Während der Krieg in Gaza ungebremst weitergeht und sich mittlerweile auf die gesamte Region ausgeweitet hat, führt das Geschehen in Nahost auch in Deutschland zu großen, teils dramatischen politischen Umwälzungen. Dazu zählen auch die Folgen einer obrigkeitsstaatlich durchgesetzten Staatsräson, die Kritik an der israelischen Kriegsführung und der nahezu bedingungslosen Unterstützung durch die Bundesregierung wahlweise mit Polizeigewalt oder inflationären Antisemitismus vorwürfen ins Abseits zu drängen versucht. Jüngster Ausdruck dieses Zeitgeistes ist die am 7. November vom Bundestag beschlossene Antisemitismusresolution, die die ehemalige Bundesministerin der Justiz, Herta Däubler-Gmelin, kürzlich auf dem medico-Blog so kritisierte: „In Deutschland eskalieren Debatten zum Nahostkonflikt oft in einseitige Schuldzuweisungen, die zu heftigen Vorwürfen führen … Wer in die Diskussion um Israels Selbstverteidigungsrecht und seine Verantwortung in der Kriegsführung Aspekte des Völkerrechts einbringt, wird ebenfalls oft fälschlich als Antisemit abgestempelt. Viele entscheiden sich dann, lieber zu schweigen oder sich anzupassen – eine fatale Haltung.“
medico versucht nicht erst seit dem Oktober 2023, dieser Einschränkung von politischen Räumen und demokratischen Rechten etwas entgegenzusetzen. Auf die Gefahr der politischen Instrumentalisierung des Antisemitismusbegriffs unter Rückgriff auf die umstrittene Arbeitsdefinition Antisemitismus der Internationalen Allianz für Holocaustgedenken (IHRA), hat ein von medico und der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Auftrag gegebenes Gutachten bereits 2019 hingewiesen. Die Texte, öffentlichen Veranstaltungen und politischen Gespräche, die über viele Jahre immer wieder auf die desaströse und auch schon vor dem 7. Oktober 2023 völlig unhaltbare Lage vor Ort aufmerksam gemacht haben, sind seit mehr als einem Jahr um zahlreiche Vorträge, entsprechende Medienarbeit und Diskussions- und Gesprächsrunden ergänzt worden.
Von Ulm bis Buxtehude, von Köln bis Frankfurt an der Oder hat medico in größeren und kleineren Veranstaltungen über die Lage in Palästina und Israel informiert. Über die Frage, inwiefern Deutschland sein Interesse an den besonderen Beziehungen zu Israel über geltendes Recht stellt, sprachen wir in Berlin mit Herta Däubler-Gmelin, dem Rechtswissenschaftler und Richter am Kosovo-Sondertribunal Kai Ambos sowie der Wissenschaftlerin Muriel Asseburg (siehe Bild). Diese und viele andere Interventionen trafen auf ein Publikum, das sich diskutierfreudig und dankbar zeigte für die Möglichkeit, jenseits der Denk- und Redeverbote einer dogmatischen Staatsräson über die Realität in Palästina, Israel und auch Deutschland zu sprechen.
medico wird sich auch weiter dafür einsetzen, einen kritischen Blick und Perspektiven von vor Ort in eine Debatte einzubringen, die hierzulande allzu oft faktenfern, polemisch und unlauter geführt wird.
Mitschnitte vergangener Veranstaltungen und andere Videos finden Sie auf dem medico-Youtube-Kanal.
Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 4/2024. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!