Zahnheilkunst

Die Dentalstationen in Guatemala sind Teil eines dörflichen Wiederaufbauprogramms

01.11.2008   Lesezeit: 4 min

Die Dentalstationen in Guatemala sind Teil eines dörflichen Wiederaufbauprogramms

Zum Einweihungsfest der Dentalstation in der Gemeinde »Primavera« kommt Besuch aus der Hauptstadt. Elizabeth Ibarra, Gesundheitsspezialistin der guatemaltekischen Organisation zur Förderung des Gemeinwesens ACCSS, bringt eine Gauklergruppe mit, die auf hohen Stelzen und in bunten Kostümen eine Riesen-Attraktion darstellt. Mitten in der guatemaltekischen Provinz, zwei Autostunden auf einer schlechten Schotterpiste von der nächsten Kleinstadt Playa Grande entfernt, tanzen die schweren Jungs – das waren sie jedenfalls in ihrem früheren Leben – zur Unterhaltung der Dorfbevölkerung. Warum dieser große Aufwand für ein Betonhäuschen von der Größe eines deutschen Mittelschicht-Kinderzimmers?

Die Bewohnerinnen und Bewohner von Primavera feiern eine Art Wiederauferstehung. Sie lebten einst in einem der 400 Dörfer im guatemaltekischen Quiché und Petén, die von der Militärdiktatur in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zerstört wurden. Diesen Vernichtungsfeldzug gegen die indigenen Kulturen Guatemalas hat der deutsche Völkerrechtler Tomuschat in seinem Untersuchungsbericht für die Vereinten Nationen später als genozidale Aktion bezeichnet. Nun, 12 Jahre nach Ende dieses grausamen Krieges, erstehen die Dörfer und ihre Kulturen wieder neu. Primavera und die Dentalstation sind ein Symbol dafür. Soviel zum Grund fürs Feiern.

Armut erkennt man am Lachen

Die Dentalstationen in Primavera und in 10 weiteren Gemeinden sind Teil eines umfassenden Programms zur Zahngesundheit, das medico aus Eigenmitteln und mit Zuschüssen der Europäischen Union seit 2002 fördert und das im Jahr 2003 in sein entscheidendes Stadium getreten ist. Das Programm soll den Menschen in den ländlichen Regionen Guatemalas einen angemessenen Zugang zu zahngesundheitlicher Versorgung schaffen. Denn gerade die ist hier faktisch nicht verfügbar: Nur der privat zu zahlende Zahnarzt kann Abhilfe schaffen, das aber zu einem hohen Preis und unter häufig unwürdigen Bedingungen. Geht eine Indígena zu einem »weißen« Arzt, schlägt ihr meist unverhohlener Rassismus entgegen. Schnell werden die Zähne gezogen und das wars. Dass in Guatemala vor allen Dingen ausgegrenzte und unterprivilegierte Menschen mit 30 Jahren kaum noch Zähne besitzen, ist deshalb keine Seltenheit. So erkennt man die Armut meist schon am Lachen.

Ausbildung zum Dentalkünstler

Hier sollen nun die Dentalstationen und die Ausbildung von Teams Abhilfe schaffen, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Dentalpromotoren sowohl Zahnbehandlungen als auch Prävention und Prothetik durchführen. Betreut wird das Projekt von dem langjährigen medico-Partner ACCSS. Seit dem Ende des guatemaltekischen Bürgerkriegs unterstützt er die Gemeinden beim Wiederaufbau. Alle Orte, die Teil des Dentalprogramms sind, teilen das Schicksal von »Primavera«. Im Zuge des Vernichtungsfeldzuges der guatemaltekischen Armee mussten die Bewohnerinnen und Bewohner der Dörfer fliehen, überlebten in sogenannten geheimen Dörfern oder gingen in die Flüchtlingslager nach Mexiko. Mit dem Ende des Bürgerkrieges geht es nun darum, nach den Jahren der Flucht wieder eine Sozialstruktur aufzubauen, die den Menschen das Überleben sichert, ein Dach über dem Kopf gewährt, aber auch die Sicherheit von funktionierenden sozialen Beziehungen. Die Entwicklung des Dentaldienstes ist eminenter Bestandteil dieses Gemeinwesenprogramms. In einem Dreiecksvertrag zwischen ACCSS, den Promotoren-Teams und der jeweiligen Gemeinde werden alle Maßnahmen zum Bau der Stationen und zur Ausbildung der Zahnpromotoren festgeschrieben. Die Gemeinde wählt die Promotoren aus, beteiligt sich in Eigenleistung an dem Bau der Häuser und stellt das Bauland zur Verfügung. Die Zahnpromotorinnen und -promotoren erhalten eine Ausbildung in Anatomie, Zahnerhalt, Kariesbeseitigung, Einsetzen von Füllungen, Prävention, aber auch in Lagerhaltung und Buchführung. Die Promotoren verwalten die Dentalstationen selbst und behalten einen Teil des kleinen Patienten-Honorars als Aufwandsentschädigung für ihre Arbeitszeit und um die laufenden Kosten zu refinanzieren.

Die Ausbildung bringt einen wichtigen Qualifizierungszugewinn und öffnet neue Horizonte. Denn jetzt arbeiten Bauern indigener Herkunft selbst als Dentalpromotoren – in einem Gebiet, in dem sonst nur Ärzte tätig sind, die die Zahnheilkunst mit einem großen Mythos versehen. Und mit Stolz können sie festhalten, dass französische Spezialisten ihnen schriftlich bestätigt haben, hochqualifizierte Arbeit zu leisten. Für die Gemeinden bedeuten die Dentalstationen eine Inwertsetzung besonderer Art: Nach den Jahren des Leids und der Verfolgung drückt sich darin der Wiederaufbau menschenwürdiger Lebensverhältnisse aus. Bei der Einweihung in Primavera fällt deshalb immer wieder der Satz: »Somos personas – Auch wir sind Menschen.«


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