Selten war ich so erleichtert darüber, meine Planung über den Haufen werfen zu müssen. Der Plan für heute war eigentlich, mittags aufzubrechen, mir in Jerusalem noch einen Schlafsack zu kaufen und dann einen israelischen Aktivisten aufzunehmen, der mit mir im Auto nach Susya fahren wollte, um dort über Nacht die Schutzpräsenz gegen die angekündigten Abrisse durch die Besatzungsbehörden zu unterstützen.
Der Aufschub kann als kleiner Etappensieg gewertet werden, der zeigt, dass entsprechend klare Botschaften an die israelische Regierung, wie sie aus dem US-amerikanischen Außenministerium und dem Rat der Europäischen Union kamen, in Kombination mit den zivilgesellschaftlichen Stimmen des Protests etwas bewirken können.
Dennoch ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Konflikt zwischen den Besatzungsbehörden und dem Dorf Susya, das stellvertretend für so viele andere Orte und Menschen auf der Westbank steht, nächste Woche gelöst wird. Die Zusicherung der Ziviladministration verschafft den Menschen im Dorf und ihren Unterstützer_innen lediglich eine Atempause.
Die EU hat sich klar geäußert, dass es gegenüber der palästinensischen Bevölkerung einen Politikwechsel geben müsse, solange die Besatzung anhält. Sie "ruft Israel dazu auf, beschleunigte palästinensische Baumaßnahmen und die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in den C-Gebieten zu ermöglichen." Dem steht die Politik des israelischen Staates seit Jahrzehnten entgegen. Israel wird in der Erklärung des Rates explizit dazu aufgefordert, Zwangsumsiedlungen und Abrisse zu unterlassen.
Die Frage bleibt offen, was geschieht, wenn Israel die mahnenden Worte nicht berücksichtigt, wie es auch in anderen Gemeinden, beispielsweise im Jordantal, laufend der Fall ist, ohne dass so stark protestiert wird wie im Falle Susyas. Bloße "Betroffenheit" oder "Besorgnis", je nach Anlass auch "tiefe Besorgnis", wie man sie aus Verlautbarungen gewohnt ist, haben noch selten vor Menschenrechtsverletzungen und Brüchen der Genfer Konventionen geschützt oder Opfern Gerechtigkeit verschafft.
Die Regierungen, die es mit der Zweistaaten-Lösung ernst meinen, wären deshalb gut beraten, nicht nur ihrer Missbilligung Ausdruck zu verleihen, sondern zu konkretisieren, was die israelische Regierung zu erwarten hat, wenn Recht fortgesetzt gebrochen wird. Anders wird sich die Verdrängungspolitik, deren Praxis auf der Anwendung verschiedener Rechtssysteme in Abhängigkeit von der ethno-religiösen Zugehörigkeit fußt, nicht ändern. Wie die medico-Partner Al Mezan Menschenrechtszentrum und Breaking the Silence sagten: "Rechte werden nicht gewährt, weil eine Besatzungsmacht oder ein Staat nett sein wollen. Man muss sie sich nehmen. Und dafür muss man kämpfen." Ein solcher Kampf lässt sich jedoch nicht mit bloßen Absichtserklärungen oder empörten Telefonaten und Verlautbarungen gewinnen. Vor allem dann nicht, wenn der Adressat einfach weiter Siedlungen baut.
Nachdem zwei illegale errichtete Bauten in der Siedlung Beit El auf Anordnung des Obersten Gerichtshofes abgerissen werden mussten, was zu Siedlerprotesten unweit Ramallahs führte, wird die israelische Ziviladministration in den kommenden Tagen die Bauerlaubnis für 906 neue Wohneinheiten erteilen, davon alleine 296 in Beit El. Das sollte reichlich entschädigen für den Abriss zweier Gebäude. Es ist dieselbe Behörde, die das Dorf Susya mit seinen gerade mal 340 Einwohner_innen niederreißen möchte.