Streiterin für gleiche Rechte der Einwanderer

Sonia Pierre, Leiterin der dominikanischen Frauenorganisation MUDHA – Kollegin von medico international, gestorben

05.12.2011   Lesezeit: 3 min

Als wir Sonia Pierre wenige Wochen nach dem Erdbeben in Haiti im Februar 2010 in der dominikanischen Republik zum ersten Mal trafen, hatten wir den Eindruck, diese große, schöne, energiegeladene Frau könne Berge versetzen. Die hochhackigen Schuhe, das Kostüm, die ausladenden Gesten beim Sprechen, das Gerassel des großen Schmucks und ihr lautes Lachen signalisierten ihre imposante Persönlichkeit. Gerade war sie aus Haiti zurückgekehrt. Sie wartete auf den Anruf ihrer Tochter, die sie in diesen Tagen zur Großmutter machen sollte. Wer sie traf, bei dem hinterließ sie einen nachhaltigen Eindruck. Sie war eine Frau der Tat. Wenige Wochen nach dem Treffen in Santo Domingo hatten wir mit ihrer Organisation MUDHA ein Projekt vereinbart: den Bau eines Schulungszentrums für Frauen und eines Waisenhauses in Leogane, dem Epizentrum des haitianischen Erdbebens. Immer wieder trafen Kolleginnen sie in Haiti: Nach stundenlanger Fahrt stieg Sonia aus dem Auto perfekt gekleidet und sofort präsent.

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Sonias Geschichte ist die verkörperte Geschichte haitianischer Migration in die Dominikanische Republik. 1963 in einem Batey, einem Lager haitianischer Zuckerrohrarbeiter in der Dominikanischen Republik, geboren, wuchs sie als eines von 12 Geschwistern auf. Sie kannte die sklavenähnlichen Ausbeutungsverhältnisse, denen die haitianischen Arbeiterinnen und Arbeiter ausgesetzt waren und immer noch sind. Ihre billige Arbeitskraft garantierte die enormen Gewinne der Großplantagen-Besitzer und ist bis heute die Grundlage für passable Gewinnspannen in der Tourismusbranche. Brechts Frage „Wer baute das siebentorige Theben?“ beantwortet sich in dem Urlaubsparadies der globalen Mittelschichten – Es sind die haitianischen Bauarbeiter. Sonia organisierte bereits mit 13 Jahren den ersten Aufstand der haitianischen Zuckerrohrarbeiter. Ein Fanal, dass Menschenrechte für alle gelten. Hier wurde sie zum ersten Mal festgenommen und mit Ausweisung aus der Dominikanischen Republik bedroht. Seither setzte sich Sonia Pierre für die Rechte der in der Dominikanischen Republik geborenen Landarbeiter-Frauen und insbesondere der Kinder haitianischer Einwanderer ein, um ihnen die Staatsbürgerschaft und Bildung zu sichern. Sie erhielt dafür viele Preise. Darunter 2007 den Robert F. Kennedy Peis für Menschenrechte, der ihr von Hillary Clinton überreicht wurde. Stolz zeigte sie uns bei unserem Treffen das Foto von sich und Hillary. 2007 stellte man auch die Herzprobleme von Sonia fest. Sie wurde in Washington operiert.

Das Erdbeben in Haiti veränderte die persönliche und politische Situation für Sonia Pierre und ihre Mitstreiterinnen in der Dominikanischen Republik fundamental. Die Frage, wie ein menschenrechtlicher und emanzipatorischer Einsatz nicht nur für die Familien haitianischen Ursprungs in der Dominikanischen Republik, sondern auch für die Menschen in Haiti aussehen könnte, erforderte einen großen emotionalen und körperlichen Einsatz. Es schien auch ein Moment der haitianisch – dominikanischen Solidarität zu entstehen, der das Verhältnis neu buchstabieren könnte. Diesen Moment wollte Sonia nicht ungenutzt verstreichen lassen. Sie hat alles getan, was in ihrer Kraft stand, die Idee der Solidarität zwischen beiden Völkern zu stärken.

Sonia war herzkrank. Ob das ihre Feinde wussten, sei dahin gestellt. Aber in den letzten Monaten haben sich die Anfeindungen gegen sie in ihrer Heimat, der Dominikanischen Republik, bis zu ernstzunehmenden Morddrohungen gesteigert. Einen Schutz durch die dominikanische Polizei lehnte sie ab. Sie seien für ihren latenten Rassismus gegen haitianische Einwanderer berüchtigt. Auch die politische Situation für Einwanderer haitianischer Herkunft und ihrer in der Dominikanischen Republik geborenen Kinder hatte sich nach der anfänglichen Solidarität mit Haiti verschlechtert. Ihre Bürgerrechte wurden beschnitten und das Ius solis (Geburtsortsprinzip), das in lateinamerikanischen Ländern traditionell ist, aufgeweicht, um haitianischen Einwanderern die Rechte zu beschneiden und ihnen sogar bereits verliehene Staatsbürgerschaften abzuerkennen. Ein Präzedenzfall in der lateinamerikanischen Rechtsgeschichte. (siehe Artikel "Rassistische Angriffe gegen medico-Partnerin"). In dieser Auseinandersetzung war Sonia Pierre die Vorkämpferin für die Rechte der haitianischen Einwanderinnen und Einwanderer. Man beschimpfte sie als „antidominikanisch“. Darauf hatte sie eine klare Antwort: „Ich kritisiere nicht mein Land – und dies ist mein Land. Ich kritisiere meine Regierung.“ Sonia starb im Alter von nur 48 Jahren am Sonntag, den 4. Dezember 2011. Sie wird fehlen.


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