Vielleicht hätte man ihn früher als Faktotum bezeichnet. Dies nicht im abfälligen Sinn des Wortes, sondern in seiner unverbrüchlichen Bedeutung: als jemand, der immer da ist, wo Hilfe notwendig ist, dabei aber kein Aufhebens um sich macht. Dieter Müller hat diese Bescheidenheit auch politisch verstanden und vielerorts auf säkulare Weise das befreiungstheologische Leben an der Seite der Ärmsten und Ausgeschlossenen praktiziert.
Keine Sorge: Dies ist kein Nachruf. Dieter erfreut sich bester Gesundheit und lebt als Repräsentant der Rosa-Luxemburg-Stiftung derzeit in Mexiko. Bis 2022 war er von Januar 1989 an über 30 Jahre bei medico international in verschiedenen Funktionen tätig. Da darf man schon einmal leicht wehmütig schreiben. In unserem Telefonat zwischen Mexiko und Frankfurt fasst er seine medico-Erfahrung so zusammen: „Es war ein Privileg, politische Arbeit zu machen und zugleich über wachsende Geldmittel für konkrete Arbeit mit Partnerinnen und Partnern zu verfügen. Ein Spagat zwischen NGO-Arbeit und radikaler Politik.“
Die medico-Stationen von Dieter Müller, der sieben Sprachen spricht, führten ihn um die Welt. Er kam aus der Guatemala-Solidaritätsbewegung und damit aus der deutschen Mittelamerika-Solidarität. In den 1980er-Jahren demonstrierte sie, entsandte Brigaden oder Ärzte in die Guerilla-Kämpfe. Als Dieter 1989 bei medico anfing, hatte die Bewegung ihren Höhepunkt überschritten. Sie professionalisierte sich in NGOs und Städtepartnerschaften. Wie viel andere wollte auch Dieter sein Engagement in einer Entwicklungsorganisation bewahren. Er kam zu medico. Zu Beginn arbeitete er von Frankfurt aus für Projekte in Nicaragua, Guatemala, El Salvador und Mexiko. 1990 wurden die Sandinisten in Nicaragua abgewählt. Damit wurde das Land, in dem medico bis dahin „Befreiungshilfe“ unterstützte, vor allen Dingen ein Lernfeld für die Dialektik aus Befreiung und Unterdrückung. Dieter führte früh Debatten, welchen Anteil auch die Projektionen linker Solidaritätsbewegungen an dieser Niederlage hatten. Gleichzeitig verwechselte er Solidarität mit Partner:innen und engagierten Aktivist:innen nicht mit Kritiklosigkeit. Die Idee einer kritischen Solidarität, also einer immerzu reflektierten Auseinandersetzung um eigene Perspektiven und Projektionen sowie der kritischen Kontextualisierung von Positionen der medico-Partner:innen, ist wesentlich von ihm geprägt worden.
Später war Dieter Leiter der Projektabteilung von medico. Er entwickelte und begleitete große Projekte, etwa zur Integration ehemaliger Kindersoldaten in Mosambik . Fünf Jahre lang leitete er das Mittelamerika-Büro von medico in Nicaragua, zwischenzeitlich auch das Büro in Ramallah, bevor er mitten in der globalen Covid-Krise für das Thema globale Gesundheit zuständig war. Dass das medico-Team die große politische und praktische Erfahrung von Dieter Müller vermisst, steht außer Zweifel. Dass er in seiner zweiten politischen und sprachlichen Heimat, in Lateinamerika, arbeiten kann, ist hingegen eine Freude.
Katja Maurer