Bilanz einer Tagung - Das People's Health Movement in Frankfurt

18.08.2006   Lesezeit: 6 min

Anfang Februar traf sich auf Einladung von medico der Leitungsausschuss des People's Health Movement in Frankfurt. Im Gespräch mit medico zieht Claudio Schuftan Bilanz.

Claudio Schuftan:

Wir sind eine starke globale Bewegung. Und damit das so bleibt, lassen wir das internationale Sekretariat rotieren. In Frankfurt klärten wir unseren künftigen Sitz, etwas, was eigentlich schon während der People's Health Assembly in Cuenca im Juni letzten Jahres hätte geschehen sollen. Unsere Freunde aus Ägypten werden das Sekretariat übernehmen und sich die Aufgaben mit den Kollegen aus dem Libanon und Palästina teilen. Getragen wird das Sekretariat von der ägyptischen Nichtregierungsorganisation AHED, der Medical Relief Society aus Palästina und dem libanesischen Arab Resource Collective. Alle drei sind lange im People's Health Movement aktiv. Neben dem Sekretariat wird es künftig kontinentale oder regionale Komitees geben, die eine neue zentrale Koordination bestimmen werden. Bislang sind wir in Europa, Nordamerika, Mittelamerika mit Mexiko, Südamerika, Südasien und Indien präsent.

Wenn man auf die letzten sechs Jahre zurückblickt: Was sind Stärken und Schwächen des PHM?

Das PHM zu gründen war das Werk einiger weniger Träumer. Damals, mit der ersten People's Health Assembly 2000 in Bangladesh, wollten wir eigentlich nur alle an einen Tisch bringen. Dass es ein solcher Erfolg wurde, konnte niemand ahnen. Im Nachhinein betrachtet war es schade, dass wir die damalige Aufbruchsstimmung nicht richtig zu nutzen verstanden. Uns fehlte eine klare Agenda, mit der das Netzwerk überall hätte aktiv werden können. Entscheidend aber war die Verabschiedung der "Gesundheitscharta". Sie ist mittlerweile in 43 Sprachen übersetzt und wird an vielen Universitäten gelehrt. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nimmt mittlerweile das People's Health Movement ernst. Zur positiven Bilanz gehört auch die Ausbildung unseres Nachwuchses in der International People's Health University, die zum ersten Mal in Cuenca stattfand.

Und die Schwächen?

Es sind die typischen Probleme von Netzwerk-Prozessen. Auch wir haben die Schwierigkeit, die Anfangseuphorie in eine kontinuierliche Arbeit zu überführen. Dafür braucht es ein Mindestmaß an interner Struktur, die repräsentativ und demokratisch sein muss. Große Versammlungen, wie die in Cuenca, bilden fraglos wichtige Informations- und Diskussionsforen, sind aber nur begrenzt imstande, tragfähige Vorschläge für die Weiterarbeit zu entwickeln.

Die Gründungsmitglieder des PHM kommen aus der Gesundheitsbewegung der Jahre 1970-80. Sind heute Initiativen mit einem anderen Hintergrund dabei?

Es stimmt, nicht alle betrachten Gesundheit im ausdrücklich sozialen Kontext, wie es die acht Gründungsorganisationen des PHM tun. Aber viele, die den sozialmedizinischen Ansatz für veraltet hielten, stellen nun fest, dass gesundheitliche Verbesserungen ohne Überwindung der strukturellen Probleme nicht gelingen. Insofern wird die Koalition derer, die ein politisches Gesundheitsverständnis haben, größer. Natürlich liegt das auch an dem immer geringer werdenden Handlungsspielraum in Folge fortschreitender Privatisierung.

Viele radikale Medizinstudenten von damals sind heute etablierte Ärzte. Sind auch sie mögliche Koalitionspartner?

Ich fürchte, viele von ihnen sind verloren. Sie haben ihren Idealismus gegen allzu verlockende Verdienstmöglichkeiten eingetauscht.

Nicht wenige dürften nach wie vor Ideale haben, sind aber Opfer einer Vorstellung, die glaubt Krankheiten auf technische Weise bekämpfen zu können. Dahinter steckt eine Gesundheitsidee, in der Leid und Tod als Bestandteile menschlichen Lebens nicht mehr existiert. Den Erwartungen, die daraus resultieren, können Ärzte immer nur hinterherlaufen. Und es macht sie abhängig von den Angeboten der Gesundheitsindustrie, die sich diese Wünsche gezielt zunutze macht. Wie ist kritisches Bewusstsein unter Ärzten zu fördern?

Die Ausbildung an der People's Health University versucht genau solche Ideen zu vermitteln, und inzwischen machen ganze Ärzteverbände beim PHM mit. Auf den Philippinen und in Lateinamerika ist das kontextorientierte, sozialmedizinische Gesundheitsverständnis sehr weit verbreitet. Meistens handelt es sich dabei um Ärzte, die wenigstens mit einer halben Stelle im öffentlichen Gesundheitswesen tätig sind. Die nur privat tätigen Ärzte sind für solche Ideen kaum noch offen.

Bedarf es einer stärkeren Politisierung der Professionellen im Gesundheitswesen?

Die Veränderungen im Gesundheitsbereich treffen längst nicht mehr nur die armen Länder. Auch das britische Gesundheitswesen, das in meiner Studienzeit noch Modellcharakter für ein dem Allgemeinwohl verpflichtetes Gesundheitssystem hatte, ist nicht mehr das, was es war. Überall sind die negativen Effekte der Privatisierung spürbar. In den armen Ländern aber sind sie dramatisch. Wurden hier früher wenigstens noch öffentliche Vorsorgeprogramme von internationalen Gebern finanziert, so finanziert man heute die Ministerien - und zwar mit Auflagen, die in Richtung Privatisierung gehen. Daran kranken auch die internationalen AIDS-Programme, weil die Gesundheitssysteme der Länder inzwischen so ausgezehrt sind, dass solche Therapien nicht mehr in erforderlicher Weise begleitet werden können.

Der globale Aids-Fonds behauptet, dass er in seinen Programmen das Gesundheitssystem mitfinanziert.

Das sind Ankündigungen, keine Taten. Aus Sicht des PHM gehen alle gesundheitsbezogenen Public Private Partnerships (PPP) in die falsche Richtung. Die WHO und die Gesundheitsministerien in den Ländern werden gezielt übergangen, stattdessen gibt es interventionistische Programme von außen. Das gilt auch für das US-AIDS-Programm PEPFAR (President's Emergency Plan for AIDS Relief), denn unter dem ideologischen Verdikt des US-Präsidenten bindet es die Mittelvergabe an Appelle zur Enthaltsamkeit und zum Verzicht auf Kondome.

Welche Handlungsmöglichkeiten besitzt das PHM dagegen?

Wir müssen mehr Druck auf die politischen Entscheidungsträger ausüben. Zur Unterstützung der von Kenia in die WHO eingebrachten Resolution für einen Perspektivenwechsel in der Medikamentenforschung und -entwicklung haben wir beispielsweise an alle Regierungen im WHO-Vorstand Briefe geschrieben. Diesen Druck müssen wir verstärken.

Da haben es die Anhänger von vertikalen Ein-Punkte-Programmen einfacher: Soundsoviele tausend AIDS-Kranke werden mit Medikamenten versorgt und schon gilt ihr Ansatz als nutzbringend. Was sind die Erfolgskriterien des PHM?

Wenn das Gesundheitswesen an der Basis und nicht in der Vertikalen entwickelt ist. Wenn, um beim AIDS-Beispiel zu bleiben, Gemeinde-Organisationen so gestärkt sind, dass sie selbst Präventionsprogramme betreiben und AIDS-Patienten betreuen können. Für diese Basisprogramme aber gibt es kaum Geld. Stattdessen werden von oben Medikamente verteilt, was die Gemeinden außen vor lässt und wenig nachhaltig ist. Es mag sein, dass solche Programme medial gut zu nutzen sind, aber sie wiederholen nur bekannte Fehler. Auch Nahrungsmittellieferungen in die Hungerregionen verkaufen sich gut, obwohl man weiß, dass solche Hilfen häufig das Gegenteil dessen bewirken, was sie beabsichtigen. Die spätere Evaluierung zeigt oft, dass die Logistik zwar prima funktionierte, die Ernährungslage der Kinder aber nach wie vor schlecht ist.

Welche Zukunftspläne habt ihr?

Wir planen eine Kampagne für das Recht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Idee kommt aus Indien, wo eine ähnliche Kampagne höchst erfolgreich läuft. Mit Unterstützung der indischen Menschenrechtskommission wurden Distrikt für Distrikt die Fälle von Zugangsverweigerung dokumentiert und öffentlich gemacht. Das erregte ein solches Aufsehen, dass sich in manchen Bundesstaaten Kommissionen gründeten, die jetzt unter Beteiligung von Basisgesundheitsorganisationen konkrete Pläne für einen verbesserten Zugang zum Gesundheitssystem erarbeiten.

Diese Idee wollen wir globalisieren. Wir planen Untersuchungen in ausgewählten Ländern, wo und wie das Menschenrecht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung verletzt wird. Diese Berichte sollen dann zum Ausgangspunkt öffentlicher Debatten mit den Verantwortlichen werden. Grundlage ist der UN-Sozialpakt, der von nahezu allen Staaten unterzeichnet wurde. Dort, wo das Menschenrecht auf Gesundheit verletzt wird, gilt es die Verursacher zur Rechenschaft zu ziehen.

Das Gespräch führte Katja Maurer

Claudio Schuftan ist Kinderarzt und stammt aus Chile. Nach dem Putsch lehrte er zunächst an Universitäten in den USA und war dann viele Jahre vorwiegend in Afrika als Gesundheitsberater tätig. Heute lebt er in Vietnam.


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