aus der Asche. Resilienz – wie erfolgreiche Menschen Krisen für sich nutzen“ oder „SNAKE – Stress nicht als Katastrophe erleben“ heißen solche Bücher und Programme, die sich an diejenigen richten, die Niederlagen und Leid erleben.
Aber wie verändert sich das Verhältnis von individueller und gesellschaftlicher Verantwortung, wenn Resilienz zum dominierenden Konzept wird, nicht nur um mit beruflichem Dauerstress oder Arbeitslosigkeit, sondern auch mit Krieg, Katastrophen und traumatischen Erfahrungen zurechtzukommen?
Resilienzprogramme für Militär und Zivilbevölkerung
Unter dem Einfluss der Militäreinsätze in Afghanistan und im Irak, aus denen zahlreiche Soldaten mit PTBS zurückkehrten, deren politische und ökonomische Kosten (hohe Selbstmordraten, Behandlungskosten und Rentenzahlungen aufgrund von Arbeitsunfähigkeit) die militärischen Interessen der USA empfindlich beeinträchtigten, wurde das wahrscheinlich umfangreichste psychologische Programm der Geschichte entwickelt – das „Comprehensive Soldier Fitness“-Programm für 1,1 Millionen Soldaten der US-Armee. Im Zentrum des von Martin Seligman, einem Papst der „Positiven Psychologie“, entwickelten Programmes steht Resilienzförderung, hier die Vorbereitung der Soldaten auf traumatische Ereignisse, sodass sie erst gar keine PTBS entwickeln.
Die Soldaten sollen positiv denken und nicht in Panik geraten, sondern traumatische Erfahrungen als Herausforderung für persönliche Reifeprozesse ansehen, die ihnen Selbstbewusstsein, Stärke und ein Bewusstsein für das Leben vermitteln. Auf diese Weise soll „eine unbezwingbare Armee geschaffen werden“ (Seligman in Howell 2012), an der alle verletzten Gefühle abprallen.
Im Rahmen des „War against Terror“ wurden insbesondere in Israel und den USA auch für die Zivilbevölkerung Programme zur Förderung von Resilienz entwickelt, die psychologisch auf einen Terroranschlag vorbereiten und damit dessen Folgen kontrollierbarer machen sollen. Dabei ist das Ziel, zu lernen, in einer unsicheren Welt zu leben und von der Gewalt nicht überrascht zu werden. In Israel wurden mit Schulkindern ab sechs Jahren Übungen durchgeführt, in denen ein Terroranschlag simuliert wird. Dabei wird nicht nur der Weg in den Schutzbunker geübt. Es wird auch der Umgang mit Angst durch Atemübungen und positive Gedanken trainiert. Was bedeutet es, wenn schon Kinder mit einer künstlichen Inszenierung von Gewalt und Terror konfrontiert werden? Gewöhnen sie sich an eine Situation, die eigentlich nur politisch zu lösen ist? (Brunner 2014)
Als unvermeidlich gelten inzwischen auch die riesigen humanitären Krisen, auf die sich eine ebenso große Hilfsindustrie immer umfangreicher vorbereitet. Im Rahmen der Katastrophenvorsorge, dem „Disaster Risk Reduction“, das in vielen Bereichen der humanitären Hilfe angewandt wird, geht es neben Maßnahmen wie verbessertem Dammschutz, landwirtschaftlicher Vorratshaltung und erdbebensicheren Häusern auch um „Resilience Programming“. Dabei sollen die Fähigkeiten und Kapazitäten von „vulnerablen“ Bevölkerungsgruppen gefördert werden, sich dynamisch an veränderte soziale, ökonomische und ökologische Entwicklungen anzupassen. Sie sollen derart mit „Stressoren“ und „Schocks“ umgehen können, dass diese keine lang anhaltenden Auswirkungen mehr haben. Dahinter stehen auch Überlegungen, die Kosten für die Hilfe nach einer Katastrophe möglichst gering zu halten, indem die Betroffenen selbst lernen, mit der Krise umzugehen.
In der Praxis stürzen Resilienzprogramme die betroffenen Menschen oftmals in eine völlig schizophrene Situation: Um Hilfe zu erhalten, müssen sie sich bedürftig und vulnerabel zeigen, gleichzeitig aber auch resilient genug sein, um den Voraussetzungen und Zielvorstellungen von Resilienzprogrammen zu genügen. Die Folge ist, dass sie vor allem lernen, sich den unterschiedlichen Anforderungen der Geber „resilient“ anzupassen (Benadusi, 2012).
Individuelle Verantwortung
All diese Beispiele machen eines sichtbar: Resilienzprogramme offenbaren das Eingeständnis, an den Schrecken dieser Welt nichts mehr verändern zu können oder zu wollen. Die einzige Option scheint zu sein, die Menschen für die Krisen fit zu machen. Mehr noch zeigt sich im boomenden Diskurs um Resilienz, dass die staatliche Verantwortung im Sinne eines Gesellschaftsvertrages aufgekündigt wird: Der Staat sieht sich immer weniger dafür zuständig, sichere, gesunde und menschenwürdige Lebensbedingungen herzustellen und die Fürsorge zu organisieren, wenn Menschen krank und bedürftig sind. Durch die neoliberale Transformation des Staates wird die Verantwortung auf das Individuum und seine informellen sozialen Netze abgewälzt: Die Menschen müssen sich selbst um Schutz und Widerstandsfähigkeit kümmern. Und sich frühzeitig darauf einstellen, dass sie sich auch selbst helfen müssen, wenn sie zu Schaden kommen.
Unrechtsverhältnisse thematisieren
Die Auseinandersetzung mit dem psychischen Trauma ist ihrem Wesen nach ein politisches Unterfangen. Sie erinnert an die eigene Verletzbarkeit und zeigt die Perspektive und Wahrheit der Leidenden, derjenigen, die das Trauma überlebt haben und Zeugnis davon ablegen können. Und sie ist politisch, weil sie immer auch auf die dem Trauma zugrunde liegenden gesellschaftlichen Unrechtsverhältnisse hinweist und damit zur Veränderung und Verhinderung traumatischer Erfahrungen auffordert. Wenn nun über Trauma gar nicht mehr gesprochen wird, sondern nur noch über Resilienz, bedeutet dies, dass das Leiden selbst nicht mehr zur Kenntnis genommen werden soll.
Wird das Konzept der Resilienz, das ja eigentlich die Widerstandsfähigkeit in den Blick nimmt, nun dazu genutzt, um den Status quo von Katastrophen und Gewalt aufrechtzuerhalten oder gar unsichtbar zu machen? Wenn es uns nicht nur um die Anpassung der Menschen an die Schrecken der Wirklichkeit geht und die Stärkung ihrer „Resilienz“, mit diesen Schrecken fertig zu werden, dann müssen wir wieder politischer werden. Wir müssen Begriffe, Programme und unsere Rolle als Helfer hinterfragen und gesellschaftliche Bedingungen zum Thema machen, die traumatisch wirken.
Aus: Dr. med. Mabuse, Nr. 213, Januar / Februar 2015, S. 28-30.