Syrien

Trotz allem

11.04.2017   Lesezeit: 3 min

Zwischen allen Fronten setzen medico-Partner im Großraum Damaskus ihre Arbeit fort.

Von Anita Starosta

Der Fall Aleppos hat Syrien aus den Nachrichten verschwinden lassen. Die Kriegsführung der Assad-Regierung und seiner Verbündeten, unter Umgehung jedes Völkerrechts mit allen Mitteln die Zivilbevölkerung anzugreifen, setzt sich allerdings fort und ist zur Normalität geworden. So sind die nordöstlichen Vororte von Damaskus, Ost-Ghouta, seit 2012 abgeschnitten von der Gesundheits-, Strom-, Wasser- und Nahrungsmittelversorgung.

Über Tunnelsysteme halten die etwa 350.000 noch hier lebenden Menschen Verbindungen nach außen. Wie in anderen belagerten Gebieten werden zivile Einrichtungen systematisch bombardiert, Schulen und Krankenhäuser zerstört. Erst kürzlich kappte die syrische Armee die Verbindung eines Haupttunnels von Erbin nach Qaboun/Damaskus, um die Versorgungskette zu unterbrechen.

Seit einigen Tagen gibt es heftige Kämpfe zwischen Milizen aus Ost-Ghouta und der syrischen Armee sowie ihrer Verbündeter um die östlichen Stadtviertel Qaboun und Jobar. Das öffentliche Leben ist zum ersten Mal seit Beginn des Krieges in ganz Damaskus zum Stillstand gekommen. Die Armee patrouilliert in den Straßen, Geschäfte haben geschlossen, täglich kommt es zu zahlreichen Luftangriffen der syrischen und russischen Luftwaffe im östlichen Stadtgebiet. Unter diesen Bedingungen organisieren unsere Partner vor Ort den zivilen Alltag. Dabei stoßen sie auch auf den Widerstand von erstarkenden radikalislamistischen Gruppen.
 

Hilfe zum Überleben

Im Jarmuk-Camp lebten einst über 200.000 palästinensisch-syrische Flüchtlinge. Dann kam der Krieg. Heute harren noch etwa 10.000 Menschen in den Ruinen ihres früheren Lebens aus, zumeist Alte, Frauen und Kinder, die nicht fliehen konnten.

Seit 2013 ist der Stadtteil im Süden von Damaskus durch die syrische Armee belagert, seit 2015 werden große Teile vom IS kontrolliert. Innerhalb des Camps kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen radikal-islamistischen Gruppen. Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen haben schon lange keinen Zugang mehr. Allein die syrisch-palästinensische Jafra Foundation leistet mit Nahrungsmittel-Nothilfe eine minimale Grundversorgung. Auch in den benachbarten Gebieten stärkt der medico-Partner die aktive Zivilgesellschaft.
 

Emanzipation kann nicht warten

Douma ist die Größte der belagerten Städte im Nordosten von Damaskus, konservativ und geprägt von religiösen Gruppen. Viele Frauen können nicht allein das Haus verlassen. Das Frauenzentrum „Nisaa Al-Ghouta“, das medico zusammen mit Adopt a Revolution unterstützt, ist einer der raren Orte, an denen sie sich ungestört austauschen und vernetzen können.

Rechtsberatung und Weiterbildungen helfen den Frauen. Da ihre Männer inhaftiert oder getötet worden sind, müssen viele ihre Familien alleine versorgen. Die Belagerung und der Alltag des Krieges hinterlassen Spuren. In psychosozialen Beratungen versuchen die Aktivistinnen des Zentrums das aufzufangen. Im „Nisaa Al-Ghouta“ schaffen es die Frauen, dem Alltag der Belagerung eine zivile Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse entgegenzusetzen.
 

Schule unter der Erde

In Erbin, der zweitgrößten Stadt Ost-Ghoutas, hat ein Zivilkomitee sechs säkulare Schulen in Kellerräumen aufgebaut. Während sie rechnen oder schreiben lernen und in Englisch oder Erdkunde unterrichtet werden, können über 2.000 Mädchen und Jungen den Alltag des Krieges hinter sich lassen. Der säkulare Ansatz des Komitees steht auch im Widerspruch zu den religiösen Gruppen, die Bildung und Hilfe für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchen.

Anfang März 2017 wurde Abdulsattar Sharaf, Projektleiter der freien Schulen, Opfer eines Attentats durch die islamistische Jabath Fath Al-Sham (früher Jabhat Al-Nusra). Er überlebte nur mit großem Glück. Die Förderung des Schulprojektes garantiert einen Mindestlohn für die Lehrkräfte und ermöglicht es dem Komitee, Unterrichtsmaterial und Brennstoff für Ventilatoren zu besorgen, sodass die Kinder der Kellerklassen Luft zum Atmen haben.
 

Die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit und Würde angesichts permanenter Belagerung, Gewalt und Mangel nicht aufzugeben, eint die medico-Partner in Syrien. Humanitäre Nothilfe und ziviles Engagement bedeuten im Alltag des Krieges oft reine Hilfe zum Überleben. Gleichzeitig zielen unsere Partner auf demokratische Selbstbestimmung und gesellschaftliche Veränderung, eine Antwort auf das andauernde Drama in Syrien.

Spendenstichwort: Syrien


Dieser Artikel erschien zuerst im medico-Rundschreiben 1/2017. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. <link material rundschreiben rundschreiben-bestellen>Jetzt abonnieren!


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