Ostafrika und die Folgen der Dürre

Überblick über bisherige Hilfsmaßnahmen und Planungen von medico international

01.08.2012   Lesezeit: 5 min

Um zu Fuß von einem zum anderen Ende des völlig überfüllten Flüchtlingscamps zu gelangen, braucht man zwei Stunden. Rund 80.000 Menschen kämpfen alleine im Camp "Zona K" am Rand von Mogadischu ums tägliche Überleben. Viele sind 2011 während der schlimmsten Dürren seit 60 Jahren und der damit verbundenen Hungersnot hierher geflohen. Oder sie gehören zu den 50.000 Menschen, die bis vor Kurzem noch Zuflucht in meist zerstörten Regierungsgebäuden in Mogadischu suchten. Bis diese von der somalischen Armee und Polizei geräumt wurden, ohne dass den Flüchtlingen Alternativen angeboten worden wären. In den Flüchtlingslagern Somalias sind Malaria, Masern, Durchfallerkrankungen und Unterernährung weit verbreitet. Es fehlt an Latrinen, Wasser, Nahrungsmitteln und Unterkünften.

„Nahrung ist noch immer die höchste Priorität für die Flüchtlinge“, berichtet Amina Hajji Elmi von der medico-Partnerorganisation Save Somali Women and Children (SSWC). In den Flüchtlingslagern haben sich Komitees gebildet, die das Vertrauen der Flüchtlinge genießen. Diese gewählten Vertreter sind die direkten Ansprechpartner für SSWC. „Die Komitees wissen am besten, wer welche Hilfe braucht“, so Amina. „Wir arbeiten nicht nach dem Gießkannenprinzip.” Für Nahrungsmittel hat SSWC ein Gutschein-System eingeführt, um zu vermeiden, dass Hungernde leer ausgehen, während skrupellose Profiteure mit gespendetem Mais, Hülsenfrüchten, Speiseöl und Zucker auf den nächsten Markt ziehen, um ihn dort gewinnbringend zu verkaufen.

SSWC wurde 1994, in den tiefsten Wirren des somalischen Bürgerkriegs, gemeinsam von Frauen aus verschiedenen Clans gegründet. Mit fünf Büros in Somalia und 25 per-manenten Mitarbeiterinnen versorgt die somalische NGO derzeit Flüchtlinge in mehreren Camps in und um Mogadischu mit Nahrungsmitteln und Medikamenten. In speziel-len Schulungsprogrammen, unter anderem Kurse in Hauswirtschaft, werden Frauen in die Lage versetzt, für sich und ihre Kinder eine lebenswerte Zukunft zu erarbeiten.

Die größte Herausforderung sei die Sicherheitslage: „Wenn du morgens aus dem Haus gehst, weißt du nie, ob du abends noch mal zurückkehrst.” Trotzdem sind Amina und ihre Leute unermüdlich in Mogadischu unterwegs. Aber die lokale NGO kämpft einen einsamen Kampf.

Auch aus dem Westen Somalias haben sich internationale Helfer aufgrund der instabi-len Sicherheitslage und Entführungen weitgehend zurückzogen. Die kenianische Militäroffensive gegen die radikal-religiösen islamischen Al-Shabaab-Milizen im somalisch-kenianischen Grenzgebiet hat die humanitäre Situation eher verschlechtert. Gerade dort arbeitet die somalische medico-Partnerorganisation Nomadic Assistance for Peace and Development (NAPAD). NAPAD wurde 2006 von somalischen NGO- und UN-Mitarbeitern gegründet, um die Zivilgesellschaft zu stärken und der Emigration gut ausgebildeter Arbeitskräfte etwas entgegen zu setzen, den der jahrelange Krieg zur Fol-ge hatte. Sie wollen mit erfahrenen lokalen Experten, einen Beitrag zu Frieden und nachhaltiger Entwicklung in den Gemeinschaften leisten, aus denen sie selbst stammen. medico unterstützt NAPAD bei der Nahrungsmittelversorgung von Familien mit unter-ernährten Kindern auf beiden Seiten der Grenze.

Über die globale Vernetzung im People’s Health Movement (PHM) entwickelte sich au-ßerdem eine Nothilfe-Kooperation mit kenianischen medico-Partnern, die mit einem integrierten Nothilfekonzept die Verteilung von Gütern zur Linderung der akuten Not mit der Bekämpfung der strukturellen Ursachen der Hungerkrise verbinden. Dazu hatten sich verschiedene Organisationen und Aktivisten aus dem PHM Kenya zusammengefunden, um Ressourcen und Kompetenzen zu bündeln. Die medico-Partner halfen bewusst der einheimischen Bevölkerung im Osten Kenias, da die großen UN-Organisationen sich auf die großen Flüchtlingslager konzentrierten.

Im Distrikt Ijara, an der Grenze zu Somalia, ist das staatliche Gesundheitswesen in kleinster Weise ausreichend. Einige Gemeinden sind bis zu 240 Kilometer von der nächsten Gesundheitsstation entfernt. Bestehende Einrichtungen sind materiell wie personell äußerst schlecht ausgestattet. Die medico-Partner unterstützten deshalb eine Gesundheitseinrichtung im abgelegenen Dorf Kotile mit Hilfsgütern zur therapeutischen Ernährung akut unterernährter Kinder. 110 Familien mit unternährten Kindern, stillenden oder schwangeren Frauen erhielten über 4 Monate direkte Nahrungsmittel-hilfe. Zehn örtliche Gesundheitsarbeiter wurden fortgebildet und organisierten ergänzende Aufklärungsveranstaltungen in den umliegenden Siedlungen um die Verbreitung von Cholera und anderer Durchfallerkrankungen einzudämmen.

Trotz der unmittelbar, notwendigen Unterstützung staatlicher Gesundheitsstrukturen, wollen die PHM-Aktivisten diese jedoch nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. "Laut der neuen, kenianischen Verfassung hat jeder Bürger das Recht auf Gesundheitsversorgung, sauberes Wasser, Bildung, soziale Sicherheit und ein Leben frei von Hunger. Wenn unsere Politiker ihre verfassungsgemäßen Pflichten ernst nehmen würden, hätte kein Mensch in Kenia verhungern dürfen", kritisiert David Makori vom medico-Partner Kamukunji Paralegal Trust (KAPLET). Die KAPLET-Aktivisten reisten deshalb in Rahmen des Nothilfeprojekts von Dorf zu Dorf um die betroffenen Gemeinden über ihre Rechte und die sozialen Determinanten von Gesundheit zu informieren. Sie vermittelten den Interessierten auch Basiswissen über politische Advocacyarbeit, damit diese selbst lokale Graswurzelgruppen für das Recht auf Gesundheit und Nahrung ins Rollen bringen können. Zwei selbstorganisierte Demonstrationen in Masalani und der Distrikthauptstadt Garissa erreichten zumindest einen kleinen Erfolg. Die örtlichen Behörden gerieten unter Druck und ließen endlich eine wichtige Verbindungsstraße instand setzen. Die schlechte Infrastruktur in der vernachlässigten Region erschwert nicht nur Hilfsmaßnahmen, sondern verhindert auch, dass Kranke die Gesundheitseinrichtungen überhaupt erreichen können. "Keinem Menschen darf medizinische Behandlung verweigert werden", zitiert David wieder die Verfassung, "aber solange die Regierung den öffentlichen Gesundheitssektor ausbluten lässt, ist unser Recht auf Gesundheit in der Realität nichts wert. Wir haben also noch viel zu tun."

Als Mitgliedsorganisation des People's Health Movement setzt sich medico internatio-nal gemeinsam mit seinen Partnern in Ostafrika in dieser weltweiten Gesundheitsbewegung für das Menschenrecht auf Gesundheit ein. Dazu gehört auch die politische Auseinandersetzung mit der Frage, worin die Ursachen solcher Hungerkatastrophen liegen und wie sie beseitigt werden können. medico initiierte deshalb gemeinsam mit afrikanischen und europäischen Schriftstellern den Aufruf „Rechte statt Mitleid für Ostafrika", der ein solidarisches Handeln und strukturelle Veränderungen einfordert. Damit soll ein Ausgangspunkt für Debatten und politische Maßnahmen zur zukünftigen Verhinderung von Hunger gesetzt werden.

Planungen

medico wird die kenianischen Gesundheitsaktivisten in ihrer Auseinandersetzung um "Gesundheit für Alle!" und Ernährungssicherheit weiter unterstützen. Außerdem sind wir längerfristige Kooperationen mit den somalischen NGOs Save Somali Women and Children (SSWC) und Nomadic Assistance for Peace and Development (NAPAD) eingegangen. Für die weitere Projektplanung wird zzt. von NAPAD eine grenzübergreifende, detaillierte Situations- und Bedarfsanalyse in 20 Dörfern der Region Gedo (Somalia) und dem Distrikt Mandera (Nordost-Kenia) durchgeführt. medico plant die Unterstützung eines großen sektorübergreifenden Projektes zur Rehabilitierung und nachhaltigen Verbesserung der Lebensbedingungen. Dieses Großprojekt soll gemeinsam mit Terre des Hommes Deutschland gefördert werden. Das Budget beträgt voraussichtlich 1.000.000 Euro.


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