Fremd im eigenen Land
Sierra Leone: Abgeschobene kämpfen gegen Vorurteile
Sie fanden sich, weil sie sich wie Fremde fühlen: verloren im eigenen Land, aus dem sie aufgebrochen waren, um dem Grauen des Bürgerkriegs zu entkommen und wohin sie zurückkehren mussten. 40 Sierra Leoner, alles Abgeschobene aus Deutschland, gründeten im Jahr 2011 in Freetown die Selbsthilfegruppe NEAS (Network of Ex-Asylum Seekers Sierra Leone). Kaum einer kehrte freiwillig zurück, fast alle verloren in Deutschland Familien, Freunde und Kinder. Im neuen Sierra Leone waren sie mit Ablehnung und Missgunst konfrontiert: Warum sind sie so arm, wenn sie aus dem reichen Europa zurückkommen? Und überhaupt: warum abgeschoben? Unwissenheit nährt Vorurteile. Dagegen hilft Aufklärung. Ende 2012 trafen sich auf Initiative des medico-Partners NEAS zivilgesellschaftliche Gruppen mit Regierungsvertretern zum ersten „Forum on Migration and Human Rights“. Thema: Die Komplizenschaft der sierra-leonischen Konsulate in Europa bei „Rück-übernahmefällen“. Dazu werden Asylsuchende in Deutschland einer sierra-leonischen Regierungsdelegation vorgeführt, die die Staatsangehörigkeit prüft. Die Kosten dieser „Gegenüberstellungen“ übernimmt der deutsche Abschiebestaat. Entsprechend willfährig wurde „identifiziert“ - Krankheit oder Kinder zählten wenig. Hauptsache weg. Hierüber wird nun in Sierra Leone öffentlich geredet. Im Radio und in Zeitungen macht NEAS auf das Schicksal der Abgeschobenen aufmerksam und sorgt dafür, dass die Zwangsheimkehrer sich irgendwann auch wieder zu Hause fühlen können.
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Die Zukunft der Anderen
Afghanistan: Lokale Kultur der Versöhnung
Afghanistan ist das Kummerland aller Bundeswehrdemokraten. Erst wurde es erobert und wollte befreit werden von der Despotie der radikalreligiösen Taliban. Dann platzte der Traum einer Mission für Demokratie und Menschenrechte. Die Taliban blieben ein tückischer Gegner; die alten, auch in das Machtnetzwerk der Regierung Karzai eingebundenen, Warlords interessiert kein sozialer Friede. Keine Aufarbeitung der Alpträume des Bürgerkriegs, dazu Korruption, Drogen- und Waffenhandel. Nun der Abzug. 2014 ist Schluss. Niederlage. Aus einer neuen Bundeswehrrichtlinie sticht ein Satz heraus: „Das Engagement in fragilen Staaten ist mit Risiken verbunden. Rückschläge und Misserfolge sind daher von vornherein einzukalkulieren.“ Und was machen jene in Afghanistan, die nicht abziehen, weil sie von dort herkommen? Sie bleiben. Etwa der medico-Partner AHRDO (Afghanistan Human Rights and Democracy Organisation) in Kabul, ein Zeitzeugen-und Versöhnungsprojekt auf lokaler Ebene. AHRDO organisiert gezielt Begegnungen in den ländlichen Gebieten, fernab der klimatisierten Büros der internationalen Demokratieagenturen. Die Zielgruppe sind Kriegstraumatisierte, Frauen und junge Menschen. Die Methode ist eine spezielle therapeutische Form des Theaters: das Erlebte sich selbst im Spiel vergegenwärtigen, um es bearbeiten und aussprechen zu können. Es geht um Gerechtigkeit und Anerkennung sowie um Aussöhnung und Zukunft. Auch im nächsten Jahr, wenn der Rückzug beginnt.
Spendenstichwort: Afghanistan / Projektinfos: Afghanistan
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Duvalier vor Gericht
Haiti: medico-Partner vertritt Angehörige der Opfer
Nach dreimaliger Aufforderung ist der ehemalige haitianische Diktator Duvalier, Baby Doc genannt, wenigstens zur gerichtlichen Anhörung Ende Februar 2013 erschienen. Selbstsicher, arrogant und mit ergrautem Babyface fühlt sich der Mann, der vielfache Verbrechen gegen die Menschheit begangen hat, unangreifbar. Ohnehin wird das von ihm weitergeführte System des Mordens und Folterns nicht Gegenstand eines Prozesses. Die haitianische Justiz ist der Meinung, diese Verbrechen seien verjährt. Nicht verjährt seien hingegen Misswirtschaft und Korruption in seiner Regierungszeit. Deshalb wird er nun möglicherweise angeklagt. Das Nationale Netzwerk für Menschenrechte (RNDDH), das medico seit 2011 unterstützt, vertritt die Angehörigen und Opfer des politischen Terrors unter Duvalier. Mit immer neuen Dokumentationen über die Verbrechen des Regimes unter Vater und Sohn Duvalier beharren sie auf den Standards internationalen Rechts und der Nichtverjährung von Verbrechen gegen die Menschheit. Aber die Aussichten, dass Duvalier verurteilt wird, sind, so der Direktor des Netzwerks, Pierre Esperance, nicht gut. Im Interview mit medico international zog er eine bittere Bilanz: „Die Mächtigen stehen über dem Gesetz. So hat der Ex-Diktator Duvalier einen Diplomatenpass von der Regierung erhalten und kann sich der Strafe entziehen.“ Das gesamte Interview finden Sie unter www.medico.de/esperance