Hier Bettenüberhang, dort Seuchengefahr – auf den ersten Blick unterscheiden sich heimische und weltweite Aufgaben der Gesundheitspolitik gravierend. Die Deutsche Plattform für Globale Gesundheit verbindet lokale und internationale Strategien.
Von Jens Holst
Globale Gesundheit gilt wahlweise als Arbeitsfeld von Entwicklungs- oder von Sicherheitspolitikern: Den einen geht es um die Linderung der gesundheitlichen Nöte der Armen, den anderen um die Abschottung der reicheren Länder gegen Armutsfolgen wie zuletzt die Ebola-Epidemie im westlichen Afrika. Zudem verengt sich Gesundheitspolitik vielfach auf die Abwehr oder Bekämpfung von Krankheiten durch Arzneimittel beziehungsweise Medizintechnologie und lässt wesentliche Ursachen gesundheitlicher Probleme außer Acht.
In der globalisierten Welt von heute muss sich internationale Gesundheitspolitik neu erfinden, um den aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden. Dazu will die 2011 von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen aus der Entwicklungs-, Gesundheits- und Migrationspolitik sowie Wissenschaftlern verschiedener Hochschulen gegründete Deutsche Plattform für Globale Gesundheit einen Beitrag leisten.
Ihr Anliegen ist es, vorhandene Kräfte zu bündeln, unterschiedliche Perspektiven zusammenzuführen und politischen Einfluss auszuüben, um den engen Zusammenhang zwischen globaler und lokaler Gesundheit sowie die große Bedeutung sozialer Einflussfaktoren für die Gesundheit verstärkt auf die politische Agenda zu setzen. „Wir möchten zu einem gemeinsamen Verständnis von hiesiger und globaler Gesundheitspolitik beitragen und damit neue Debatten und Politikansätze in Deutschland wie anderswo befördern,“ so Knut Lambertin, Mitbegründer der Plattform und Referatsleiter Gesundheitspolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund.
Netzwerk mit breitem Spektrum
In der Plattform, die als Aktionsbündnis verschiedener Gruppen und Personen auf eine feste Organisationsstruktur verzichtet, sind an Stelle der üblichen Akteure der deutschen Gesundheitspolitik – Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen, Krankenhausgesellschaft oder Berufsstände – viele andere Organisationen vertreten, die sich mit Gesundheit befassen.
Das Spektrum reicht vom Deutschen Gewerkschaftsbund und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die viele Beschäftigte im und um das Gesundheitswesen vertreten, über den Paritätischen Wohlfahrtsverband und die Diakonie, die Internationale Vereinigung der Ärzte gegen den Atomkrieg, das globalisierungskritische Netzwerk attac sowie entwicklungspolitische Gruppen wie die Hilfsorganisation medico international, terre des hommes, Brot für die Welt, die Buko-Pharmakampagne bis zum Flüchtlingsrat und zur Flüchtlingshilfe Berlin.
Keine weitere Lobby-Gruppe
Die übergreifende Initiative national und international tätiger Gruppen und Personen will keine weitere gesundheits- oder entwicklungspolitische Lobby-Gruppe im Berliner Politikgeschäft sein. Ihr Ziel ist es, die bestehende Kluft zwischen nach innen gerichteter und globaler Gesundheitspolitik zu überwinden und zu einer besseren Verknüpfung unterschiedlicher gesundheitspolitischer Perspektiven beizutragen. Keine leichte Aufgabe, denn die Herausforderungen der deutschen und der globalen Gesundheitspolitik scheinen meilenweit auseinander zu liegen.
Auf den ersten Blick haben Gesundheitsreformen in Deutschland nichts mit Gesundheit in der restlichen Welt zu tun. Allenfalls gefährliche Seuchen wie zuletzt die Ebola-Epidemie in Westafrika rufen die deutsche Gesundheitspolitik auf den Plan. Ansonsten steht internationale Gesundheitspolitik hierzulande vor allem im Dienst des Exports deutscher Medizintechnologie und Pharmaprodukte oder gilt als Thema der Entwicklungspolitik.
Soziale Lage berücksichtigen
Diese Trennung zwischen Gesundheitspolitik im Inland und außerhalb Deutschlands besteht in vielen Köpfen – aber sie verliert zunehmend ihre Berechtigung. Die fortschreitende Globalisierung hat die Welt nicht nur kleiner werden lassen, sondern auch die gesundheitspolitischen Herausforderungen verändert. Das liegt nicht so sehr daran, dass sich ansteckende Krankheiten heute viel schneller als früher über den Globus verteilen und sich schon lange nicht mehr an Landesgrenzen aufhalten lassen.
Viel entscheidender für die Gesundheit in Deutschland und in jedem anderen Land sind die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Menschen leben, arbeiten und ihren Lebensunterhalt bestreiten. Aber diese vielfach belegten Zusammenhänge finden bisher kaum Eingang in die praktische Politik.
Dabei ist spätestens seit dem Wirken des Arztes und Gesundheitspolitikers Rudolf Virchow die enge Wechselwirkung zwischen Krankheit und sozialer Lage bekannt. Die Gesundheit der Menschen hängt in hohem Maße von sozialen Faktoren wie Einkommen, Bildung, Arbeits- und Lebensbedingungen und Umwelt ab. Internationale Gesundheitspolitik muss sich daher auch mit gesundheitsgefährdenden Arbeits-, Umwelt- und Lebensbedingungen befassen, universelle Gesundheitssysteme unterstützen und für soziale Gerechtigkeit und Teilhabe kämpfen.
„Globale Verantwortung muss sich in einer ursachenbezogenen Politikniederschlagen, die nicht bloß die Verhältnisse wiederherstellt, die in die Krise geführt haben“, fordert Plattform-Initiator Thomas Gebauer von der Frankfurter Entwicklungshilfeorganisation medico international.
Abhängigkeiten sichtbar machen
Dafür will sich die Deutsche Plattform für Globale Gesundheit stark machen. Im September 2014 lud sie Experten und Politiker zur Fachtagung „Soziale und politische Bedingungen von Gesundheit im Wandel: Eine andere Debatte ist notwendig“ nach Berlin ein, um die Initiative vorzustellen und eine andere Sicht auf die Herausforderungen globaler Gesundheitspolitik aufzuzeigen.
Die abschließende Podiumsdiskussion mit Politikern aller vier Bundestagsparteien warf eine hierzulande eher ungewohnte Frage auf: „Was können wir in Deutschland aus der globalen Gesundheitsdebatte lernen?“ Die anwesenden Abgeordneten zeigten ihre Bereitschaft, sich mehr als bisher für eine stärkere Berücksichtigung von globalen Gesundheitsfragen in der Bundespolitik einzusetzen.
Trotz unterschiedlicher Erwartungen und Auffassungen waren sie sich einig, dass die Plattform wichtige Impulse setzt, in Zukunft nationale und internationale Prioritäten gemeinsam in den Blick zu nehmen und ihre gegenseitigen Abhängigkeiten sichtbar zu machen.
Die Fachtagung machte nicht nur deutlich, wie Ungleichheiten in Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt auf die Gesundheit der Menschen einwirken. Sie zeigte auch, wie Deutschland seine zuletzt viel beschworene aktivere Rolle in der Welt besser wahrnehmen könnte: Durch stärkeren weltweiten Einsatz für Gesundheit jenseits von Seuchenbekämpfung und deutschem Technologieexport.
Deutsche Plattform für Globale Gesundheit: Grundsätze
Die Plattform hat sich auf einige zentrale Überlegungen verständigt, die Ausgangspunkt ihres politischen Wirkens sein sollen:
- Sie versteht Gesundheit als Ergebnis öffentlicher Daseinsvorsorge, die staatlich garantiert sowie demokratisch und sozial organisiert sein muss.
- Sie fordert ein Wirtschaftssystem, das dem Wohlbefinden und der Gesundheit der Menschen dient und nicht umgekehrt Gesundheit primär aus dem Blickwinkel von Geschäfts- und Wachstumsinteressen betrachtet.
- Sie geht davon aus, dass es genügend Ressourcen gibt, um ein „gutes Leben für Alle“ zu ermöglichen, und widerspricht damit der herrschenden Ideologie des Mangels und Sparens, die einer gerechten Verteilung im Wege steht.
- Sie will das öffentliche Bewusstsein dafür schärfen, dass Solidarität, Gleichheit der Rechte und des Respekts sowie politische wie materielle Freiheit und Teilhabe unabdingbare Voraussetzungen für gesunde Lebensbedingungen sind.
Aus: Gesundheit und Gesellschaft, Ausgabe 4/15, 18. Jahrgang