Initiative GG 5.3 Weltoffenheit

Boykott mit Boykott beantworten?

15.12.2020   Lesezeit: 4 min

Eine Initiative lehnt den Boykott Israels ab und kritisiert den Bundestagsbeschluss gegen die BDS-Bewegung. Ein Einrichten in antagonistischen Positionen kann nicht mehr hingenommen werden. Von Peter Ullrich.

Die Leiter*innen einiger der größten Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen sowie Institutionen zur Erforschung der jüdischen Geschichte und des Antisemitismus wandten sich am Donnerstag, den 10. Dezember 2020, an die Öffentlichkeit, um den BDS-Beschluss des Bundestages als Symbol einer toxisch gewordenen Debatte um Antisemitismus im Kontext des Nahostkonflikts zu kritisieren. In dem Beschluss definiert der Bundestag – im Einklang mit ähnlichen Beschlüssen mehrerer Bundesländer und Kommunen – die BDS-Bewegung als antisemitisch und fordert dazu auf, ihr und ihren Sympathisanten keine öffentlichen Gelder oder Räume zur Verfügung zu stellen. Dabei beruft er sich auch auf die vage und umstrittene „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ der International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA), die besonderes Augenmerk auf den Nahostkonflikt legt und im israelisch-palästinensischen Konflikt einseitig instrumentalisierbar ist. Dies führte in der Vergangenheit mehrfach zu Kampagnen gegen der BDS-Nähe verdächtige Personen und zu Raumabsagen.

Aus unterschiedlichsten Perspektiven und selbst überwiegend in klarer und betonter Distanz zur BDS-Bewegung erleben die Mitglieder der Initiative, wie die autoritative politische Regulierung dessen, was politisch diskutierbar sein soll, die Arbeit von Kulturinstitutionen unterminiert, kontroverse Begegnungen und Debatten verhindert und zu massiver Selbstzensur führt.

Boykott mit Boykott beantworten – das kann nicht die Lösung sein – so beispielsweise Hanno Loewy (Direktor des Jüdischen Museums Hohenems und einer der Beteiligten), wenn die Situation doch so verfahren, komplex und widersprüchlich ist. BDS ist ambivalent, weil sie legitime Forderungen erheben, aber zugleich in Teilen auch antisemitische Tendenzen befeuern können, wenn doch einzelne Jüdinnen und Juden und nicht nur besatzungsprofitierende Stellen ins Visier geraten. Ebenso ambivalent ist Israel als Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden und militärische Besatzungsmacht. Bei Boykotten der einen oder anderen Art seien die Ausgeschlossenen teilweise die gleichen: kritische Stimmen beider Seiten, Akteure des Dialogs (wie die Münchner israelisch-palästinensische Dialoggruppe). Was hier formuliert wird, ist eine klare Kritik an BDS und dem BDS-Bann. Denn kritische Israelis und kritische Palästinenser*innen, die ihrem jeweiligen Mainstream widersprechen, stehen per Kontaktschuld oder wegen ihrer Meinungen im Zentrum der Problematisierungen, die dieser Beschluss bewirkt.

Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, wies auf die verheerende Wirkung der „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ der International Holocaust Remembrance Alliance(IHRA)als einer Grundlage des BDS-Beschlusses hin, die eben nur eine Arbeitsdefinition und entsprechend voller Schwächen ist. Zudem trage sie durch ihren immensen Fokus auf israelbezogenen Antisemitismus dazu bei, dass bedeutsame Aspekte des derzeit insbesondere in Osteuropa, aber auch hierzulande grassierenden rechtsextremen, verschwörungstheoretischen Antisemitismus (unangemessen) zum Nebenschauplatz degradiert würden. Der Antisemitismusbegriff sei auch in der Wissenschaft so stark umstritten (bis hin zur Forderung seiner Abschaffung durch jeweilige kontextsensible Konkretionen judenfeindlicher Ansichten und Handlungen), dass eine vielstimmige und offene Debatte dringend nötig sei. Die aktuelle Lage befördere stattdessen die Lahmlegung einer solchen.

Die Kritik des BDS-Beschlusses ist der Anlass, doch das Anliegen ist breiter: Es geht um die Verteidigung der Wissenschafts- und Kunstfreiheit (daher der auf die entsprechenden Grundgesetzartikel verweisende Name) sowie den Erhalt kontroverser Diskussionen. Das heißt, dass verschiedene Positionen bei der Vorstellung der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit kritisiert wurden: immer wieder die BDS-Bewegung, die insbesondere in ihrem Wissenschafts- und Kulturboykott eben diese Freiheiten angreift, oder, beispielsweise von Barbara Stollberg-Rilinger (Rektorin des Wissenschaftskollegs Berlin) die immer beliebter werdende Forderung nach ‚Safe Spaces‘, also „geschützten Räumen“, die beispielsweise Studierende vor der Konfrontation mit ihnen möglicherweise unangenehmen Meinungen bewahren sollen, aber letztlich auch zur Abspaltung von Teilen der komplexen und unangenehmen Realität führten. Thomas Krüger (Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung) erinnerte in diesem Zusammenhang an das Überwältigungsverbot und das Kontroversitätsgebot der politischen Bildung. Man will also Räume öffnen, so der Generalintendant des Humboldtforums Hartmut Dorgerloh, frei von Selbstzensur, gegen Antisemitismus, Rassismus, für eine Debatte über Erinnerungskultur, für Weltoffenheit und für das Aushalten auch des Unangenehmen, das solch offene Debatten mit sich bringen müssen. Die Veranstaltung soll entsprechend auch die Eröffnung eines Prozesses sein. Dieser ist dringend nötig. Hoffentlich hat er nur begonnen.

Die ersten harschen Reaktionen der indirekt adressierten Kritiker*innen der Initiative bestätigen diese Hoffnung aber nicht. Vielmehr bestätigen sie, wie berechtigt das Anliegen ist. Die Süddeutsche Zeitung spricht von einer „Ohnmachtspose“ und Die Welt gleich von einem Fall „demokratischen Antisemitismus“. Das geht am Anliegen der Initiative völlig vorbei und ist ein Schlag ins Gesicht von Menschen, die sich teilweise seit Jahrzehnten dem Kampf gegen Antisemitismus verschrieben haben, aber trotzdem eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Besatzung verlangen. Doch seit der aus dem Ruder gelaufenen Debatte um die teils israelfeindlichen Positionen Achille Mbembes hat sich der Wind gedreht. Die Debatte muss und wird weiter und breiter geführt werden. Ein Einrichten im Stellungskrieg der antagonistischen Positionen kann nicht mehr hingenommen werden.

Peter Ullrich

Dr. phil. Dr. rer. med. Peter Ullrich ist Senior Researcher am Zentrum Technik und Gesellschaft und Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Für medico und die Rosa-Luxemburg-Stiftung verfasste er im vergangenen Jahr ein Gutachten zur Arbeitsdefinition Antisemitismus der International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA).


Jetzt spenden!