Veränderung von außen/Veränderung von innen?

Weltprojekt Afghanistan

01.11.2002   Lesezeit: 8 min

Wer oder was plant Afghanistan? Sind dies äußere Kräfte, ausschließlich, oder innere – und welche? Wer öffnet dem Land endlich ein Fenster zu der Welt? Zwei unserer afghanischen Partner mit Planungsvorstellungen schreiben uns ihre Einsichten. Beide unter Pseudonym, der Drohungen wegen, die an sie und ihre Familien ergingen.

Afghanistan, das ist das Signum eines Weltschicksals im Zeichen fremder Invasoren aller nur erdenklichen Herkunft, betroffen durch abhängige Regimes aller Art. Dabei haben wir einige ausdrückliche politische Traditionen: einmal unsere Volksversammlung, die stets am besten nur die ausschließlich nichtpolitischen Dispute an der Basis zu lösen imstande war. Schließlich die Zaunkönig-Regimes, in deren Brennpunkt nie Af­ghanistan stand. Ein Blick nur ins 19. Jahrhundert erläutert unsere charakteristische Situation: das Regime Shah Shuja, ausgehalten von britischen Truppen, das unser Land von 1803 – 1809 und danach wieder von 1839 – 1842 regierte. Die Afghanen, unwillig gegenüber einem puppet-Regime, entledigten sich des Shah Shuja auf robuste Weise. Später, ich denke an das kürzliche Sowjet Regime, wurde unsere Widerstandsentschlossenheit gegenüber Besatzern weltweit legendär.

Nun präsentiert sich unser Führer Karzai als neuer Herr über massenhafte politische Gefangene – in stetiger Angst vor einem Staatsstreich. Hier die wachsende Zahl der politischen Häftlinge, da die Unterdrückung der Pressefreiheit: so sieht es aus, wenn gesagt wird, Karzai sei auf dem richtigen Weg in Richtung Demokratie. Karzais Pressekonferenzen, besonders die in englischer Sprache, klingen so, als rede Karzai ausschließlich die Rhetorik von George Bush. Der Ton, den er findet, liegt jenseits unserer Sprache, die er vermeidet. Was unseren Präsidenten sonst noch hervorhebt, ist seine bekannte gute persönliche Beziehung zur internationalen Ölindustrie. Was die Afghanen aber benötigen, daß ist eine zuverlässige politische Führung, die durch uns legitimiert wird, nicht durch Dollars und amerikanische Bomben. Konträr zu Karzais besten West-Verbindungen stellen wir Afghanen zunehmend die amerikanische Offerte für den Wiederaufbau in Frage. Hilfe zu Aufbau und Rehabilitation kommt zu spät, zu langsam allein schon in Anbetracht einer Naturkatastrophe nach der anderen, die uns erschüttern. Sima Samar, hat völlig zu recht sich öffentlich beklagt, daß die für die Arbeit des Frau­enministeriums zugesagten West-Hilfen nicht eingetroffen sind, sodaß man bar aller Mittel sei. »Frauenrechte«, das ist wohl eher ein schönes Wort für Reklame, passend für die eigene westliche politische Agenda. Erschütternd ist vor allem, daß von Anfang an nicht viel getan wurde, um transparente politische Institutionen aufzubauen und daß es keine geregelte und rationalen Mechanismen gibt, die zur Kooperation mit der Internationalen Gemeinschaft nützlich sein könnten, damit verhindert wird, daß Hilfsgelder in die Hände der systematischen Korruption fallen. Auch die Stäbe der Vereinten Nationen in Afghanistan befinden sich in problematischem Zustand: meist verstrickt in personelle Konflikte und beschäftigt mit unüberschaubar differenten Entwicklungsphilosophien, die sie mit ihren staatlichen Partnern austragen. Während gleichzeitig ernsthafte lokale afghanische NGOs aus solchen Konsultationen ausgeschlossen bleiben, und dies von allem Anfang an: während aber sehr wohl von vornherein die Macht wieder in die Hände mancher warlords zurückdelegiert wurde.

Noch komplizierter wurde der Prozeß der Bildung unserer neuen Nation dadurch, daß verschiedenste Teilfraktionen in unserem Land ihren Einfluß ausbildeten, um sich günstige Positionen und eigene Startchancen in der Loya Jirga (Volksversammlung) zu reservieren – in einer traditionellen Einrichtung, die unter den neuen Einflüssen immer weniger geeignet erscheint, eine anerkannte nationale Führung aus sich heraus zu bestimmen. Die Frage, die zu stellen ist, lautet: Was ist demokratische Regierung, was kann sie sein, und wie lauten die zu setzenden Prioritäten? Nicht nur bei uns wurden und werden in der Geschichte Mythen zur Bildung und Stimulierung eines nationalen Bewußtseins eingesetzt. Karzai meinte darauf verzichten zu können, indem er sich einseitig nur auf den Mythos des ermordeten Kriegsherrn Massud festlegte. Daraus wurde abträglicherweise, daß ein toter warlord mehr Reputation genießt als Karzai selber. Kürzlich kam ein afghanischer Hilfsmitarbeiter zurück aus Kabul, wo er sich über die herrschenden politischen Umstände informiert hatte: erkannt hatte er die wachsende Desillusionierung und Demotivierung innerhalb der gesamten Karzai Regierung. Das steht nun konträr zur anfänglichen hellen Begeisterung vieler Afghanen, die heute erleben müssen, daß die erwarteten und benötigten qualifizierten Hilfskräfte größten Gefahren ausgesetzt sind. Mordanschläge gegen Minister sind an der Tagesordnung und Konflikte innerhalb der Administration nicht anders. Eine wirkliche Sicherheit gibt es nicht, nur die Gewissheit, daß der Krieg, daß Kampf sofort wieder ausbrechen würden, wenn die internationalen Friedensicherheitskräfte morgen das Land verließen. Das Morgen ist dabei nicht allein erschreckend: viel größer und elementarer ist die Furcht der Afghanen davor, daß alle diese westlichen Stäbe und Einrichtungen in ein paar Jahren restlos das Land verlassen, weil anderswo auf der Welt andere Konflikt nach ihnen rufen. Zudem leidet die Bildung benötigter neuer Institutionen immer mehr darunter, daß es statt ihrer um den Einfluß politischer Persönlichkeiten geht – ich denke an den König – dann wird Afghanistan mit Sicherheit dauerhaft destabilisiert bleiben. Niemand weiß, ob Pakistan wirklich stabil bleiben wird, zerfällt aber Pakistan, dann ist jederzeit mit der Wiederaufnahme und Fortsetzung von al-Qaeda Operationen zu rechnen. Sicherheit, Stabilität für Afghanistan, das sind deshalb unverzichtbare Voraussetzungen, weil Afghanistan den potentiellen Hauptunruhefaktor in der Region abgibt, mit allen nur denkbaren Konsequenzen für die Ausbeutung der Naturgas und Ölvorkommen in Central Asien, worauf sich doch zur Zeit die westlichen Fördergesellschaften und die US-Regierung so außerodentlich unter großem finanziellen Aufwand konzentrieren.

Eine Voraussage gilt sicher und kann heute bereits erklärt werden: Die Afghanen werden bald müde sein in Ansehung politischer Verlogenheit und Uneffizienz von der Seite der »Legitimen Nationalen Regierung«. Es muß mehr geben, als nur symbolische Zeichen und Gesten. Entweder ein Ende in Frieden, oder – und das ist viel wahrscheinlicher – ein neuer Krieg wird ausbrechen. Man erinnert sich zwangsläufig an die 80er Jahre, an die sowjetische Besatzung, die überall im Lande stand – umgeben und bekämpft vom Widerstand der Guerilla aus den Bergen.

Karzai täte gut daran, sich an das Schicksal der Shah Shuja Regierung zu erinnern, die seiner eigenen tribalen Linie entstammte. Er hat vielleicht noch die Chance, uns allen Frieden zu bringen, wir hoffen das – wenn er das wirklich will, dann sollte er unsere eigenen inneren afghanischen und unsere guten islamischen Prinzipien anwenden, und nicht nur die Rolle eines Präsidentendarstellers der Amerikaner spielen.

Ahmad Sayed, Aktivist in der afghanischen Friedensarbeit

Spoojhmai, Schriftsteller mit langjähriger sozialer Erfahrung in der afghanischen Diaspora in den USA.

Beide sind enge Partner von medico international in Afghanistan.


Beispiel I: OMAR – Minenräumer als Exportschlager

Mit afghanischen Organisationen arbeitet medico seit der Gründung der Internationalen Kampagne zum Verbot der Landminen zusammen, für die wir 1997 gemeinsam den Friedensnobelpreis erhielten. Unser Partner OMAR (Organisation for Mineclearance and Afghan Rehabilitation) hat fast 500 Mitarbeiter und ist seit vielen Jahren auf dem Gebiet des humanitären Minenräumens tätig. OMAR und seine Mitarbeiter sind bei der Bevölkerung hoch angesehen, weil sie ihre Arbeit auch unter den widrigsten Umständen fortgesetzt haben. Sie sind gefragte Experten auch in anderen Ländern. Die kleinen Teams aus Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen sind in vielen Teilen Afghanistan unterwegs, um Minen zu räumen und über die Minengefahr und Verhaltensregeln bei einem Minenunfall aufzuklären. Darüber hinaus betreiben sie mehrere kleine Polikliniken. Unsere Partner haben alle Kenntnisse, die sie brauchen. Aber sie haben kein Geld. Daher kümmern wir uns um die notwendigen finanziellen Mittel. Denn noch immer liegen sieben bis zehn Millionen Minen in Afghanistan, deren Beseitigung noch Jahrzehnte brauchen wird. Minen- und Blindgängerräumung sowie Gefahrenaufklärung werden daher Kernausgaben der Organisation bleiben. OMAR beschäftigt auch Frauen in der Minenaufklärung. Keine Selbstverständlichkeit im zutiefst patriarchialen Afghanistan. medico finanziert jetzt auch ihre Ausbildung zu Minenräumerinnen.

Beispiel II: ABRAAR – auf dem Fahrrad zurück ins Leben

»Hunderttausende Beinamputierte leben in Afghanistan und haben keine Chance auf einen Job und ein selbstbestimmtes Leben. Denn sie können sich nicht fortbewegen. Damit sie nicht verzweifeln oder Drogen nehmen, habe ich beschlossen ihnen das Fahrradfahren beizubringen und ihnen ein neues Lebensgefühl der Selbstständigkeit zu vermitteln.« Das sagt Dr. Abdul Baseer, Leiter der Afghan Amputee Bicyclists for Rehabilitation and Recreation (AABRAR), des zweiten medico-Partners in Afghanistan. Dr. Baseers Mitarbeiter haben in den vergangenen Jahren 2.000 zumeist minenversehrte Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen das Fahrradfahren beigebracht. Mit den Fahrrädern sind die Versehrten nicht nur mobiler, sie können damit auch Geld verdienen – als Kuriere und Scherenschleifer. Manch einer von ihnen hat schon an internationalen Wettkämpfen der Fahrradkuriere teilgenommen und Nichtbehinderte am Ende hinter sich gelassen. Die Rehabilitation der Kriegs- und Minenversehrten ist für den Wiederaufbau einer zivilen Gesellschaft von herausragender Bedeutung. In dem Maß, wie ihre psychischen und physische Rehabilitation gelingt, ist auch das Gemeinwesen wieder auf dem Weg zu einer sozial intakten Gemeinschaft.

Beispiel III: KABURA – Erziehungswesen

Kurse für Mädchen. Demokratieförderung. Winterschulprogamm. Kulturzeitschrift.

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