Auch 50 Jahre nach der Unabhängigkeit werden Malis Ressourcen von anderen Staaten ausgebeutet. Früher bestimmte Frankreich die Wirtschaftsentwicklung seiner ehemaligen Kolonie, heute tritt Libyen als Bodenspekulant und allgegenwärtiger Investor am Niger-Fluss auf. Auf Einladung des medico-Partners Association Malienne des Expulsés (AME, Organisation der Ausgewiesenen Malis) traf sich im Oktober in der Hauptstadt Bamako die malische Zivilgesellschaft, um über den Zusammenhang von Entwicklung und Migration zu diskutieren. Judith Kopp nahm für medico an den Veranstaltungen teil.
Ende September diesen Jahres feierte Mali das fünfzigste Jahr seiner Unabhängigkeit von der französischen Kolonialherrschaft. Im Straßenbild der Hauptstadt Bamako sind noch immer die Fahnen und Plakate präsent. Viele Frauen und Männer tragen Blusen und Hemden, die das Logo des „Cinquantenaire“ zieren, und in den ständig laufenden Fernsehgeräten werden die Gala- Shows wiederholt, mit Jubiläumssongs, prachtvoll gekleidetem Publikum und zuversichtlichen Reden.
Selbst wenn das Wort „Independance“ noch immer in aller Munde ist, bleibt es so manchem im Hals stecken. Das große Wort wirkt zudem auch grotesk, wenn man etwa das neugebaute Ensemble der Regierungsgebäude betrachtet, das eingezäunt und bezugsfertig am Stadtrand liegt. Libyens Präsident Muammar al-Gaddafi hat die Anlage für sämtliche Ministerien der malischen Regierung bauen lassen. Hinzu kommen riesige Hotelkomplexe, die das Ufer des Nigers säumen. Ihre Namen zeugen davon, wer hier investiert hat: „Libya Hotel“ heißt es da vor Pool-Landschaften und künstlichen Palmenanlagen.
Der libysche Einfluss im Sahelstaat geht aber noch tiefer. Im Nigerdelta, in der Region Office du Niger, der fruchtbarsten und wichtigsten Landwirtschaftsregion des Landes, hat das libysche Unternehmen MALIBYA für die nächsten 50 Jahre rund 100.000 Hektar Land gepachtet. Libyen will hier zukünftig 25.000 Tonnen Reis pro Jahr für den Eigenbedarf ernten, um sich von teuren Importen unabhängig zu machen. Dass den besagten Boden bislang Tausende Bauerngemeinschaften bestellen, ist da von sekundärer Bedeutung. „Gaddafi spricht von Panafrikanismus und nimmt unseren Bauern im gleichen Atemzug die Erde weg, von der sie leben“, so Ousmane Diarra, Präsident der AME in seiner Eröffnungsrede zum Auftakt der seit 2007 von der AME durchgeführten Mobilisierungstage in Bamako.
Mobilisierung von unten
Die zeitliche Nähe zum fünfzigsten Jahrestag der Unabhängigkeit Malis bestimmt die diesjährige Thematik der Aktionen: „Entwicklung und Migration – 50 Jahre nach der Unabhängigkeit“. Libyen bietet dabei mehrfachen Diskussionsstoff. Es geht nicht nur um das Bodenleasing, sondern Gaddafi schließt mit aller Gewalt im nördlichen Maghreb auch die Fluchtrouten der subsaharischen Migranten. Der Oberst lässt sich seine Rolle als Wächter vor der Wohlstandsinsel Europa mit finanziellen und technischen Gegenleistungen honorieren.
Auch einzelne der ca. 100 Gäste, die sich unter den u-förmig angeordneten offenen Zelten der AME einfinden, tragen das Logo der Fünfzigjahrfeier auf ihrer Kleidung. Zum Feiern aber sehen sie wenig Anlass. Aus den unterschiedlichsten zivilgesellschaftlichen Gruppierungen sind sie zu den Mobilisierungstagen gekommen, um den Blick in die Zukunft zu richten und zu fragen: „Wie sollen unsere nächsten fünfzig Jahre aussehen?“ Mali ist der drittgrößte Goldproduzent Afrikas und zugleich das viertärmste Land der Welt. Dass zwischen der Ausbeutung der malischen Ressourcen und der Migration innerhalb Afrikas oder ins europäische Aus- land ein Zusammenhang besteht, darin sind sich die Anwesenden einig.
Die Diskussionen geben Einblick in die verschiedenen Kämpfe rund um den Zugang zu den Bodenschätzen des Landes. Doch nicht allein die aktuellen Vertreibungen durch ausländische Multis führen in den ländlichen Gebieten zu massenhafter Perspektivlosigkeit. Bereits in den neunziger Jahren wurden die malischen Märkte durch die berüchtigten Strukturanpassungsprogramme der internationalen Finanzinstitutionen liberalisiert.
Die Privatisierung der Staatsbetriebe im Textilsektor führte zu einer Reihe von Entlassungen und Protesten, die in der Besetzung des Arbeitsamtes mündeten. Vertreter der Arbeiter der Baumwollöl-Fabrik HUICOMA berichten von der staatlichen Verfolgung, die ihnen widerfahren ist. -Aus den goldreichen Regionen Kayes und Sikasso kommen Gewerkschafter und Streikende. Auch Fassery Traoré ist aufgebracht. Er ist als Sprecher der Streikenden einer der größten Goldminen des Landes hierher gekommen.
Die Steuererleichterungen, die die malische Regierung den Minenunternehmen gewährt, sind für ihn ein Skandal: „Wie kann ein Staat seine Rohstoffe verschleudern? Wie kann ein Armer einen Reichen dermaßen begünstigen?“ Dass viele junge Malier eben jene rohstoffreichen Regionen verlassen, wundert ihn angesichts der schlechten Arbeitsbedingungen und der grassierenden Umweltzerstörung in den Minengebieten kaum.
Rechte für alle – hier wie dort
Der moderne Landraub vertreibt die lokalen Produzenten oder bietet ihnen bestenfalls eine Anstellung als Landarbeiter zu erniedrigenden Bedingungen. Die Entrechteten verlassen ein Land, dessen Rohstoffe von staatlichen Investoren und internationalen Multis geplündert werden und das seiner eigenen Bevölkerung kaum noch eine Zukunft bieten kann. Aber viele der neuen Migranten kehren zwangsweise zurück: Europa und reiche Länder wie Libyen haben zwar an Afrikas Ressourcen, nicht aber an seinen Menschen Interesse. Die Mobilisierungstage des medico-Partners AME verdeutlichten, dass der Zusammenhang von Migration und Entwicklung zum Gegenstand alternativer Entwürfe werden muss. Viele Anstrengungen sind nötig, um im eigenen Land eine Perspektive zu eröffnen. Zugleich gilt es, das Recht derer zu verteidigen, die ihr Glück woanders suchen. Die wirkliche Unabhängigkeit ist noch weit.
Projektstichwort
medico unterstützt nicht allein die Mobilisierungstage der Association Malienne des Expulsés (AME). Ihre Spenden ermöglichen auch, dass unser Partner weiter am Flughafen von Bamako präsent ist, um den aus Europa Abgeschobenen eine erste solidarische Hilfe zukommen zu lassen. Das Stichwort lautet: Migration.