Achmed ist 16 Jahre alt und sichtlich aufgeregt. Noch nie hat er vor so vielen Menschen gesprochen. Achmed ist querschnittsgelähmt und sitzt seit dem Tag vor 10 Jahren, als er mit Freunden auf dem Schulhof Fußball spielen wollte, im Rollstuhl. Nach Worte ringend berichtet er von dem Unfall, der ihm die Beine zerfetzt hat. Achmed ist Kurde und stammt aus dem Südosten der Türkei, wo über viele Jahre hinweg Krieg geherrscht hat. Der Bericht stockt; des Türkischen kaum mächtig wechselt Achmed ins Kurdische. Für kurze Zeit ist nun die Unruhe auf Seiten der Zuhörer; die Sicherheitskräfte aber halten sich zurück. Achmed ist den langen Weg von seinem Dorf aus der Gegend um Nusaybin nach Istanbul gekommen, um auf einer Konferenz der »Kampagne für eine Türkei ohne Minen«, der ersten im Lande, auszusagen. Im Alter von 6 Jahren trat Achmed auf eine Mine, die ihm alle Chancen und selbst noch die Möglichkeit des Schulbesuchs genommen hat. Der Bürgermeister von Nusaybin berichtet von Hunderten von ähnlichen Fällen, die sich auch in den Jahren nach dem Ende des Krieges ereignet haben. Und damit nimmt die Konferenz ihren Lauf: Eine Juristin von der Rechtsfakultät der Bilgi Universität erläutert die Ansprüche, die Leute wie Achmed gegenüber dem türkischen Staat geltend machen könnten. Mit kämpferischen Worten wettert der Vorsitzende der Menschenrechtsstiftung gegen den Skandal der Minen und verlangt von der Türkei, nun endlich das Ottawa-Abkommen zum Verbot von Anti-Personenminen zu ratifizieren. Der medico-Vertreter erzählt von den Anfängen der Internationalen Minen-Kampagne, die sich auch erst gegen die Ignoranz der Politik durchsetzen mußte.
Dann melden sich ehemalige Minister und aktuelle Parlamentsabgeordnete zu Wort und danken den Veranstaltern für die Konferenz. Mit verklausulierten aber sympathischen Bemerkungen drücken sie ihre Freude darüber aus, künftig gemeinsam mit Initiativen der türkischen Öffentlichkeit bei der Sache bleiben zu können. Bestärkt werden sie darin vom amtierenden Präsident des Ottawa-Abkommens, einem hohen belgischen Diplomaten, der bis zuletzt von der Genfer Mission der Türkei bedrängt wurde, seine Teilnahme abzusagen. Die Chancen stehen nicht schlecht, daß die Türkei noch in diesem Jahr gemeinsam mit Griechenland das Verbot von Antipersonenminen ratifizieren wird. Das Signal, das davon ausginge, würde bis weit in den Mittleren Osten hineinreichen und mithelfen, das Leben der Menschen im kurdischen Südosten der Türkei sicherer zu machen. Die Istanbuler Minen-Konferenz fand Mitte April 2003 statt. Sie gehörte zu den wenigen Veranstaltungen der letzten Jahre, auf denen Vertreter des türkischen Staates mit zivilgesellschaftlichen Organisationen über den öffentlich tabuisierten Krieg und seine Folgen ins Gespräch gekommen sind. Die Konferenz endete mit dem Versprechen einer Neuauflage: im kurdischen Südosten der Türkei, wo noch immer Minen das Leben der Menschen terrorisieren. Achmeds Wunsch, wie die anderen wieder Fußball spielen zu können, wird nicht in Erfüllung gehen. Zeit aber wird es, daß er endlich die Förderung erfährt, auf die auch behinderte Menschen ein Anrecht haben. Durchaus möglich, daß er sich dann sogar für einen Türkisch-Kurs entscheidet.
medico hat die Konferenz in Istanbul mit einem finanziellen Zuschuß und als Mitveranstalter unterstützt. Wenn sie mit uns zusammen für die Rechte der Kriegs- und Minenopfer in der Türkei streiten wollen, dann helfen Sie uns mit einer Spenden unter dem Stichwort: »Minenopfer«.