Guatemala

Unwürdig

02.04.2019   Lesezeit: 4 min

Bis heute hat der Staat die im Sepur Zarco-Urteil fixierten Wiedergutmachungsleistungen nicht umgesetzt. Das frustriert die Klägerinnen.

Sepur Zarco heißt der Jahrhundertprozess aus der Perspektive der indigenen Frauen in Guatemala. Ende Februar 2016 wurden zwei ehemalige Militärs zu hohen Haftstrafen wegen sexuellen Missbrauchs der 15 klagenden Frauen, ihrer Versklavung und der Ermordung ihrer Männer verurteilt. Ein Urteil mit Strahlkraft für die gesamte Region. Doch bis heute hat der guatemaltekische Staat die im Urteil fixierten Wiedergutmachungsleistungen nicht umgesetzt. Das hat viel mit der politischen Konjunktur und dem Einfluss der Militärs zu tun. Für Demesia Yat de Xol und die „Abuelas de Spur Zarco“ eine frustrierende Erfahrung.

Knut Henkel: Frau Yat, rund drei Jahre sind seit dem historischen Urteil gegen Oberst Esteelmer, Francisco Reyes Girón und Heriberto Valdez Asij vergangen. Was hat sich für Sie mit dem bahnbrechenden Urteil und dem Prozess geändert?

Demesia Yat de Xol: Unsere Situation in der Gemeinde hat sich verändert. Wir werden respektiert, nicht mehr diskriminiert. Dafür ist das Urteil, was uns im vollen Umfang Recht gibt, entscheidend.

Hat das Urteil zu mehr Einigkeit in der Gemeinde von Sepur Zarco gesorgt?

Ja, und zu Veränderungen, die im Urteil fixiert sind. Wir haben als eine Wiedergutmachungsleistung den Ausbau der Schulen am Ort eingefordert und die hat stattgefunden. Die Schulsituation hat sich verbessert und das ist wichtig für unsere Enkel. Zudem haben wir eine mobile Krankenstation erhalten – das ist für uns ein Schritt hin zu einer besseren Gesundheitsversorgung und dem Krankenhaus, das wir eingefordert haben und das im Urteil enthalten ist. Doch wir warten immer noch auf die Umsetzung der wichtigsten Maßnahmen, die im Urteil fixiert sind

Welche sind das?

Für uns ist die Übergabe des Landstückes, wo sich das Militärlager „Sepur Zarco“ befand und wo wir missbraucht und gequält worden sind, entscheidend. Dieses Stück Land soll uns der Staat überantworten, so steht es im Urteil (welches den Staat zu Wiedergutmachungsleistungen verpflichtet). Der zweite Punkt ist der Bau eines Ortes der Erinnerung auf dem Grundstück und von Häusern für uns Klägerinnen. Das sind die beiden für uns wichtigsten Punkte. Wir vierzehn Frauen, die den Prozess erlebt haben (mit Magdalena Pop ist eine der Klägerinnen vor Prozessbeginn verstorben) wollen dort gemeinsam unsere letzten Tage verbringen.

Allerdings macht der guatemaltekische Staat kaum Anstalten das Urteil umzusetzen, oder?

Ja, das ist richtig. Obwohl der Staat verantwortlich ist für das, was uns passiert ist. Aber wir lassen nicht locker, treffen uns regelmäßig mit unseren Anwälten und wenn diese Regierung nicht aktiv wird, muss die nächste das Urteil umsetzen.

Wie war Ihre Situation vor dem Prozess und wie ist sie heute – was hat sich verändert?

Mit der Klage ist die Angst gewichen. Wir hatten zuvor immer Furcht sie könnten gegen uns vorgehen, uns umbringen, wenn wir unsere Rechte einfordern. Es gab Drohungen, deshalb haben wir den Mund gehalten, den Fall nicht publik gemacht. Das hat sich mit der Klage geändert und heute sitzen die beiden wichtigsten Verantwortlichen im Gefängnis.

Das ist befriedigend und die Erfahrung, dass wir Frauen geeint in der Lage sind, unser Recht durchzusetzen, ist sehr wichtig. Das hat Signalcharakter für Guatemala. Schließlich wollen wir, dass unsere Enkel nicht etwas Ähnliches erleiden müssen wie wir.

Wie denken Sie heute über die Justiz in Guatemala?

Was wir erreicht haben ist nicht für uns, sondern für alle Frauen in Guatemala und darüber hinaus. Wir haben während des Prozesses begriffen, dass es überall auf der Welt Frauen gibt, die vergewaltigt wurden, so wie wir. Wir sind nicht allein, aber wir müssen das Schweigen durchbrechen. Das haben wir geschafft und das ist ein Signal für die nachwachsenden Generationen: tretet für Eure Rechte ein, leidet nicht im Stillen. Wir waren in Kolumbien, waren in Venezuela und haben unsere Geschichte erzählt, unseren Kampf publik gemacht, damit sich so etwas nicht wiederholt.

Wie denken Sie über die Richterin Yassmín Barrios, die das Urteil gesprochen hat?

Sie hat uns ernst genommen, uns geglaubt und ein Urteil gefällt, das nicht nur für uns sehr wichtig ist. Sie verdient all meinen Respekt. Trotz des positiven Urteiles wird uns bis heute unser Recht vorenthalten. Immer wieder gibt es Personalwechsel, die es uns und unseren Anwälten schwer machen das Urteil durchzusetzen. Das ist ein Kampf, mit dem wir nicht gerechnet haben. Wir wissen nicht, weshalb die Regierung so mit uns um geht und uns unser Recht vorenthält. Das ist unwürdig.

Interview: Knut Henkel


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