Ursachen der Ebola

Reichtum, Armut und ein Gesundheitssystem, das krank macht

15.10.2014   Lesezeit: 9 min

Die jahrzehntelange Vernachlässigung des Gesundheitssektors schaffte in Sierra Leone die Voraussetzungen für die Ausbreitung der Ebola

Von Anne Jung

Um sich vor Krankheitserregern zu schützen, sollte man sich mehrmals am Tag mit Wasser und Seife die Hände waschen. Im Zuge der Ebola-Epidemie wird diese Hygienemaßnahme auch den Menschen in Sierra Leone angetragen. Allein – wie sollen sie sie befolgen, wenn jeder Zweite im Land gar keinen Zugang zu sauberem Wasser hat? Wie mag es bei ihnen ankommen, wenn solche Empfehlungen von Experten ausgesprochen werden, die aus den gleichen Teilen der Welt stammen wie jene Konzerne, die beim Anbau von Zuckerrohr ihre Quellen zerstört und das Wasser beim Abbau des Minerals Rutil verseucht haben? Und wie sollen sie den örtlichen Behörden Vertrauen entgegenbringen, die sich auch in der Vergangenheit nicht um ihre Belange gekümmert haben und die momentan ganze Viertel oder Dörfer abriegeln, ohne die eingeschlossenen Menschen gleichzeitig mit Lebensmitteln zu versorgen? „Ebola ist mehr als eine Krankheit – es ist eine Frage der Menschenrechte“, sagt Josephine Koroma von der medico-Partnerorganisation Network Movement for Justice and Development (NMJD).

Sierra Leone hätte beste Voraussetzungen, ein wohlhabendes Land zu sein

Der westafrikanische Staat von der Größe Hessens verfügt über fruchtbare Böden und unter der Erde lagern viele begehrte Rohstoffe, neben Diamanten auch Bauxit, Rutil und Gold. Angesichts dieses Reichtums wäre es ein Leichtes, die sozialen Bedingungen für Gesundheit zu finanzieren und menschenwürdige Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu schaffen. Der Entwicklungsindex der Vereinten Nationen aber führt Sierra Leone auf einem der letzten Plätze. Mehr als zwei von drei Bewohnern leben unterhalb der Armutsgrenze. Diese traurigen Rekorde sind direkte Folge eines nie wirklich existenten, inzwischen aber völlig desolaten Gesundheitssystems. In weiten Teilen des Landes gibt es praktisch keine medizinische Versorgung. Medikamente sind ebenso Mangelware wie ausgebildete Ärzte. Im Schnitt muss sich ein Mediziner um 30.000 Patienten kümmern.

Seit vielen Jahren ist medico in Sierra Leone aktiv und unterstützt dort heute Partner wie das Network of Ex-Asylum Seekers Sierra Leone (NEAS) und das Network Movement for Justice and Development, einer Menschenrechtsorganisation, die sich vor allem für die Stärkung der politischen und sozialen Rechte der armen Bevölkerung in der Diamantenregion Kono einsetzt. Ich selbst habe bei jedem meiner Besuche zwischen 2003 und 2011 ein Land kennengelernt, das von einer endlosen Geschichte von Ausbeutung, Unterwerfung und Gewalt gebrandmarkt ist. Und zugleich sind wir dort Menschenrechtsaktivisten begegnet, die ihre Stimme erhoben haben und sich im Land wie international Gehör verschafft haben für ihre Anliegen.

Die ersten drei Jahrzehnte des unabhängigen Sweet Salone, wie das Land in einer Mischung aus Zuneigung und Ironie von seinen Einwohnern genannt wird, waren von Militärumstürzen, Korruption und Wahlbetrug gekennzeichnet. Die Folge war eine völlige Fragmentierung gesellschaftlicher Strukturen: eine hohe Arbeitslosigkeit, die dramatische Zunahme von Analphabetentum und politische Willkür schufen ein gesellschaftliches Klima, das den Ausbruch des Bürgerkrieges im Jahr 1991 begünstigte. In diesem kämpfte die Revolutionary United Front gegen die wechselnden Regierungen des immer instabiler werdenden Landes, beide Seiten finanzierten ihre Waffenkäufe durch Erlöse aus dem Diamantenhandel, ausländische Firmen waren die Hauptabnehmer der wertvollen Steine. Mindestens 75.000 Menschen der fünf Millionen zählenden Bevölkerung wurden während des elfjährigen Krieges getötet.

2002 wurde der Krieg von außen durch die UN befriedetet. An der Ausbeutung des Landes und der Menschen hat sich seitdem nichts grundlegend geändert – im Gegenteil. Internationale Konzerne exportieren weiterhin die wertvollen Bodenschätze. In den Verträgen, die Regierung und Unternehmen aushandeln, werden die Firmen von jedweder sozialen Verantwortung entbunden. Immer wieder kommt es in Folge des Rohstoffbaus zu Enteignungen und Vertreibungen. Zudem müssen die Unternehmen kaum Exportsteuern zahlen, womit die Regierung ihre Staatseinnahmen zugunsten kurzfristiger Gewinne verkleinert und es an finanziellen Mitteln für den Aufbau eines funktionierenden Gesundheitssystems fehlt.

Von all dem konnten wir uns bei unseren Reisen, zuletzt im Jahr 2014, ein Bild machen. Sie führten quer durch das Land, von der Hauptstadt Freetown über Makeni nach Sefadu in der Provinz Kono und zurück über die jetzt von Ebola besonders betroffene Region rund um Kenema zurück nach Freetown. Nur noch wenige Felder gehören den Menschen vor Ort, systematisches Landgrabbing erlaubt es ausländischen Regierungen über Jahrzehnte, Pflanzen für den Export anzubauen. Auf den Pisten rund um Makeni fährt man an endlosen Feldern vorbei, auf denen nicht etwa Getreide angebaut wird, sondern Zuckerrohr, aus dem Biosprit gewonnen wird. Nachdem viele Bauern enteignet worden sind und das Trinkwasser für die Bewässerung der Zuckerrohrplantagen benötigt wird, sind Wasser und Nahrungsmittel längst knapp geworden. Weiter in Richtung Osten, in Richtung Liberia, ein ähnliches Bild: In der Provinz Kono wird die Verwirklichung des Rechts auf Gesundheit infolge der Abbaubedingungen von Diamanten auf allen Ebenen torpediert. Die Regierung unter Ernest Koroma von der All People's Congress hat den gesellschaftlichen Reichtum zu günstigen Bedingungen an die internationale Industrie verscherbelt. Koroma hatte schon im Wahlkampf 2012 versprochen, das Land zu führen wie ein Business. Das setzt er nun um und darin ist Gesundheit als öffentliches Gut nicht vorgesehen.

„NMJD streitet für all jenes, das hätte helfen können, die rasante Verbreitung von Ebola zu verhindern“

Das Network Movement for Justice and Development hat schon damals den Aufbau von örtlichen Gesundheitsstationen gefordert, damit Kranke nicht die meist unbezahlbare und lange Reise in die Hauptstadt Freetown auf sich nehmen müssen, um einen Arzt zu konsultieren. „Indem sie den Menschen das Recht auf Bildung vorenthält, verhindert sie auch, dass Menschen für das Recht auf Gesundheit streiten. Sie will verhindern, eine Masse kritischer Menschen hervorzubringen und leider gelingt ihr das auch“ resümiert Joseph Pokawa von NMJD.

In einem Land, in dem es weder funktionierende Bildungs- und Gesundheitssysteme und in dem Armut derart ausgeprägt ist, fällt ein Ebola Ausbruch diesen Ausmaßes nicht vom Himmel. Und es ist auch kein Wunder, dass die Krankheit die schwachen Strukturen heillos überfordert. Es gibt keine Infrastruktur, keine Mittel, viel zu wenig Personal und viel zu viel Armut und Not, um die Verbreitung des Virus wirksam eindämmen zu können. Aktuelle rächt sich eine jahrzehntelange Politik, in der die elementarsten Bedürfnisse der Bevölkerung vernachlässigt wurden. Sie rächt sich aber nicht an jenen, die von den Herrschaftsverhältnissen profitieren oder an jenen, die die Erosion einer sozialen Infrastruktur durch Strukturanpassungen geplant, entschieden und exekutiert haben. Den tödlichen Preis haben die Ärmsten der Armen zu zahlen.

Vor diesem Hintergrund wird es nachvollziehbar, warum viele internationale und nationale Maßnahmen im Zuge der Ebola-Bekämpfung bei der lokalen Bevölkerung auf Skepsis, Misstrauen oder auch Ablehnung stoßen. Viel zu oft haben die Menschen die Erfahrung gemacht, dass ihre Bedürfnisse dem Ausland und den eigenen staatlichen Institutionen egal sind. Wieso etwa sollten die Menschen die Vorgaben für die Ebola-Prävention befolgen, wenn sie in Vierteln eingeschlossen werden, aber kaum eine Versorgung mit Wasser und Essen erfolgt? Der Staat wird in Sierra Leone seit Jahrzehnten als Produzent von Unsicherheit, Angst und Willkür wahrgenommen. „Wir haben allen Grund, dem System zu misstrauen, denn wir haben in der Vergangenheit schlechte, sehr schlechte Erfahrungen mit dem Staat gemacht“, so Josephine Koroma von Network Movement for Justice and Development vor ein paar Tagen am Telefon.

Angesichts dieser Bedingungen ist es von wesentlicher Bedeutung, dass Organisationen wie NMJD gestärkt werden, die das Vertrauen der Bevölkerung genießen. Das Netzwerk gehört zu den zentralen Akteuren der sierra-leonischen Zivilgesellschaft, die sich für strukturelle Veränderungen in Sierra Leone einsetzen. Schon inmitten des Bürgerkriegs begannen Abu Brima und seine Mitstreiter unter Lebensgefahr, einen gerechten Umgang mit den Rohstoffen des Landes einzufordern. Entschlossen und beharrlich streitet NMJD seit 1988 für gesellschaftliche Teilhabe und Menschenrechte. Sie kämpfen gegen Enteignungen und Zwangsmigration, sie fordern Reinvestitionen der Rohstofferlöse in Gesundheit und Bildung. Sie haben laienjuristische Beratungsstellen eingerichtet, die Menschen in der Wahrnehmung ihrer Rechte stärken und ihre Würde gegen die politische Willkür verteidigen. In einem Satz: NMJD streitet für all jenes, das hätte helfen können, die rasante Verbreitung von Ebola zu verhindern.

Überlebensperspektiven statt Ausgrenzung

Aufbauend auf in jahrelanger Basisarbeit geschaffenen Vertrauensverhältnissen versuchen sie die Menschen in abgelegenen Regionen und den Provinzstädten über Schutzmaßnahmen zu informieren.

Die Partner in Sierra Leone sind in der direkten Kommunikation mit ihren Gemeinden und den Menschen in ihrem Land aktiv, um deutlich zu machen, was Ebola ist, warum bestimmte Maßnahmen ergriffen werden, welche Maßnahmen zum eigenen Schutz sinnvoll sind und wie Menschen betreut werden können, die möglicherweise infiziert sind. Sie sehen ihre Aufgabe auch darin, über die Situation der betroffenen Gemeinden zu berichten und dies an politische Entscheidungsträger weiterzugeben. In Makeni, der Provinzhauptstadt im Norden des Landes steht das Alltagsleben seit Wochen still. Schulen und öffentliche Einrichtungen bleiben geschlossen.

Die von NMJD geschulten Teams gehen daher von Tür zu Tür, um über die Schutzmaßnahmen und den Umgang mit der Krankheit zu sprechen. Obwohl sie selber gefährdet sind und kaum Möglichkeiten haben, sich zu schützen. Ihre Arbeit wird jedoch mit jedem Tag, der vergeht, schwieriger. Die Regierung stellt Familien, in denen eine Person an Ebola erkrankt ist, für drei Wochen unter Quarantäne. „Das mag notwendig sein“, erläutert Joseph Pokawa von NMJD. „Aber der Skandal ist, dass die Menschen weiterhin völlig unzureichend mit Wasser und Essen versorgt werden. Sie haben große Ängste vor einer Erkrankung, die Regierung ergreift keine Maßnahmen für eine psychosoziale Betreuung.“

Nach drei Wochen sind die Menschen wütend und oft traumatisiert. Das führt dazu, dass immer mehr Menschen mit Abwehr auf die Aufklärungsteams reagieren. „Ich will nichts wissen, weil es mir sowieso nicht hilft“, ist vielerorts zu hören, erzählt Joseph. „Und leider steckt darin viel Wahrheit.“ Sich darin zu bewegen, neue Wege und Ansprachen zu finden, darin besteht der tägliche Kampf der Aktivisten vor Ort. Ihre Glaubwürdigkeit wahren sie, weil sie weitermachen und weil sie über die Epidemie hinaus denken und handeln. Das erfordert unsere Solidarität und Unterstützung.


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