Niger

Blockierte Routen, knappe Ressourcen

22.11.2018   Lesezeit: 4 min

Um das Sterben in der Wüste zu verhindern, bauen medico-Partner eine Rettungsstruktur auf. Ein Interview mit Ibrahim Manzo Diallo.

Im letzten rundschreiben haben wir berichtet, dass einige deiner AEC-Kollegen von den Behörden daran gehindert wurden, auf einer Konferenz in Agadez über die Rolle der ausländischen Militärbasen zu sprechen. Ist das symptomatisch für die aktuelle Lage der Meinungsfreiheit im Niger?

Generell ist die Meinungs- und Organisationsfreiheit stark bedroht. Die Regierung sieht Aktive wie uns als Feinde an, weil wir Korruption, schlechte Regierungsführung und die Militarisierung der Region kritisieren. Vier Mitglieder von AEC waren in diesem Jahr im Gefängnis, einer sitzt immer noch. Wir werden auch deshalb verfolgt, weil wir den Protest gegen die Privatisierung von Kommunikationsdienstleistungen und Steuergeschenke organisieren, die dafür sorgen, dass die Armen noch mehr zur Kasse gebeten werden, während die Reichen keine Steuern zahlen müssen. Aber nicht nur wir sind betroffen, zwanzig weitere Aktivistinnen und Aktivisten sind inhaftiert und brauchen unsere Unterstützung.

Die EU und insbesondere Deutschland üben starken Druck auf Niger aus, Migration in Richtung Norden zu unterbinden. Welche Auswirkungen hat diese Politik in der Wüstenstadt Agadez, bekannt als Knotenpunkt vieler Migrationsrouten?

Agadez ist praktisch die neue EU-Außengrenze. Die Vielzahl der Militärbasen in der Region ist ein Ausdruck davon. Amerikaner und Franzosen sind schon länger hier, jetzt wollen auch die Italiener dafür sorgen, dass die Migration Richtung Europa aufgehalten wird. Andere widmen sich vorrangig dem War-on-terror, der aber immer wieder mit Mobilitätsfragen vermischt wird. Über das Sterben in der Wüste soll nicht gesprochen werden. Niemand weiß genau, wie viele Migrantinnen und Migranten dort ihr Leben verlieren. Gesetzesänderungen zur Einschränkung der Freizügigkeit und dem Transport von Migrantinnen und Migranten, die vor allem auf Druck der EU zustande kamen, haben gravierende Folgen. Der Transport von Personen Richtung Agadez ist praktisch verboten und Leute werden systematisch von der Polizei aufgehalten und abgewiesen. Viele wählen daher längere und gefährlichere Routen. Oder sie reisen nicht mehr in Großgruppen, die einen gewissen Schutz gewährleisten. Haben sie dann eine Autopanne, sind sie dem Tod geweiht. Hinzu kommt, dass viele Autos von Transporteuren konfisziert worden sind und Menschen damit die Existenzgrundlage genommen wurde.

Die Politik der „Hotspots“ bewirkt, dass viele Menschen in Agadez stranden. Wie ist die Stimmung gegenüber den Migrantinnen und Migranten?

Momentan sitzen alleine über 2.000 Sudanesinnen und Sudanesen dort fest. Ein Problem ist, dass für manche Geflüchtete zwar Unterkünfte breitgestellt werden, aber keine weiteren Mittel. Aus der Not heraus prostituieren sich Frauen, was viele Menschen hier nicht nachvollziehen können. Konflikte in Agadez könnten sich verschärfen, wenn die Ressourcen knapp werden. Schon jetzt gibt es enorme Wasser- und Versorgungsprobleme.

Wie genau funktioniert das „Alarme Phone Sahara“?

Man kann es als Frühwarnsystem verstehen. Genauso wie das Sterben im Mittelmeer sichtbar gemacht worden ist, wollen wir die prekäre Lage der Migrantinnen und Migranten in der Wüste sichtbar machen. Wir sammeln Informationen an den gängigen Routen und dokumentieren die Situation mit Fotos und Zahlen. Dafür haben wir zwanzig „Warnerinnen“ und „Warner“ ausgebildet, die um Agadez herum Informationen sammeln. Auf einer Facebook-Seite tragen wir die Daten zusammen. Mittlerweile ist unser Büro in Agadez bekannt und die Leute haben unsere Telefonnummer. Bislang haben wir aber keine eigenen Kapazitäten, um betroffene Menschen zu retten. Wir müssen die lokalen Behörden anrufen. Diese informieren dann die Internationale Organisation für Migration (IOM), die aber nicht nach unseren Vorstellungen und auch nicht im Sinne der Migrantinnen und Migranten handelt.

Was würdet ihr anders machen?

Die IOM schickt die Menschen in der Regel zurück in ihre Herkunftsländer – ob sie wollen oder nicht. Es ist deprimierend zu sehen, wie die IOM dann Fotos von Geretteten zu Werbezwecken nutzt. Die Menschen werden sich von dem Versuch, die Wüste zu durchqueren, aber nicht abhalten lassen. Sie haben eine Vision von einer besseren Zukunft. Deshalb wäre es gut, wir könnten sie über eine Beratungsstelle noch besser über die Routen und die Gefahren informieren. Viele sind nicht ausreichend vorbereitet, manche geraten an Fahrer, die sie entführen und erpressen. Wenn wir Autos hätten, würden wir selbst retten und es den Leuten überlassen, wohin sie danach gehen.

Das Interview führten Ramona Lenz und Sowmya Maheswaran.
 

Die Arbeit von Alternative Espaces Citoyens, die mit Unterstützung von medico und Afrique Europe Interact eine Anlaufstelle in Agadez eröffnet haben, verteidigt die Rechte der Migrierenden und kritisiert die Kriminalisierung von Flucht und Migration – damit gerät die NGO selbst zunehmend in den Fokus der Sicherheitsbehörden. Nichtsdestotrotz: Momentan wird die Anschaffung eines Fahrzeuges für Rettungseinsätze von AEC geprüft.

Spendenstichwort: Flucht und Migration

Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 4/2018. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!


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