„Wir klären über Fata Morganen auf und wie man Wasserquellen finden kann. Und wie man gemeinsam die Hoffnung bewahrt. Weil man ohne Hoffnung nicht überlebt.“ So beschreibt die Initiative Alarmphone Sahara ihre Arbeit. Angelehnt an die Notrufstruktur für das Mittelmeer „Alarmphone – Watch the Med“ hat sich ein transnationales Netzwerk aus afrikanischen und europäischen Aktivist*innen gegründet, um über die Gefahren und Überlebensmöglichkeiten in der Wüste aufzuklären und in Not geratenen Migrant*innen zu helfen. Ein weiterer Aspekt ihrer Arbeit ist es, die Situation der Migrant*innen und die Verletzung ihrer Menschenrechte auf dem Weg nach Europa zu dokumentieren und öffentlich zu machen.
Die Wüste als Friedhof
Weitgehend unbemerkt von der öffentlichen Wahrnehmung hat sich die Migrationsroute von Niger nach Algerien oder Libyen zu einer der gefährlichsten Passagen für Flüchtlinge und Migrant*innen auf dem Weg nach Europa entwickelt. Sie war lange Zeit eine der Hauptrouten für Migrant*innen aus West- und Zentralafrika. Nachdem die nigrische Regierung jedoch im Jahr 2015 auf europäischen Druck hin den Transport von Migrant*innen unter Strafe gestellt und entlang der bisherigen Routen Polizei und Militär postiert hat, sind die Migrant*innen gezwungen, gefährlichere Wege zu nehmen und mafiöse Strukturen für den Transport in Anspruch zu nehmen.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt, dass im Jahr 2017 mehr als doppelt so viele Migrant*innen bei dem Versuch die Wüste zu durchqueren gestorben sind als bei der Fahrt über das Mittelmeer nach Europa. Doch auf Grund des staatlichen Desinteresses und der äußerst schlechten Sicherheitslage weiß niemand, wie viele Menschen auf ihrem Weg durch die Sahara tatsächlich in Schwierigkeiten geraten, verschwinden oder den Tod finden. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.
Abschiebungen in die Wüste
Doch nicht nur der Weg Richtung Norden ist voller Gefahren, auch bei Abschiebungen in umgekehrter Richtung werden die Menschen lebensgefährlichen Situationen ausgesetzt. Die Grausamkeiten gegen Migrant*innen haben in den letzten Monaten noch einmal zugenommen. In einem 2019 zwischen der Europäischen Union und Algerien beschlossenen Abkommen verpflichtet sich die algerische Regierung im Gegenzug zu sicherheitspolitischer und militärischer Zusammenarbeit stärker gegen Migrant*innen vorzugehen, was u.a. zu vermehrten Abschiebungen von Migrant*innen nach Niger geführt hat. Derzeit führt Algerien fast wöchentlich illegale Pushbacks nach Niger durch. Die Menschen werden häufig einfach in der Wüste abgeladen, kilometerweit von der nächsten Siedlung entfernt. Das Alarmphone hat allein im Oktober 6707 Migrant*innen gezählt, die aus Algerien in die Wüste deportiert wurden, darunter auch Kinder, Alte und Schwangere. Diese Abschiebungen verletzen die grundlegenden Menschenrechte der Migrant*innen wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Gesundheit.
Gegen die Gleichgültigkeit
Mit einer Notfall-Telefonnummer und einem Netz von Freiwilligen an verschiedenen Orten hat das Alarmphone Sahara in den letzten Jahren eine Struktur aufgebaut, um die Situation entlang der Migrationsrouten zu beobachten und nach Möglichkeit Rettung für Menschen in Not zu organisieren. Dabei konzentrieren sie sich insbesondere auf die Region Agadez und das direkt an der Grenze zu Algerien liegende Assamaka, wo die meisten Migrant*innen auf dem Weg Richtung Norden oder auch nach einer Abschiebung durchkommen. Indem es derartige Praktiken dokumentiert und wo möglich Hilfe leistet, setzt das Alarmphone Sahara auch einen praktischen Gegenpunkt zu der repressiven Politik, die Migration auf Druck Europas kriminalisiert und zu einer zunehmend flüchtlingsfeindlichen Stimmung in der nigrischen Öffentlichkeit beigetragen hat.
Seit Jahren arbeitet Deutschland gemeinsam mit anderen europäischen Ländern daran, Flucht und Migration immer weiter von den europäischen Außengrenzen entfernt zu unterbinden und nimmt dabei den Tod von Tausenden afrikanischen Migrant*innen billigend in Kauf. Mit dem Alarmphone Sahara hat sich ein zivilgesellschaftliches Netzwerk gegründet, das diesem vermeidbaren Leiden und Sterben nicht länger zusehen will. Gemeinsam mit dem Netzwerk Afrique-Europe-Interact unterstützt medico die Initiative dabei, Migrant*innen in der Wüste zu retten und Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Helfen Sie uns dabei, diese Arbeit zu unterstützen!