Mali ist durch seine geographische Lage ein Drehkreuz abgeschobener Migranten in Westafrika geworden. Die malische Selbsthilfeorganisation der Ausgewiesenen (Association Malienne des Expulsés – AME) ist nicht nur am Flughafen Bamako und in der Wüstenstadt Kidal präsent, sondern versucht auch mit Veranstaltungen und Demonstrationen öffentlich Gehör zu finden. Im Mai 2008 wurde Ousmane Diarra, der Präsident des medico-Partners, zu einer Anhörung in das malische Parlament eingeladen. Wir dokumentieren Auszüge seiner Rede:
Meine Herren Abgeordneten, sehr geehrte Vertreter des malischen Volkes, wir malischen Migranten machen uns seit jeher auf die Suche nach einer Verbesserung unseres Lebens. Auf diesem Weg und während des Aufenthaltes in anderen Ländern begegnen wir unzähligen Schwierigkeiten. Wir werden registriert, gehetzt, wie Tiere hinter Zäune gesperrt und schließlich, ohne Begleitmaßnahmen oder störende Beachtung unserer Menschenrechte, abgeschoben. Die Kontrollpraktiken, die gegen uns angewandt werden, verstoßen gegen alle international geltenden Konventionen und Rechtsnormen.
Mit der Ankunft in unserem Heimatland und nach der Registrierung durch die Grenzpolizei, werden wir vollkommen auf uns selbst zurückgeworfen. Nach den vielen Jahren, die wir an anderen Orten verbrachten, lässt man die Abgeschobenen völlig allein. Die Mehrheit von uns musste Frauen, Kinder und materielles Eigentum zurücklassen. Die Not ist Bestandteil unseres Lebens geworden. Wir finden uns in Mali wieder und denken an unser Leben, dass anderswo zertrümmert wurde.
Wie leben, wenn man einen Teil seiner selbst anderswo zurückgelassen hat und nun, ohne Hilfe und Begleitung, von vorne beginnen muss? Einige von uns wurden ausgewiesen, während sie in medizinischer Behandlung waren. Diese Leistungen wurden meist vom Staat bezahlt, denn selbst als „Papierlose“ haben wir z.B. in Frankreich Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bezahlt. Unter den Ausgewiesenen sind Verwundete, physisch und seelisch beeinträchtigt durch Schläge und rassistische Beleidigungen. Ihre Arme, Knöchel und Körper wurden gefesselt, das benutzte Klebeband war oft so angebracht, dass die Abgeschobenen Verstauchungen, Brüche von Armen und Füßen und Gehirnerschütterungen davontrugen. Nach den Qualen der Zwangsrückkehr findet sich der Abgeschobene mit seinen Alltagsproblemen konfrontiert. Wohin soll er gehen? Wie sich wieder mit der Familie vereinen? Wie seine Güter, seine soziale Stellung und Arbeit nach so vielen Jahren der Abwesenheit zurückgewinnen? Wo findet er Beratung oder kann eine unterbrochene Behandlung fortsetzen?
Angesichts dieser Fragen hat die AME mit kärglichen Mitteln und großen Ambitionen einen Ort der Sensibilisierung im öffentlichen Raum geschaffen. Wir veranstalten Konferenzen und organisieren öffentliche Zwischenrufe gegenüber Politikern, die das Erlangen von Visa erschweren, die Grenzen verbarrikadieren und so die „illegalen Einwanderer“ und andere „Papierlose“ erst schaffen: Menschen, die sich keines anderen Verbrechens schuldig gemacht haben, als den Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte für sich zu beanspruchen: Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.
Am Flughafen von Bamako haben wir eine Auffangstation eingerichtet. Jeden Abend empfangen wir die Abgeschobenen, die sich noch nicht einmal die Fahrt in die Stadt leisten können. Jene, die keine Familie in Bamako haben, finden bei uns für zwei bis drei Tage Obdach. Von Juli 2007 bis April 2008 haben wir so über 100 Ausgewiesene betreut. Mit der Hilfe von Partnerorganisationen wie La Cimade in Frankreich und medico international konnten wir Räumlichkeiten erwerben und die medizinische und rechtliche Begleitung der Abgeschobenen sicherstellen. Zusätzlich erhielten unsere Vertreter eine Einführung in das europäische Wohnsitz- und Aufenthaltsrecht. Unsere begrenzten Mittel aber reichen längst nicht aus, allen wirklich helfen zu können.
Die Landflucht, gefolgt von der Emigration, hat viele unserer jungen Brüder und Schwestern auf die Wüstenstraßen geführt, um dann ihr Glück bei einer Überfahrt über das Mittelmeer zu versuchen. Es sind Wege, die diejenigen beschreiten, die keine Visa in den Botschaften in Bamako erhalten. Wenn sie nicht im Meer ertrunken sind, kommen diese Migranten, nachdem sie lange Haft, Schikanen, Schläge und Hunger erlitten haben, als Abgeschobene zurück. Sie werden von Grenze zu Grenze geschoben, nur um schließlich im Norden Malis ausgesetzt zu werden. Alleingelassen, leben sie während des Abenteuers in der Wildnis wie in der Hölle. Die AME hat daher in Kidal einen Außenposten eingerichtet, um die Abgeschobenen betreuen zu können. Wir registrieren die Unglücklichen beim städtischen Kommissariat, wir beherbergen und versorgen sie und wir versuchen, behördliche Passierscheine für die Rückkehr zu ihren Familien zu bekommen. Innerhalb der vergangenen 12 Monate konnten wir so über 500 Personen helfen. 326 von ihnen waren Malier, die anderen kamen aus West-und Zentralafrika.
Meine Herren Abgeordneten, durch meine Stimme bittet Sie die malische Ausgewiesenenvereinigung folgenden Forderungen aufmerksam Gehör zu schenken: Die AME sagt NEIN zu Ausweisungen und Abschiebungen. Wir fordern die Rückerstattung von gezahlten Sozialabgaben und Steuern an abgeschobene Personen, die Veröffentlichung der bereits unterzeichneten bilateralen Rückführungsabkommen und einen Solidaritätsfonds für die Ärmsten, um ihnen ein Leben oder eine Rückkehr in ihre Heimatregion in Würde zu ermöglichen.
Projektstichwort
Migration ist ein Indikator für die soziale Ungleichheit der Globalisierung. Die Migration ist ein Phänomen, auf das zahlreiche medico-Partner in allen Regionen in ihrer sozialmedizinischen und menschenrechtlichen Arbeit stoßen.
In Mali versorgt die Selbsthilfeorganisation der Ausgewiesenen AME die Abgeschobenen des europäischen Migrationsregimes.
In Mauretanien, einem zentralen Transitland für afrikanische Migranten südlich der Sahara, finanzieren wir der Vereinigung für Menschenrechte (AMDH) dringend benötigte Computer und Fotoapparate.
Die sahrauischen Flüchtlinge, die selbst von jahrzehntelangem Exil betroffenen sind, versorgen immer wieder Migranten, die auf ihrem Weg nach Europa von der marokkanischen Besatzungsmacht in der Wüste ausgesetzt werden.
In Südafrika steht die Selbsthilfeorganisation der Apartheid-Opfer, die Khulumani Support Group, den von rassistischer Verfolgung bedrohten und verletzten Arbeitsmigranten aus Simbabwe und anderen afrikanischen Anrainerstaaten bei.
Im Nordirak leisten die Kurdish Health Foundation und das kurdische Frauenzentrum Khanzad Nothilfe für arabische Kriegsflüchtlinge aus dem Zentralirak, die im kurdischen Suleymania Schutz suchen.
In El Salvador hilft PODES, die Prothesenwerkstatt des Verbandes der Kriegsopfer, auch jenen „illegalen“ Arbeitsmigranten mit Prothesen, die auf ihrem Weg in die USA Unfälle erleiden und dabei Gliedmaßen verlieren.
Unser Spendenstichwort lautet: Migration.